Der russische Präsident Wladimir Putin
AP/Pavel Golovkin
Vor Rede an die Nation

Putins Dauerclinch mit dem Westen

Der russische Präsident Wladimir Putin hält am Mittwoch wieder seine Rede an die Nation – inklusive der russischen Außenpolitik. Mit der EU und den USA liegt der starke Mann im Kreml seit geraumer Zeit im Dauerclinch: etwa wegen des Konflikts um die Ukraine inklusive der jüngsten Truppenbewegungen an der Grenze und wegen des Umgangs der russischen Behörden mit dem Kreml-Kritiker Alexej Nawalny.

Das Team von Nawalny rief für Mittwoch, eben dem Tag der Putin-Rede, zu Protesten auf, damit Nawalny von einem unabhängigen Arzt behandelt wird. Noch am Dienstag hieß es von seinen Anwälten, dass Nawalny die medizinische Versorgung verwehrt werde. Nawalnys Mitarbeiter Iwan Schdanow erwartet ein Täuschungsmanöver des Kremls. „Es ist klar, dass wir vor der Kundgebung eine ‚gute Nachricht‘ über Alexejs Gesundheit bekommen. Lasst Euch nicht davon täuschen“, so Schdanow. Die russischen Behörden warnten derweil vor einer Teilnahme an den nicht genehmigten Aktionen und kündigten ein hartes Durchgreifen wie bei den Protesten im Jänner an.

Angesichts der Gesundheitsprobleme Nawalnys drohten die USA bereits der Regierung in Moskau mit „Konsequenzen, falls Nawalny stirbt“. Es gebe verschiedene mögliche Maßnahmen, warnte der nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, kürzlich im Fernsehsender CNN. Am Montag bekräftigte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, dass Moskau von der internationalen Gemeinschaft zur Verantwortung gezogen werde, sollte Nawalny in Haft sterben. Nawalny müsse menschenwürdig behandelt werden, forderte Psaki. Die EU stieß ins selbe Horn und forderte Nawalnys sofortige Freilassung.

Kreml-Gegner Alexej Nawalny
AP/Mstyslav Chernov
Nawalny vor seinem Flug von Berlin nach Moskau am 17. Jänner

Gesundheitsprobleme und Hungerstreik

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow kritisierte die Sorge des Westens um Nawalny als eine Einmischung in innerrussische Angelegenheiten und sagte, die Regierung überwache „den Gesundheitszustand russischer Gefangener nicht“. Nawalny war am Montag aus dem Straflager Pokrow in ein Gefängniskrankenhaus in einem Straflager in derselben Region gebracht worden. Die Gefängnisbehörde hatte seinen Zustand als „akzeptabel“ bezeichnet. Zuvor hatten seine Ärzte jedoch vor einem drohenden Herzinfarkt gewarnt.

Der Oppositionspolitiker kämpft seit drei Wochen mit einem Hungerstreik für eine angemessene medizinische Versorgung. Angaben seiner Unterstützer und Unterstützerinnen zufolge klagte er zuletzt unter anderem über heftige Rückenschmerzen und Taubheitsgefühle in Armen und Beinen. Nawalny hatte im vergangenen August einen Anschlag in Russland mit einem Nervengift aus der Nowitschok-Gruppe überlebt und den Kreml für den Angriff verantwortlich gemacht. Er war in Deutschland behandelt worden und reiste dann allerdings nach Moskau zurück.

Gefängnisskrankenhaus in Vladimir, Russland
Reuters/Alexander Reshetnikov
In diesem Militärkrankenhaus soll Nawalny untergebracht sein

Besorgnis über russische Truppenkonzentration

Ein weiterer großer Konfliktpunkt ist der Umgang Moskaus mit der Ukraine. Russland stationierte nach Angaben des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell inzwischen 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine und auf der annektierten Halbinsel Krim, wie Borrell am Montag nach Beratungen der EU-Außenminister bekanntgab. Am Nachmittag hatte der EU-Außenbeauftragte die Zahl noch mit 150.000 angegeben und vom „größten russischen Militäraufmarsch an ukrainischen Grenzen“ gesprochen, „den es je gab“. Am Abend korrigierte die EU die Zahl auf 100.000 Soldaten ohne Angabe von Gründen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete die Truppenkonzentration am Dienstag als „besorgniserregend“.

In dem seit 2014 andauernden Konflikt mit prorussischen Separatisten in der Ostukraine wurden mehr als 13.000 Menschen getötet. Seit Mitte Februar gibt es wieder verstärkte Kampfhandlungen, die einen ohnehin brüchigen Waffenstillstand weiter untergruben. Moskau verlegte in den vergangenen Wochen Zehntausende russische Soldaten an die ukrainische Grenze.

