VfGH bekommt Unterstützung gegen Sondervoten

Auf den Verfassungsgerichtshof (VfGH) kommt eine gravierende Änderung zu: Geht es nach den Plänen der ÖVP-Grünen-Regierung soll es den VfGH-Richtern und -Richterinnen künftig möglich sein, von einer Entscheidung abweichende Meinungen (Sondervoten) zu veröffentlichen. Das Höchstgericht spricht sich gegen Sondervoten aus und bekommt Unterstützung von unterschiedlichsten Seiten.

Am Montag endet die Begutachtungsfrist für den Entwurf des Informationsfreiheitspaket, in dem auch die Sondervorten geregelt werden sollten. Der VfGH hatte bereits angemerkt, dass Sondervoten („dissenting opinion“) mit der „bewährten Arbeitsweise“ am Höchstgericht „nicht vereinbar“ seien und die Akzeptanz von Entscheidungen „beeinträchtigen“ könnten.

Richter gegen Einführung von Sondervoten

Allen voran stellt sich nun die Justiz hinter den VfGH. Die Vereinigung der heimischen Richterinnen und Richter betont, dass das Vertrauen in die VfGH-Entscheidungen und deren Akzeptanz in der Bevölkerung „absolute Priorität gegenüber allfälligen akademischen Interessen an einer dissenting opinion“ hätten. Damit spricht die Richtervereinigung die Forderung aus der Rechtswissenschaft nach Sondervoten an.

Laut Oberlandesgericht Wien wird ein Gegenargument zur Einführung von Sondervoten durch das „enge zeitliche“ Zusammentreffen der Ernennung „eines aus dem Ministeramt scheidenden Juristen“ zum VfGH-Mitglied (Wolfgang Brandstetter, Anm.) mit dem Gesetzesentwurf wieder bedeutsam: Der Außenauftritt des VfGH könnte geschwächt werden, „wenn einzelne Mitglieder dem Versuch ausgesetzt sein könnten, eine von ihnen erwartete Haltung zu bestimmten Verfassungsfragen zu belegen“.

Das Bundesverwaltungsgericht (BvWG) teilt die Bedenken einer „richterlichen Disziplinierung“ und „politischen Einflussnahme“ durch die Einführung von Sondervoten. Würden abweichende Meinungen veröffentlicht, „könnte (partei-)politischer Druck die Unabhängigkeit der Richter/innen einschränken“, so der BvWG. Falls der Gesetzgeber Sondervoten trotzdem einführen wolle, müsse die Unabhängigkeit gesetzlich abgesichert werden, etwa durch Anonymität.

Warum im Informationsfreiheitspaket?

Aus den Rechtsdiensten der Landesregierungen heißt es etwa, dass die Einführung von Sondervoten „nicht notwendig“ sei. Durch die Veröffentlichung abweichender Meinungen könnte die VfGH-Entscheidung geschwächt werden, heißt es aus dem Verfassungsdienst in Salzburg. Aus der Sicht des Landes Tirol müsse eine solche Maßnahme „wohldurchdacht“ sein, sie sei aber jetzt „weder unbedingt erforderlich noch kurzfristig notwendig“.

In den Stellungnahmen wird auch öfters die Frage gestellt, warum die Änderung am VfGH überhaupt Teil des Informationsfreiheitspakets ist. Laut Erläuterungen aus dem Bundeskanzleramt wird auf das „Interesse der Transparenz“ hingewiesen. Das Oberlandesgericht Wien entgegnet: „Da die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs ohnedies öffentlich sind, können sie nicht noch zusätzlich transparenter werden.“

Dass „Transparenz“ als Argument für die Einführung von Sondervoten herangezogen wird, „kann dem Umstand geschuldet sein, dass dieses Vorhaben als zum Thema ‚Informationsfreiheit‘ passend dargestellt werden soll“, so das Oberlandesgericht Wien weiter.

Einfachgesetzliche Änderung möglich

In einer Stellungnahme eines Juristen wird der Vorteil einer „dissenting opinion“ betont: Der Entwicklungsprozess in Sachen Spruchpraxis könne beschleunigt werden. Darauf beruft sich auch die Datenschutz-NGO epicenter.works, die sowohl die Vor- als auch die Nachteile in abweichenden Meinungen im VfGH sieht.

Ein anderer Jurist hält allerdings entgegen, im jetzigen Entwurf mangle es an Argumenten für die Einführung. So bestehe lediglich der Eindruck, dass es darum ginge, die Qualität der Entscheidungen des VfGH durch Sondervoten in Zweifel zu ziehen.

Um das Informationsfreiheitspaket umzusetzen, benötigt die ÖVP-Grünen-Koalition die Stimmen von SPÖ und FPÖ. Beide lehnten allerdings die Einführung von Sondervoten bereits ab. Eine Möglichkeit besteht allerdings darin, dass ÖVP und Grüne diesen Teil aus dem Paket rausnehmen und zum Beispiel als Initiativantrag im Nationalrat beschließen – denn dafür braucht es keine Verfassungsmehrheit.