Hände einer jüngeren und älteren Person
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Sterbehilfe

Große Mehrheit für Liberalisierung

Eine große Mehrheit der heimischen Bevölkerung ist für einen liberaleren Umgang mit der Sterbehilfe. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Integral finden acht von zehn Österreichern und Österreicherinnen das jüngste Urteil des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) zum assistierten Suizid gut. Das Urteil beschäftigt auch die Bundesregierung.

Laut Umfrage denkt etwa ein Drittel (32 Prozent), dass die Entscheidung noch zu wenig weit geht, knapp jeder Zweite kann sich vorstellen, einmal selbst Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. In Auftrag gegeben wurde die Umfrage von der Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL), die sich für eine liberalere Gesetzeslage zur Sterbehilfe einsetzt. Befragt wurden Mitte März 1.000 Österreicher und Österreicherinnen von 16 bis 69 Jahren.

Laut der Umfrage begrüßen 80 Prozent die VfGH-Entscheidung, die dazu führt, dass ab 1. Jänner 2022 die „Beihilfe zum Selbstmord“ generell erlaubt ist. Laut Integral ist diese klare Zustimmung über das ganze Bundesgebiet in allen Bildungs-, Einkommensschichten und Altersgruppen annähernd gleich hoch. 32 Prozent der Befragten wünschen sich außerdem eine rechtliche Möglichkeit, eine Sterbeverfügung vorab anzuordnen, insbesondere für den Fall von Krankheiten wie Demenz und Alzheimer.

23 Prozent auch für aktive Sterbehilfe

Rund ein Viertel der Österreicher (23 Prozent) meint außerdem, dass auch aktive Sterbehilfe erlaubt sein sollte. Nur neun Prozent möchten hingegen am alten Verbot der Sterbehilfe aus dem Jahre 1934 festhalten. Eine Minderheit von elf Prozent wünscht sich ein neues Gesetz, das Sterbehilfe wieder erschwert – auch auf die Gefahr hin, dass dieses Gesetz wieder verfassungswidrig sein könnte. Hingegen verlangen 53 Prozent, dass das Parlament ein neues Gesetz verabschiedet, das das Recht auf Sterbehilfe stärkt. In Wien sind es sogar 63 Prozent.

Grafik zur Sterbehilfe
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: ÖGHL, Integral

Wenn es um die Frage geht, wer Sterbehilfe leisten soll, sehen zwei Drittel der Befragten das in der Hand der Ärzten und Ärztinnen. 57 Prozent finden, dass das professionelle Vereine in Zusammenarbeit mit Medizinern und Medizinerinnen übernehmen sollen. Und 27 Prozent meinen, dass auch Angehörige sowie Freundinnen und Freunde dazu befugt sein sollen.

„Es geht nicht mehr um Pro oder Contra“

Fast jede zweite befragte Person (47 Prozent) kann sich vorstellen, einmal selbst Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Am wenigsten vorstellbar ist das für die Gruppe der unter 30-jährigen, wobei sich auch diese Menschen zu 40 Prozent für die Möglichkeit der Sterbehilfe in ihrem späteren Leben aussprechen. Ein Drittel (32 Prozent) der Österreicher und Österreicherinnen sind sich bei dieser Frage unschlüssig.

Grafik zur Sterbehilfe
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: ÖGHL, Integral

Die Gesellschaft für ein humanes Lebensende sieht ihre Standpunkte in der Umfrage bestätigt. „Es geht jetzt nicht mehr um Pro und Contra, sondern darum, wie die Politik diesem Wunsch schnellstmöglich entspricht. Sterbehilfe muss ab 2022 für alle Betroffenen ohne Hürden und ohne Bevormundung möglich sein“, kommentierte Wolfgang Obermüller von der ÖGHL im Gespräch mit der APA das Ergebnis.

Justizministerium richtet Dialogforum ein

Das Urteil des VfGH beschäftigt auch die Bundesregierung. Das Justizministerium hat nun Religionsgemeinschaften und Organisationen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu einem neu eingerichteten Dialogforum geladen, das Ende April stattfindet. Besprochen werden soll dabei der Umgang mit der neuen Situation und welche rechtlichen Anpassungen vorgenommen werden sollen.

