Zurückgetretener Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne)
Reuters/Leonhard Foeger
Anschober-Rücktritt

Offene Worte zum Abschied

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hat für seine Rücktrittsrede am Dienstag besonders ehrliche Worte gewählt. Er sei „überarbeitet und ausgepowert“ und wolle sich „nicht kaputtmachen“, sagte Anschober. Der offene Umgang mit der Situation sei ihm wichtig, denn „für Erkrankungen braucht sich niemand schämen“.

In einer kurzfristig angesetzten „persönlichen Erklärung“ in Wien sprach Anschober von einer „Überlastungssituation“ und berichtete von einem Kreislaufkollaps vor einem Monat und einem weiteren vor einer Woche. „In der schwersten Gesundheitskrise seit Jahrzehnten braucht die Republik einen Gesundheitsminister, der zu 100 Prozent fit ist“, sagte er weiter: „Ganz klar formuliert: Ich will mich auch nicht kaputtmachen.“

Er habe seit 14 Monaten praktisch durchgearbeitet, und „ich hab mich dabei ganz offensichtlich überarbeitet“, sagte Anschober mit brüchiger Stimme in einer rund halbstündigen Pressekonferenz im Ministerium. Daher habe er sich entschieden, sein Amt zurückzulegen. Bis Montag soll Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) die Geschäfte führen, dann soll Anschobers Nachfolger Wolfgang Mückstein angelobt werden.

Anschober schildert gesundheitliche Probleme

Seine gesundheitlichen Probleme schilderte der 60-Jährige auch im Detail: Zunehmend sei ihm die Kraft ausgegangen, als Folgen seiner Überlastung habe er mit Kreislaufproblemen, steigendem Blutdruck, Problemen mit dem Blutzuckerspiegel und einem beginnenden Tinnitus zu kämpfen gehabt. Vor einem Monat hatte Anschober den ersten Kreislaufkollaps, über den er auch offen gesprochen habe, wie er sagte, weil sich für Erkrankungen niemand zu schämen brauche.

„Persönliche Erklärung“ von Gesundheitsminister Anschober

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) tritt zurück: Das gab er am Dienstag in einer „persönlichen Erklärung“ bekannt.

Nachdem er keine organischen Schäden davongetragen hatte, habe er es noch einmal versuchen wollen, schilderte Anschober. Der zweite Kollaps folgte jedoch Dienstagfrüh letzter Woche. „Ich hab gemerkt, da muss ich jetzt für mich eine Notbremse ziehen.“ Ein Burn-out wie vor mehreren Jahren habe er diesmal nicht, sagte Anschober: „Bei einem Burn-out würde ich nicht hier stehen. Da hat man die Kraft nicht mehr dazu.“

Pandemie hat „unser aller Leben verändert“

Die Ärzte hätten ihm zur Schonung und einer Auszeit geraten, und er sei auch der Meinung, dass das grundsätzlich in jedem Beruf möglich sein müsste – aber in der Coronavirus-Pandemie sei man eben nicht in einer normalen Situation. Die Pandemie mache keine Pause, deshalb könne auch der Minister keine Pause machen.

Ausführlich schilderte Anschober in seiner Abschiedsrede – Fragen waren nicht zugelassen –, welche Pläne er abseits der Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie noch gehabt hätte: vom Ausbau der Gesundheitsprävention über die Bekämpfung der Altersarmut bei Frauen bis zur großen Pflegereform. Hier habe er Vorarbeiten geleistet, aber die Pandemie habe „unser aller Leben verändert“.

„Habe mich sehr oft sehr alleine gefühlt“

Als besonders belastend wertete Anschober, der seit November unter Polizeischutz steht, die „Zunahme der Aggressivität“ eines kleinen Teils der Bevölkerung ab der zweiten Infektionswelle im vorigen Herbst. Damals habe man „gerade noch rechtzeitig die Notbremse gezogen“.

In der dritten Welle hätten die Interessenkonflikte dann immer stärker zugenommen, beklagte Anschober und zeigte sich froh, dass es ihm noch gelungen sei, die Öffnung der Gastgärten „mit aller Kraft“ zu verhindern. „Ich habe mich da sehr oft sehr alleine gefühlt“, so der Minister, der an dieser Stelle explizit dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) dankte, die ÖVP aber mit keinem Wort erwähnte.

Anschober will „irgendwann“ Politroman schreiben

Für die Zeit nach seiner Erholung hat Anschober „noch keine konkreten Pläne“. Er werde sein Wissen und seine Kompetenz aus jahrelanger Regierungstätigkeit – Anschober war früher Landesrat in Oberösterreich – weitergeben. Auch wolle er „irgendwann“ seinen Traum erfüllen und einen politischen Roman schreiben. Dafür habe er in seiner Zeit als Minister wohl „die eine oder andere Inspirationsquelle“ gefunden.

Am Ende seines emotionalen Statements bedankte sich Anschober bei seiner Partnerin, seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dem grünen Regierungsteam und dem grünen Klub sowie Parteichef Werner Kogler, „meinem Freund“. Dank sprach Anschober auch all jenen Menschen aus, die ihm Mails, Briefe, Blumen und Mehlspeisen geschickt haben. „Und Ihnen sag ich auf Wiedersehen“, verabschiedete sich Anschober bei den Journalistinnen und Journalisten und verließ unter Applaus seiner Mitarbeiter den Saal.

Kranke Politiker waren lange ein Tabu

Politikerrücktritte aus Gesundheitsgründen sind in Österreich noch immer eine Seltenheit. Lange waren Erkrankungen tabuisiert und wurden geheim gehalten, etwa das Nierenleiden von Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ), das ihn Anfang der 1980er Jahre regelmäßig zur Dialyse zwang. Außenminister Alois Mock (ÖVP) versuchte seine Parkinson-Erkrankung zu verheimlichen. Erst in den letzten Jahren hat sich das geändert.

Vizekanzler Josef Pröll (ÖVP) ging 2011 nach einer Lungenembolie. Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (beide SPÖ) machten ihre Krebserkrankungen öffentlich, gaben ihre Ämter aber nicht auf. Bundespräsident Thomas Klestil blieb ebenso, trotz einer Lungenembolie 1996. Nachdem er zwei Herzinfarkte erlitten hatte, starb er 2004 zwei Tage vor Ende seiner zweiten Amtszeit.

In der Zweiten Republik gibt es viele weitere Beispiele von Politikern, die trotz schwerer Erkrankungen im Amt blieben. Dazu gehören etwa die Bundespräsidenten Theodor Körner, Adolf Schärf und Franz Jonas und auch Bundeskanzler Julius Raab (ÖVP). Anschober war hingegen immer offen mit dem Druck umgegangen, den hohe Politikerpositionen mit sich bringen. Im Herbst 2012 begab er sich wegen Burn-out für mehrere Monate in Krankenstand und sprach auch offen darüber.