Hände und eine FFP2-Maske
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Aerosolforscher

CoV-Übertragungen „im Freien äußerst selten“

In der laufenden Debatte über die Sinnhaftigkeit mancher Coronavirus-Maßnahmen fordern deutsche Experten, den Schwerpunkt auf Innenräume zu setzen. Dort fänden die „allermeisten Infektionen“ statt, heißt es in einem am Wochenende veröffentlichten offenen Brief der deutschen Gesellschaft für Aerosolforschung (GAeF). Dem steht allerdings die Expertenmeinung gegenüber, wonach Treffen im Freien alles andere als unbedenklich seien.

In dem an die deutsche Regierung und die Vertreter der deutschen Bundesländer gerichteten Schreiben (PDF) verweist die GAeF auf die in einem Positionspapier zusammengefassten Erkenntnisse der Forschung zur CoV-Ausbreitung durch Aerosole, also Partikelwolken in der Luft. „Zentraler Baustein“ und „mittlerweile Konsens in der Wissenschaft“ sei es, dass die Übertragung der SARS-CoV-2-Viren „fast ausnahmslos in Innenräumen“ stattfinde: „Übertragungen im Freien sind äußerst selten.“

Es gilt mittlerweile als weitgehend sicher, dass sich das Coronavirus vor allem über die Luft verbreitet. Das kann über Tröpfchen geschehen, die beim Husten und Niesen entstehen und beim Gegenüber über die Schleimhäute aufgenommen werden; und über Aerosole, die SARS-CoV-2-Partikel enthalten.

Zwei Personen gehen entlang der Salzach spazieren
ORF.at/Georg Hummer
Aerosolexperten kritisieren „kontraproduktive“ Debatten „über das Flanieren auf Flusspromenaden“

Verweis auf internationale Studien

„Wenn wir die Pandemie in den Griff bekommen wollen, müssen wir die Menschen sensibilisieren, dass drinnen die Gefahr lauert“, heißt es in dem GAeF-Brief, in dem die Aerosolexperten Maßnahmen in Wohnungen, Büros, Klassenräumen, Wohnanlagen und Betreuungseinrichtungen fordern. Zudem müsse sich die Krisenkommunikation der zuständigen Behörden weiter auf die erhöhte Infektionsgefahr in Innenräumen konzentrieren, so die GAeF, der zufolge der Anteil von Infektionen im Freien lediglich im Promillebereich liege.

Zu diesem Schluss kam zuletzt auch die „Irish Times“ mit Verweis auf eine Studie in Irland und mehrere international durchgeführte Studien. Lediglich 0,1 Prozent der in Irland untersuchten CoV-Fälle seien auf eine nachweislich im Freien erfolgte Ansteckung zurückzuführen. „Laut einer Überprüfung von fünf globalen Studien zur Übertragung durch die University of California ist die Wahrscheinlichkeit, sich in Innenräumen mit Covid-19 zu infizieren, 19-mal größer als im Freien“, schrieb die Zeitung.

Infektionen auch ohne direkte Treffen

Laut GAeF herrsche in der Bevölkerung infolge der staatlichen Maßnahmen und der Berichterstattung darüber oft eine falsche Einschätzung der Risiken vor. Regeln wie eine Maskenpflicht beim Joggen im Freien seien eher „symbolische Maßnahmen“ und ließen „keinen nennenswerten Einfluss auf das Infektionsgeschehen erwarten“. Die laufenden Debatten „über das Flanieren auf Flusspromenaden, den Aufenthalt in Biergärten, das Joggen oder das Radfahren“ hätten sich „längst als kontraproduktiv erwiesen“.

Die begrenzten Ressourcen der Gesellschaft sollten daher auf eine Umsetzung sinnvoller Maßnahmen beschränkt und die Aufklärung der Bürger verbessert werden. Unter anderem sei auch in Innenräumen das Tragen „effektiver Masken“ mit dichtem Sitz von zentraler Bedeutung. Dort könnten den Aerosolforschern zufolge Infektionen auch ohne direkte Treffen erfolgen, wenn sich ein Erkrankter zuvor in einem nur schlecht gelüfteten Raum aufgehalten hat.

„Das ist ja das Teuflische bei dieser Aerosolinfektion“, so GAeF-Mitglied Gerhard Scheuch gegenüber der dpa. Daher sei das Lüften an stark frequentierten Orten wie öffentlichen Toiletten, Aufenthaltsräumen und Fahrstühlen auch besonders wichtig. Scheuch spricht aber auch von einer „unheimlich komplexen“ Materie. Berechnungen über die CoV-Ansteckungsgefahr würden auch immer wieder den Eindruck einer Präzision erwecken, die es so nicht gebe. Weiter unklar sei laut dpa schließlich auch, wie stark saisonale Effekte das Infektionsgeschehen zu bremsen vermögen.

Mit Maske zum maskenlosen Kaffeekränzchen

Generell sollten Treffen und Aufenthalte in geschlossenen Räumen am besten vermieden oder möglichst kurz gehalten werden, schreiben die Aerosolexperte in ihrem offenen Brief: „In der Fußgängerzone eine Maske zu tragen, um anschließend im eigenen Wohnzimmer eine Kaffeetafel ohne Maske zu veranstalten, ist nicht das, was wir als Experten unter Infektionsvermeidung verstehen.“ Man teile ohne Frage „das Ziel einer Reduzierung problematischer Kontakte in Innenräumen, aber die Ausgangssperren versprechen mehr, als sie halten können“.

„Frage des Abstands“

Der Gesundheitsexperte des Instituts für Höhere Studien (IHS), Thomas Czypionka, warnte zuletzt dennoch vor der Ansteckungsgefahr im Freien. Vor allem durch die in Österreich nach wie vor weit verbreitete, zunächst in Großritannien nachgewiesene Mutation B.1.1.7 sei die Ansteckungsgefahr im Freien weiter gestiegen, sagte Czypionka laut „Standard“.

Naturhistorisches Museum in Wien
ORF.at/Peter Prantner
Experten raten – etwa bei längeren Unterhaltungen – auch im Freien zum Tragen einer Maske

„Sitzt man in einer Gruppe eng beieinander, könnten mikroskopisch kleine Tröpfchen, die man beim Reden ausspuckt, in Gesicht, Augen oder Mund eines anderen landen – und schon setzt sich die Infektionskette fort“, zitierte die Zeitung den Experten, laut dem auch Aerosole „im Freien eine Rolle spielen, wenn auch keine so große wie in Innenräumen“.

In diesem Zusammenhang sprachen sich Experten zuletzt immer wieder für das Tragen einer Maske im Freien aus – etwa bei großen Menschenansammlungen bzw. längeren Gesprächen, bei denen der Mindestabstand nicht eingehalten wird. Es bleibe eine Frage des Abstands, sagte laut „Standard“ dazu der Public-Health-Experte und Umweltmediziner der Medizinischen Universität Wien, Hans-Peter Hutter, der der Zeitung zufolge anmerkte: „Rausgehen ist wichtig, vor allem auch für junge Menschen – und nicht nur für die körperliche Gesundheit, sondern speziell auch für das Seelenwohl.“ Mit Blick auf die Aerosolforscher, die kaum eine Ansteckungsgefahr im Freien sehen, forderte die FPÖ Niederösterreich einen Kurswechsel in der CoV-Politik mit umgehenden Öffnungsschritten – mehr dazu in noe.ORF.at.