Ukrainischer Soldat im Grenzgebiet
AP
Ein ukrainischer Soldat nahe der Gebiete der Aufständischen

Seemanöver im Schwarzen Meer

Russland hielt auch ein Militärmanöver mit mehr als 20 Kriegsschiffen im Schwarzen Meer ab. An der Übung seien auch Kampfjets der Luftwaffe beteiligt gewesen, teilte das russische Verteidigungsministerium am Dienstag mit. Zudem wurden mehr als 50 Flugzeuge auf die Krim verlegt.

Die russische Schwarzmeer-Flotte hielt ebenfalls ein Manöver ab, bei dem nach Militärangaben auch der „Unterwasserkampf“ trainiert wurde. Zudem kündigte die russische Regierung vergangene Woche an, ab Ende April Teile des Schwarzen Meeres nahe der Krim für ausländische Kriegsschiffe und andere staatliche Schiffe sechs Monate lang zu sperren. Betroffen wären die ukrainischen Häfen am Asowschen Meer.

Alles nur ein Test für Biden?

Warum die Spannungen seit Ende März wieder enorm stiegen, wird unterschiedlich interpretiert. Bei der NATO wird unter anderem die These vertreten, dass Putin austesten will, wie weit die Unterstützung der neuen US-Regierung für die Ukraine geht. Als Horrorszenario gilt, dass Russland mit den Aufständischen in der Ostukraine eine Großoffensive planen könnte, um sich den Zugriff auf den Nord-Krim-Wasserkanal bis zum Fluss Dnipro zu sichern. In Moskau sieht man den Konflikt indes anders. Russland reagiere nur auf Provokationen aus Kiew. Die Ukraine will die NATO und besonders die USA zu einem stärkeren Einsatz in dem Konflikt bewegen, um den Druck auf Russland zu erhöhen.

„Wir rufen Russland auf, die Truppen von der ukrainischen Grenze zurückzuziehen“, sagte Borrell. „Derzeit“ gebe es keine Vorbereitungen für neue EU-Sanktionen gegen Russland, so Borrell weiter. Die Dinge können sich aber ändern. Die EU hat seit der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 umfassende Sanktionen gegen Moskau verhängt. Sie umfassen auch Wirtschaftssanktionen und wurden seitdem immer per einstimmigem Beschluss verlängert.

US-Präsident Joe Biden
Reuters/Tom Brenner
US-Präsident Joe Biden will sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin treffen

US-Botschafter kehrt nach Washington zurück

Inmitten dieser starken Spannungen zwischen Russland und den Vereinigten Staaten verlässt US-Botschafter John Sullivan Moskau vorübergehend. Er werde in dieser Woche für Konsultationen nach Washington zurückkehren, teilte der Diplomat am Dienstag in Moskau mit. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte Sullivan in der vergangenen Woche die Heimreise nahegelegt, nachdem die USA zehn russische Diplomaten ausgewiesen und Sanktionen gegen Moskau verhängt hatten.

Die Strafmaßnahmen ergingen unter anderem wegen Vorwürfen, Russlands habe sich in die US-Wahl im vergangenen Jahr eingemischt und für einen Moskau zugeschriebenen Hackerangriff. Zuvor hatte bereits Russland seinen Botschafter Anatoli Antonow aus Washington zu Konsultationen in die Heimat zurückgerufen. Dazu kam es, nachdem Biden in einem Interview die Frage bejaht hatte, ob er seinen russischen Kollegen Putin für einen „Killer“ halte. Auf die jüngsten US-Sanktionen hatte Russland ebenfalls mit Strafmaßnahmen reagiert und im Gegenzug auch zehn US-Diplomaten ausgewiesen.

Noch keine Klarheit über Gipfel Biden – Putin

„Ich glaube, es ist wichtig für mich, direkt mit meinen neuen Kollegen in der Biden-Regierung in Washington über den gegenwärtigen Zustand in den bilateralen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland zu sprechen“, teilte Sullivan mit. Er habe auch seine Familie seit mehr als einem Jahr nicht mehr gesehen. „Das ist ein weiterer wichtiger Grund für mich, für einen Besuch nach Hause zurückzukehren.“

Er wolle in einigen Wochen wieder nach Moskau zurückkommen – vor einem möglichen Gipfeltreffen Bidens mit Putin, sagte der Diplomat. Der Kreml-Chef hat bisher nicht zugesagt, lässt aber die Möglichkeit eines persönlichen Treffens mit seinem US-Kollegen in einem europäischen Land in diesem Sommer prüfen. Mehrere EU-Länder, darunter Österreich, haben sich dafür bereits als Gastgeber angeboten.

Trotzt der Spannungen wird Putin sich allerdings am Donnerstag am internationalen Klimagipfel beteiligen, zu dem er von Biden eingeladen worden ist. Wie der Kreml am Montag mitteilte, will Putin bei der virtuellen Veranstaltung den „russischen Ansatz“ im Rahmen einer „breiten internationalen Zusammenarbeit“ vorstellen, um „die negativen Auswirkungen des Klimawandels zu überwinden“. Zu dem zweitägigen Gipfel, der am internationalen Tag der Erde beginnt, sind rund 40 Staats- und Regierungschefs eingeladen.