Zu dem online stattfindenden Dialogforum eingeladen hat die Zivilrechtssektion des Justizministeriums, rund 25 Organisationen und Personen wurden angeschrieben. Darunter befinden sich neben Vertreterinnen und Vertretern der anerkannten Religionsgemeinschaften und deren Hilfsorganisationen auch die Ärztekammer, Pflegeeinrichtungen, Universitäten sowie der Verfassungsdienst und das Sozialministerium.

Hintergrund der Studie und des Dialogforums ist das VfGH-Urteil vom Dezember 2020, das die Strafbarkeit der „Hilfeleistung zum Selbstmord“ gekippt hat. Der VfGH hat in seinem Urteil befunden, dass dieser Straftatbestand gegen das Recht auf Selbstbestimmung verstößt. Es sei verfassungswidrig, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten. Tötung auf Verlangen bleibt dagegen weiterhin strafbar. Vor allem Kirchenvertreter, wie die katholische Bischofskonferenz, kritisierten den Spruch. Zustimmung kam von liberalen Vereinen.

Kritik von NEOS an Justizministerium

Der VfGH gab dem Gesetzgeber bis 31. Dezember 2021 Zeit, um einen entsprechenden Gesetzesentwurf auf den Weg zu bringen. „Passiert ist bisher allerdings nichts“, kritisierte NEOS-Gesundheitssprecher Gerald Loacker in einer Aussendung am Sonntag. „Das VfGH-Urteil hat die Richtung vorgegeben, jetzt muss die Parlamentsmehrheit handeln. Die Bürgerinnen und Bürger haben kundgetan, was sie sich vorstellen können. Zuwarten und Wegschauen sind keine Lösungsschritte.“

„Die Wünsche am Ende des Lebens sind so unterschiedlich wie das Leben selbst“, so Loacker weiter. Er bezog sich auch darauf, dass einige Österreicherinnen und Österreicher schwer kranke Verwandte in die Schweiz bringen würden, um dort Sterbehilfe in Anspruch nehmen zu können. In der Schweiz ist der assistierte Suizid unter bestimmten Voraussetzungen legal.

„Für viele kommt ein assistierter Suizid nicht infrage. Aber denjenigen, die das wünschen, sollten wir diesen letzten Willen nicht verwehren“, so der NEOS-Gesundheitssprecher weiter. NEOS sprach sich klar gegen aktive Sterbehilfe aus, aber dafür, die Mitwirkung an der Selbsttötung von unheilbar kranken Patientinnen und Patienten unter bestimmten Umständen zu erlauben.

Dornauer: Brauchen kein Dialogforum

Auch für den Tiroler SPÖ-Vorsitzenden Georg Dornauer zeigt das Ergebnis der Umfrage, „dass endlich die entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen“. Die Österreicherinnen und Österreicher hätten hier offenkundig eine klare Haltung.

„Deshalb brauchen wir aus meiner Sicht auch kein schlagseitig besetztes Dialogforum, um weiterhin eine scheinheilige Debatte zu führen“, so Dornauer gegenüber der APA. Justizministerin Alma Zadic (Grüne) müsse endlich die gesetzliche Grundlage erarbeiten und rasch vorlegen. Dornauer spricht sich dafür aus, „dass der unterstützte Suizid auch in Österreich kein Tabu mehr sein darf und eine rechtliche Absicherung dafür geschaffen werden muss“.

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) hat bereits angekündigt, dass das Sterbehilfegesetz bis zum Sommer kommen soll. Im parlamentarischen Ausschuss für Menschenrechte sprach Edtstadler am Donnerstag allerdings von einem äußerst heiklen Thema, das mit entsprechender Sensibilität angegangen werden müsse. Niemand sollte entscheiden, wann ein Leben lebenswert sei und wann nicht. Es bedürfe eines gründlichen Diskussionsprozesses unter breiter gesellschaftlicher Einbindung und Einbindung aller Parteien.