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Reuters/Fabian Bimmer
Greensill-Pleite

Sittenbild der britischen Politelite

Die Insolvenz des Finanzdienstleisters Greensill Capital hat in Großbritannien eine Debatte über Vetternwirtschaft und die Verquickung von Spitzenpolitik und Wirtschaft ausgelöst. Prominentester Protagonist darin ist der frühere Tory-Premierminister David Cameron – Sprengkraft hat der Fall aber für die gesamte Politelite.

Cameron richtete am Donnerstag über einen Sprecher aus, er werde bei der Aufarbeitung der Vorwürfe kooperieren und Anfragen „positiv beantworten“, wenn die Details der jeweiligen Befragung geklärt seien. Ob der frühere Premier dazu persönlich erscheinen oder lediglich Unterlagen liefern wird, steht noch nicht fest.

Der nunmehrige, ebenfalls konservative, Amtsinhaber Boris Johnson hatte am Mittwoch eine unabhängige Prüfung der Causa Greensill angeordnet. Dabei vermied er es bei einer Rede im Parlament, Cameron Rückendeckung zu geben, und sagte, offenbar seien Grenzen zwischen Politik und Privatwirtschaft überschritten worden. Der Anwalt Nigel Boardman soll bis Juni Bericht erstatten.

Untersuchungsausschuss im Parlament abgelehnt

Aus Sicht der Labour-Opposition ist das nur eine Verzögerungstaktik – sie fordert einen Untersuchungsausschuss. Man müsse „den Filz und die Vetternwirtschaft im Herzen dieser Regierung“ stoppen, sagte Oppositionsführer Keir Starmer. Eine Mehrheit für einen Ausschuss fand sich allerdings nicht. Der Konkurs von Greensill bedroht indessen auch Tausende Arbeitsplätze bei dem britischen Stahlhersteller Liberty Steel, den die Firma mitfinanziert hat.

Ehemaliger britischer Premierminister David Cameron
Reuters/Simon Dawson
Ex-Premier Cameron beteuert, nichts Unrechtes getan zu haben

Die Greensill-Gruppe wurde 2011 von dem Australier Lex Greensill gegründet und spielte eine wichtige Rolle bei der Finanzierung von Lieferketten. Cameron, von 2010 bis 2016 im Amt, hatte den Banker zunächst 2012 als Berater in die Regierung geholt. Nach seinem Rücktritt als Premierminister wurde er dort selbst Lobbyist.

Cameron: Falsche Kommunikationskanäle gewählt

Im Frühling 2020 warb Cameron für Greensill bei Finanzminister Rishi Sunak um Unterstützung – in privaten Textnachrichten. Zudem arrangierte er Zusammenkünfte mit Gesundheitsminister Matt Hancock, um Greensill Aufträge des nationalen Gesundheitssystems NHS zu verschaffen. Cameron hat mittlerweile eingeräumt, er hätte besser nur „durch die formalsten Kanäle“ mit der Regierung Kontakt aufgenommen, Regeln hätte er aber nicht gebrochen.

Neue Fahrt nahm der Fall Anfang der Woche auf, als bekanntwurde, dass ein führender Beamter, Bill Crothers, während seiner Regierungstätigkeit Teilzeit für Greensill arbeitete – mit Erlaubnis der Regierungsbehörde Cabinet Office. Dabei soll Crothers als Chef des Beschaffungsapparats – verantwortlich für Steuergelder von 40 Milliarden Pfund (46,1 Mrd. Euro) – Projekte angeschoben haben, die in Greensills Interesse lagen. Crothers Engagement bei Greensills hatte im September 2015 begonnen, zwei Monate später gab er seinen Regierungsposten auf.

Crothers gab zu Protokoll, dass die Genehmigung seiner Doppelrolle seitens des Cabinet Office der Grund gewesen sei, warum er nie um die Erlaubnis des Beratenden Ausschusses für Ernennungen (Advisory Committee on Business Appointments, ACOBA) angesucht hatte. ACOBA prüft in Großbritannien Anträge ehemaliger Minister, hoher Beamter und anderer Staatsbediensteter, die einen Job in der Privatwirtschaft annehmen wollen.

Augenbrauen „um einen Viertelzoll“ gehoben

Zudem sei seine Doppelrolle laut Crothers „nicht ungewöhnlich“. „Gut zu wissen, dass die Verantwortlichen für den gesamten öffentlichen Dienst das Gefühl haben, genug Zeit für sechsstellig honorierte Auftritte außerhalb der Geschäftszeiten im privaten Sektor zu haben“, kommentierte das Onlineportal Politico.

Der derzeitige ACOBA-Vorsitzende Eric Pickles räumte daraufhin ein, dass es offenbar Probleme mit den Lobbyingregeln gebe, wie die „Times“ berichtete. Seine Augenbrauen hätten sich „um einen Viertelzoll“ gehoben, als er Crothers Doppelrolle gewahr wurde. Die Öffentlichkeit habe nun ein Recht darauf, die genauen Regelungen bei Zweitbeschäftigungen politisch tätiger Personen zu erfahren. Crothers „besondere Position in Bezug auf die Leitung des Beschaffungsapparats und die Arbeit für eine kommerzielle Organisation, ist etwas, das eine vollständige und offene und transparente Erklärung erfordert“.

„Drehtür“ in vollem Betrieb

Machenschaften wie diese sind freilich nicht neu, analysierte der „Guardian“, die Lobbyingregeln seien zahnlos, eine Nähe zwischen Politik und Wirtschaft gestattet bis erwünscht. Diese „Drehtür“ bringe „nicht nur erfahrene Personen mit Fachwissen in die Regierung, sondern auch eine Sichtweise, die private gegenüber öffentlichen Interessen bevorzugt. Umgekehrt bieten sich für einflussreiche Polittreibende lukrative Möglichkeiten, künftig in Bereichen zu profitieren, über die sie derzeit bestimmen.“

Den Torys kommt die Greensill-Causa alles andere als gelegen – die Vorwürfe der Vetternwirtschaft häufen sich. Zu Beginn der Coronavirus-Pandemie wurden milliardenschwere Aufträge für Masken und andere Schutzkleidung ohne ausreichende Ausschreibung an Großspender der Konservativen und Freunde von Ministern verteilt, wie auch ein Gericht kritisierte. Von „einer Rückkehr des Tory-Filzes“, sprach Labour-Chef Starmer.