Annalena Baerbock und Robert Habeck
APA/AFP/John Macdougall
Baerbock oder Habeck?

Deutsche Grüne beantworten ihre K-Frage

Während die Entscheidung der Kanzlerkandidatur von CDU/CSU in einen Machtkampf entglitten ist, setzen die Grünen in Deutschland bei ihrer allerersten Kandidatur für das Kanzleramt weiter auf Harmonie an der Spitze und auf einen klaren Fahrplan. Seit Tagen steht fest, dass am Montag verkündet wird, wer offiziell ins Rennen geht: Annalena Baerbock oder Robert Habeck.

Beide haben gemeinsam 2018 die Parteiführung übernommen und die Grünen seither in den Umfragen stetig nach oben gebracht. Inzwischen liegt die Partei bei über 23 Prozent in den nationalen Umfragen und damit auf Platz zwei mit nur wenig Abstand zu den schwächelnden Christdemokraten mit zuletzt etwa 27 Prozent.

Mit den derzeitigen Umfragewerten würde sich nach der Bundestagswahl am 26. September eine schwarz-grüne Koalition ausgehen. Eine Regierung aus Grünen, Sozialdemokraten und Liberalen käme laut aktuellen Umfragen derzeit auf maximal 48 Prozent, ein grün-rot-rotes Bündnis mit SPD und Linkspartei auf 45 Prozent. In beiden Konstellationen wären die Grünen stärkste Partei und hätten damit Anspruch auf das Kanzleramt.

„In Reichweite des Kanzleramts“

Die Partei profitiere von der „Wechselstimmung“ im Land und von der Geschlossenheit ihrer Führungsspitze selbst bei der Kanzlerfrage, analysierte Kommunikationsexperte Christian Hoffmann gegenüber der dpa. Die beiden teilen sich sogar einen Büroleiter. Die konservativ ausgerichtete „Welt“ beschrieb das gemeinsame Auftreten von Habeck und Baerbock damit, dass sie sich „bourgeois die Bälle“ zuspielen, „während sich Laschet (Anm. Armin, CDU-Chef) und Söder (Anm. Markus, CSU-Chef) fast bekriegen“.

Annalena Baerbock und Robert Habeck
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Baerbock und Habeck treten trotz der Entscheidung für eine Kanzlerkandidatur für nur einen von beiden geschlossen auf

Auch Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen (FGW) sieht die Grünen in Deutschland derzeit „am ehesten als Alternative zu einer unions-geführten Regierung“. Es wäre abwegig, keine Kandidatur anzustreben, meint auch der Politologe Thorsten Faas gegenüber Reuters: „Sie sind einfach in Reichweite des Kanzleramts.“ Das sei Chance und Risiko zugleich. Mit der offiziellen Kandidatur sind auch die Hürden höher gelegt.

„Natürlich ist es am Ende ein kleiner Stich“

Auch bei der Kanzlerfrage bekräftigte das grüne Spitzenduo, diese zunächst unter sich zu klären. „Ich glaube, keinem von uns fällt es schwer zu sagen: Du bist der oder die Richtige“, räumte Baerbock gegenüber dem „Spiegel“ offen ein. „Aber natürlich ist es am Ende ein kleiner Stich ins Herz.“ Das Geschlecht – eine Frau als Kanzlerin – sei aber für beide kein Argument, so Habeck. Das heißt im Klartext: Er überlässt seiner Kollegin nicht automatisch den Vortritt auch wenn es manche Stimmen gibt, die sich dafür aussprechen, dass an der Spitze einer feministischen Partei eine Frau stehen müsse.

Die Umfragewerte schlugen zuletzt jedenfalls für Baerbock aus. Noch bis März hatte Habeck geführt. Dieser Vorsprung schmolz in den vergangenen Monaten aber zusehends. Im Wahlkampf wollen beide als „starkes Spitzenduo“ auftreten. Mit Baerbock an der Spitze wäre die Unterscheidung zur Konkurrenz größer. Auch die SPD schickt mit Olaf Scholz einen – älteren – Mann ins Kanzlerrennen.

Die gewachsene Rolle der Grünen bei der bevorstehenden Bundestagswahl zeigt sich auch darin, dass sich schon im Vorfeld ein deutscher Privatsender das erste exklusive Interview mit Baerbock oder Habeck für das Hauptabendprogramm sicherte – je nachdem wer von beiden am Montag vorgeschlagen wird.

2017 erreichten die Grünen weniger als zehn Prozent

Die Grünen gehen mit dem Ziel in den Wahlkampf, das Kanzleramt zu erobern. „Wir wollen das Land in die Zukunft führen. Darum kämpfen wir für das historisch beste grüne Ergebnis aller Zeiten und die Führung der nächsten Bundesregierung“, hieß es kürzlich von Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner. Das bisher beste Ergebnis erzielten die Grünen 2009 (10,7 Prozent). Bei der letzten Wahl 2017 erreichten sie nur 8,9 Prozent.

Nach dem Vorschlag des Grünen-Bundesvorstands am Montag soll der endgültige Beschluss zur K-Frage bei einem Parteitag im Juni erfolgen. Eine Zustimmung gilt aber als sicher. Die Entscheidung für einen der beiden – Habeck oder Baerbock – stößt auf breite Akzeptanz. „Beide sind jeweils die beste Wahl“, meinte etwa die grüne Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth.

Keine inhaltliche Entscheidung

Regierungserfahrung hat bisher nur Habeck (51) – als Agrarminister und stellvertretender Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Die 40-jährige Baerbock gilt als inhaltlich stärker und verlässlicher. Eine inhaltliche Richtungsentscheidung ist die Wahl zwischen Habeck und Baerbock jedenfalls nicht. Beide zählen zum realpolitischen Flügel der Partei. Der Kurs der Partei wurde bereits mit einem neuen Grundsatzprogramm Mitte März abgesteckt.

Im Mittelpunkt steht der Klimaschutz, wichtig sind auch Zusammenhalt, Soziales und eine andere Fiskalpolitik. Konkret auf dem Plan stehen etwa ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen von 130 km/h, Erleichterungen für Sozialhilfeempfänger und milliardenschwere staatliche Ausgabenprogramme. Der limitierten deutschen Staatsverschuldung wollen sie ein Ende setzen und geduldeten Migranten und Migrantinnen einen dauerhaften Aufenthalt im Land erleichtern. Was davon tatsächlich durchsetzbar ist, hängt freilich auch von der Regierungszusammensetzung ab.