Laut Tschechiens Innenminister Jan Hamacek, der aktuell auch das Außenministerium führt, handle es sich bei den 18 Beschäftigten der russischen Botschaft um Agenten. Hamacek will das Thema am Montag bei den Beratungen der EU-Außenminister ansprechen. Industrie- und Handelsminister Karel Havlicek will außerdem auch weitere Konsequenzen ziehen: Er erachte es für fast ausgeschlossen, dass sich die russische Firma Rosatom an der Ausschreibung zum Ausbau des Kernkraftwerks Dukovany beteiligen könnte.
Der tschechische Staat werde Rosatom wahrscheinlich nicht einmal zum Verfahren zur Bewertung des Sicherheitsrisikos einladen, sagte Havlicek im TV-Sender Prima. Laut Havlicek wird die Regierung in einer Sitzung am Montag darüber entscheiden.
„Staatsterrorismus“ und „Vergeltungsmaßnahmen“
Tschechien wirft dem russischen Geheimdienst GRU vor, in die Explosion eines Munitionslagers in Vrbetice, Südmähren, im Jahr 2014 verwickelt gewesen zu sein. Dabei wurden zwei Beschäftigte einer Rüstungsfirma getötet. Als Reaktion darauf weise man 18 russische Botschaftsmitarbeiter aus, die eindeutig als Mitarbeiter der Geheimdienste SWR und GRU identifiziert worden seien, hatte Hamacek gesagt.
Ministerpräsident Andrej Babis sprach am Wochenende von „eindeutigen Beweisen“. „Tschechien ist ein souveräner Staat und muss auf diese nie dagewesenen Enthüllungen in entsprechender Form reagieren“, sagte Babis. Der Präsident des Senats, Milos Vystrcil, sprach von „Staatsterrorismus“.
Moskau wies die Vorwürfe zurück. Prag sei sich sehr bewusst, was auf „solche Art von Spielen“ folge, sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, nach Angaben russischer Medien. Das Ministerium kündigte in einer Erklärung „Vergeltungsmaßnahmen“ an, „die die Urheber dieser Provokation zwingen, ihre volle Verantwortung für die Zerstörung der Grundlage der normalen Beziehungen zwischen unseren Ländern zu verstehen“.
Sonntagabend meldeten russische Medien unter Berufung auf das Außenministerium, dass Moskau als Vergeltung 20 tschechische Diplomaten des Landes verweist. Sie hätten 24 Stunden Zeit, Russland zu verlassen.
Zusammenhang mit Fall Skripal
Die tschechische Polizei veröffentlichte Fahndungsfotos von zwei Tatverdächtigen. Die Bilder zeigen zwei Russen, die bereits in Zusammenhang mit einem Nervengiftanschlag auf den früheren Doppelspion Sergej Skripal in Großbritannien 2018 gesucht werden. Russland weist jede Verwicklung in den Fall Skripal zurück. Großbritannien unterstütze Tschechien „voll“, sagte Großbritanniens Außenminister Dominic Raab am Sonntag.
Die beiden mutmaßlichen GRU-Spione waren nach Polizeiangaben Mitte Oktober 2014 sechs Tage lang in Tschechien. Dabei hätten sie sich – wie später in England – als Alexander Petrow und Ruslan Boschirow ausgegeben. Sie hätten auch die Region Zlin besucht, in der sich das Munitionslager befindet.
Das Munitionslager wurde von Rüstungsfirmen genutzt. Nach einem Bericht des Magazins „Respekt“ war ein Teil der Güter für die Ukraine bestimmt, die im Osten gegen prorussische Separatisten kämpft. Nach den Explosionen waren Soldaten zwei Jahre lang damit beschäftigt, Blindgänger zu entschärfen und das Areal wieder sicher zu machen.
Reise nach Moskau abgesagt
Die Enthüllungen kommen überraschend. Ursprünglich hatte Innenminister Hamacek am Montag nach Moskau reisen wollen, um über Lieferungen des Coronavirus-Impfstoffs „Sputnik V“ zu verhandeln. Die Reise wurde kurzfristig abgesagt. Zuletzt gab es vor einem Jahr Spannungen zwischen Tschechien und Russland. Auslöser war die Entfernung einer Statue des sowjetischen Weltkriegsgenerals Iwan Konew in Prag.
Kürzlich erst hatten die USA und Polen zusammen 13 russische Diplomaten ausgewiesen, unter anderem mit Verweis auf einen Hackerangriff. Daraufhin hatte Russland seinerseits 15 Diplomaten der beiden Staaten des Landes verwiesen. Zudem gibt es neue Spannungen zwischen Russland und der Ukraine.
Tschechien will das umstrittene AKW, das nur 50 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt liegt, erweitern. Die tschechische Atombehörde erteilte dem Bau von zwei neuen Reaktoren in Dukovany die Genehmigung. Geplant ist der Baubeginn 2029 und die Inbetriebnahme des neuen Reaktors im Jahr 2036. Vier Bewerber um den Auftrag waren im Spiel: die französische EdF, die südkoreanische KNHP, die US-amerikanische Westinghouse und die russische Rosatom. Der chinesische Bewerber CGN soll vom Tschechischen Energiekonzern (CEZ) nicht angesprochen werden.