Wassertanks auf dem Gelände von Fukushima
Reuters/Sakura Murakami
Fukushima

Japan wird Wasser ins Meer leiten

Zehn Jahre nach dem Super-GAU hat sich Japan am Dienstag dazu entschieden, das kontaminierte Wasser des Atomreaktors Fukushima I ins Meer zu leiten. Die Entsorgung soll möglichst langsam erfolgen und sich über die nächsten Jahrzehnte ziehen, um die Konzentration an Radionukliden möglichst gering zu halten. Die Entscheidung sorgte für Proteste im In- und Ausland.

Der Umgang mit dem kontaminierten Wasser war in den vergangenen Jahren zu einem stetig wachsenden Problem für das Betreiberunternehmen TEPCO geworfen. Seit der Katastrophe hatten sich Tonnen an Kühlwasser in der Anlage gesammelt, die aktuell in mehr als 1.000 riesigen Metalltanks aufbewahrt werden. Es handelt sich um eineinviertel Millionen Tonnen – die Menge entspricht laut „Washington Post“ etwa jener von 500 olympischen Schwimmbecken.

Mittlerweile sind es so viele Tanks, dass es auf dem Gelände kaum noch Platz gibt, weitere Tanks aufzustellen. TEPCO hatte erklärt, dass die Lagerkapazitäten mit 2022 erschöpft seien. Daher wird seit Jahren um den richtigen Umgang mit dem verstrahlten Wasser gerungen. Eine Ableitung ins Meer war heftig kritisiert worden – unter anderem von Umweltschutzgruppen, Fischereibetrieben und der Bevölkerung der Region.

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Flutwelle vom 11. März 2001 in Fukushima
Reuters/Mainichi Shimbun
Der 11. März 2011 wird auf immer mit dem stärksten je gemessenen Erdbeben vor Japans Küste und dem Tsunami mit Wellen von bis zu 16,7 Meter Höhe verbunden sein
Verzweifelte Fraun in Mitten der Zerstörung
Reuters/Asahi Shimbun
Erdbeben und Tsunami zerstörten die gesamte Region Fukushima und machten viele Orte im wahrsten Sinne des Wortes dem Boden gleich
Das Kraftwerk am Unglückstag
Reuters/Yomiuri Yomiuri
Die Naturkatastrophe im Nordosten Japans löste zudem den Super-GAU aus. Im Bild ist das AKW am Unglückstag zu sehen.
Schäden am Reaktor in Fukushima
Reuters
Reaktor 1 am Tag nach der Katastrophe – und nach der Wasserstoffexplosion. Das am Meer gelegene Atomkraftwerk Fukushima Daiichi war am Vortag von einer fast 15 Meter hohen Wasserwand getroffen worden.
Schäden am Reaktor in Fukushima
Reuters/Reuters TV
Mit Wasserwerfern versuchten die Einsatzkräfte Wochen nach dem Unfall, das Feuer und die Kernschmelze zu stoppen. Bis heute kommt die Stilllegung nur langsam voran.
Schäden am Reaktor in Fukushima
Reuters/Yomiuri Yomiuri
Die Stilllegung der gesamten Anlage wird mindestens noch drei bis vier Jahrzehnte dauern
Schäden am Reaktor in Fukushima
Reuters/Issei Kato
Umstritten ist, ob das radioaktive Kühlwasser – derzeit in mehr als 1.000 großen Tanks gelagert – einfach ins Meer geleitet werden soll
Schäden am Reaktor in Fukushima
Reuters/Toru Hanai
Rund 900 Tonnen geschmolzener Brennelemente und Brennelement-Materialien müssen erst aus den drei zerstörten Reaktoren gesichert werden
Schäden am Reaktor in Fukushima
Reuters
337 Quadratkilometer groß war die No-go-Area nach dem Atomunfall. Nach zehn Jahren intensiver Arbeiten zur Dekontaminierung der Gegend sind es noch 2,4 Prozent.
Polizisten in Schutzkleidung auf der Suche nach Überlebenden
AP/Hiro Komae
Die Suche und Bergung von Verletzten, Vermissten und Toten nach der doppelten Naturkatastrophe wurde durch den Super-GAU wesentlich erschwert
Plastiksäche mit kontaminierter Erde
Reuters/Toru Hanai
Jahrelang wurde großflächig oberirdisch besonders kontaminierte Erde abgetragen und in großen Säcken gesammelt
Vergleich der zerstörten Gebiete 2011 und 2020
AP/Tetsu Joko
Luftaufnahme von einem Küstenstreifen der Großstadt Ishinomaki nach dem Tsunami
Vergleich der zerstörten Gebiete 2011 und 2020
AP/Tetsu Joko
So sieht derselbe Bereich aktuell aus (Aufnahme vom September 2020)
Vergleich der zerstörten Gebiete 2011 und 2020
AP/Yasushi Kanno
Die Großstadt Iwaki wurde ebenfalls schwer getroffen
Vergleich der zerstörten Gebiete 2011 und 2020
AP/Yasushi Kanno
Ein großteils wiederaufgebauter Stadtteil
Vergleich der zerstörten Gebiete 2011 und 2020
AP/Tetsu Joko
Auch die Stadt Kesennuma wurde schwer in Mitleidenschaft gezogen
Vergleich der zerstörten Gebiete 2011 und 2020
AP/Tetsu Joko
Direkt an der Küste sind heute nur noch Industrieanlagen, aber keine Wohnhäuser mehr. Besonders in und um Fukushima sind viele Menschen bis heute nicht nach Hause zurückgekehrt. Zu groß ist ihre Angst davor, radioaktiv verstrahlt zu werden.
Geigerzähler nahe dem Kraftwerk 2017
Reuters/Toru Hanai
Bis heute gibt es zahlreiche Stationen in der Region, um die Radioaktivität zu messen. Auch Lebensmittel werden regelmäßig auf radioaktive Strahlung überprüft.

