Gestaelte Cafehaussessel in Dresden, Deutschland
APA/AFP/Jens Schlüter
Coronavirus

Deutschland führt zentrale „Notbremse“ ein

Im Kampf gegen die dritte Coronavirus-Welle hat die deutsche Regierung am Dienstag eine bundesweit verbindliche „Notbremse“ beschlossen. Ab bestimmten Infektionsraten sollen künftig automatisch schärfere CoV-Schutzmaßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen und geschlossene Geschäfte gelten.

Bisher werden Schutzmaßnahmen per Verordnung von jedem Bundesland zum Teil unterschiedlich umgesetzt. Das Bundeskabinett in Berlin brachte nun eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes auf den Weg, die künftig einheitliche Vorschriften vorsieht. Unter Hochdruck wurde über das Gesetz verhandelt, dpa-Angaben zufolge soll noch in dieser Woche erstmals im Bundestagsplenum darüber beraten werden. Der Bundestagsbeschluss sei dann für Mittwoch kommender Woche geplant. Am Tag darauf könnte sich dann auch schon der Bundesrat mit der von der Regierung beschlossenen „Notbremse“ beschäftigen.

Wenn in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinanderfolgenden Tagen die 7-Tage-Inzidenz über 100 liegt – also binnen einer Woche mehr als 100 Neuinfizierte auf 100.000 Einwohner kommen –, soll der Aufenthalt außerhalb einer Wohnung oder eines dazugehörigen Gartens von 21.00 bis 5.00 Uhr nicht erlaubt sein. Private Zusammenkünfte werden auf einen Haushalt plus eine weitere Person begrenzt.

Schließung von Handel und Gastronomie

Geschäfte, die nicht dem täglichen Bedarf dienen, müssen wieder schließen. Die Öffnung von Kultur- und Freizeiteinrichtungen wie Theatern, Museen und Zoos wird untersagt. Auch Übernachtungsangebote zu touristischen Zwecken sollen bei entsprechenden Inzidenzen in einer Region verboten sein. Geöffnet werden dürften laut dem Beschluss Dienstleistungen, die medizinischen, therapeutischen, pflegerischen oder seelsorgerischen Zwecken dienen sowie Friseurbetriebe – jeweils mit Maske.

Die Ausübung von Sport soll nur in Form von kontaktloser Ausübung von Individualsportarten erlaubt sein. Sie sollen allein, zu zweit oder mit den Angehörigen des eigenen Hausstands ausgeübt werden dürfen. Ausnahmen gibt es auch weiter für den Wettkampf- und Trainingsbetrieb der Berufssportler und der Leistungssportler der Bundes- und Landeskader, aber weiter nur ohne Zuschauer.

Einstellung des Präsenzunterrichts

Der Entwurf sieht auch vor, dass Schulen ab einer 7-Tage-Inzidenz von 200 Fällen ihren Präsenzunterricht einstellen müssen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kritisierte allerdings, dass Schulschließungen erst ab einer 7-Tage-Inzidenz von 200 vorgesehen sind. Zudem beschloss das Kabinett, die bezahlten Kinderkrankentage pro Elternteil von derzeit 20 auf 30 Tage zu erhöhen. Diese Kinderkrankentage können Eltern zur Betreuung der Kinder auch bei Schul- und Kitaschließungen in Anspruch nehmen.

Testangebotspflicht für Arbeitgeber

Per Verordnung aus dem Arbeitsministerium werden außerdem Arbeitgeber verpflichtet, ihren Präsenzbeschäftigten mindestens einmal pro Woche einen CoV-Test anzubieten. Für Beschäftigte, bei denen tätigkeitsbedingt ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht, sollen zwei Tests wöchentlich angeboten werden. Auch die bestehenden Coronavirus-Schutzregeln im Arbeitsschutz werden bis zum 30. Juni verlängert. Dazu gehört, dass Arbeitgeber wo immer möglich das Arbeiten von zu Hause aus anbieten müssen.

Für Merkel „überfällig“

„Die bundeseinheitlich geltende Notbremse ist überfällig. Denn die Lage ist ernst“, rechtfertigte Bundeskanzlerin Angela Merkel die neuen Regelungen mit dem starken Anstieg der CoV-Intensivpatienten. Ärzte und Pfleger brauchten die Hilfe der Politik. „Wir dürfen sie nicht im Stich lassen, wir müssen ihnen helfen.“ Ab jetzt seien zusätzliche CoV-Maßnahmen ab einer 7-Tage-Inzidenz von 100 nicht mehr Auslegungssache, sondern sie griffen automatisch.

„Die Lage ist ernst, und wir alle müssen sie auch ernst nehmen“, sagte Merkel. Die Pandemiebekämpfung müsse „stringenter werden“. Es seien zwar harte Einschränkungen, die Bürger erwarteten aber „Nachvollziehbarkeit und Klarheit“. Der grüne baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann begrüßte die „Notbremse“: „Ich finde das gut, es ist richtig. Wir sind in der Pandemie, und jetzt wird’s so gemacht.“

SPD, FDP und Grüne kritisierten indes die Verknüpfung von Inzidenzwerten und automatischen Ausgangssperren. „Im weiteren Verfahren werden wir nochmal intensiv prüfen, dass neben dem Inzidenzwert weitere Kriterien herangezogen werden“, kündigte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese an. Auch die FDP hat hier Bedenken. „Das Gesetz soll an die nackte Inzidenzzahl als Tatbestand geknüpft sein. Die aber ist unzuverlässig und bildet die Lage vor Ort nicht ausreichend klar ab“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Marco Buschmann der „Welt“ (Mittwoch-Ausgabe). Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, hält Ausgangssperren für verfassungsrechtlich nicht haltbar.