Tritium bleibt im Wasser

Japans Regierungschef Yoshihide Suga entschied sich nun trotzdem für den Schritt. Aus Sicht der Regierung ist das Prozedere sicher. Das ALPS genannte Verfahren solle fast alle Radionuklide aus dem Wasser entfernen, insbesondere die hochgiftigen wie Strontium und Cäsium. Übrig bleibt laut „Washington Post“ neben geringen Mengen an Carbon-14 vor allem Tritium. Dieses Wasserstoffisotop gilt als weniger gefährlich für den Menschen und wird von AKWs laufend weltweit ins Meer eingebracht.

Tritium lässt sich allerdings nicht herausfiltern. Die Regierung und auch der Betreiber sagen, Tritium sei in geringen Mengen nicht schädlich für die menschliche Gesundheit. Doch die Bürgerkommission für nukleare Energie mit Sitz in Tokio betonte, Tritium sei „immer noch radioaktives Material“ und sollte nicht in die Umwelt gebracht werden.

Auch Nachbarländer besorgt

Auch einige Nachbarländer wie China und Südkorea äußerten am Montag vor der Entscheidung Bedenken. Das US-Außenministerium teilte indes mit, Japan habe die Entscheidung transparent getroffen und scheine einen Ansatz gewählt zu haben, der den weltweit anerkannten Standards für nukleare Sicherheit entspreche.

Wassertanks auf dem Gelände von Fukushima
Reuters/Kyodo
Fukushima von oben: Das Gelände wird heute für die Lagerung der Reste der Atomkatastrophe genutzt

Im März 2011 war es vor der Ostküste Japans zu einem Erdbeben der Stärke 9,0 gekommen. Das Beben erschütterte die sechs Reaktoren des AKW, die Stromversorgung fiel aus, und es kam in drei Reaktoren zur Kernschmelze. Bei einem darauffolgenden Tsunami kamen fast 20.000 Menschen ums Leben. Das schwere Erdbeben und der Tsunami mit Wellen von bis zu 16,7 Meter Höhe zerstörten das AKW, auch die Notstromaggregate wurden überflutet.

Lagerung des Brennstoffs als offene Frage

Seither beschäftigt die japanische Regierung als Langzeitfolge nicht nur das kontaminierte Wasser. Auch die Lagerung des geschmolzenen atomaren Brennstoffs ist nach wie vor ein gravierendes Problem. TEPCO plant, den durch die Ableitung der Wassertanks gewonnen Platz für die Lagerung des Brennstoffs zu verwenden. Zuletzt wurde bei Untersuchungen herausgefunden, dass sich in den Reaktoren 2 und 3 tödliche Mengen an Radioaktivität befinden.

Etwa 900 Tonnen geschmolzenen und wieder erstarrten atomaren Brennstoffs befinden sich innerhalb der drei defekten Reaktoren. Nichts davon ist bisher sichergestellt. Die Entfernung abgebrannter Brennstäbe wurde vielmehr um mehrere Jahre verschoben – nicht zuletzt wegen der Pandemie. Bis jetzt ist unklar, wie der geschmolzene Brennstoff in den Reaktorblöcken 1, 2 und 3 überhaupt entfernt werden soll. Das sei eine schwierige Frage, so der für die Stilllegung zuständige Akira Ono.

Die Katastrophe in Fukushima war das schlimmste Atomunglück seit der Tschernobyl-Katastrophe von 1986. Es prägte weltweit die Debatte über den Einsatz von Atomkraft, führte aber nicht überall zu den gleichen Schlüssen. Nach wie vor setzen zahlreiche Länder auf Atomenergie. Angesichts der notwendigen Energiewende wird erwartet, dass sich die Debatte verstärkt auch um Atomenergie drehen wird.