Der russische Präsident Vladimir Putin.
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„Rote Linie“

Putin warnt Ausland vor „Provokationen“

Angesichts wachsender Spannungen mit dem Westen hat Russlands Präsident Wladimir Putin vor jeglichen „Provokationen“ aus dem Ausland gewarnt. Man werde hart und schnell reagieren, sagte Putin bei seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation am Mittwoch im Parlament in Moskau. Unterdessen sind in mehreren Städten am Abend Proteste für den inhaftierten und offenbar gesundheitlich schwer angeschlagenen Kreml-Gegner Alexej Nawalny geplant.

Putins Rede fand vor Hunderten Vertretern der politischen Elite des Landes, vor Vertretern aus Wirtschaft, Kultur und Religion statt. Fast niemand trug den vorgeschriebenen Mund-Nasen-Schutz. Putin kritisierte die Haltung anderer Staaten gegenüber Russland. Er sprach von andauernden und grundlosen unfreundlichen Handlungen gegen Russland, die bis in den Sport reichten. Moskau strebe zwar gute Beziehungen zu anderen Ländern an und sei zu Dialog bereit, er hoffe aber, dass kein Staat Russlands „rote Linien“ überschreiten werde, sagte Putin. Russland werde immer einen Weg finden, seine Interessen zu verteidigen.

Die Beziehungen zu den USA, der Europäischen Union und der NATO haben sich zuletzt stark verschlechtert und sind so angespannt wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Hintergrund sind unter anderem das Vorgehen gegen Nawalny und der wieder verschärfte Konflikt in der Ostukraine, wo die Führung in Moskau prorussische Separatisten unterstützt und Zehntausende Soldaten an der Grenze zusammengezogen hat.

Die USA haben zudem neue Sanktionen wegen des Vorwurfs der russischen Einmischung in die US-Wahl verhängt. Ferner warf Tschechien am Wochenende Russland vor, für einen Anschlag auf ein Munitionslager in dem NATO-Land vor rund sieben Jahren verantwortlich zu sein. Beide Länder wiesen daraufhin gegenseitig zahlreiche Diplomaten aus. Tschechien protestierte offiziell gegen die Maßnahme und forderte Russland auf, die Rückkehr der Botschafter zu ermöglichen. Andernfalls werde man eine Verkleinerung des Botschaftspersonals erwägen.

Bild zeigt den Saal in dem der russiche Präsident Valdimit Putin seine Rede an die Nation abhält.
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Putin bei seiner diesjährigen Rede an die Nation

Westen zweierlei Maß vorgeworfen

Putin sagte, dass unlängst in Weißrussland ein Attentat auf Machthaber Alexander Lukaschenko vereitelt worden sei. Putin kritisierte, dass der Westen bis heute nicht auf diese Vorwürfe eingegangen sei. Der russische Inlandsgeheimdienst FSB und der KGB in Weißrussland hatten am Wochenende die mutmaßlichen Umsturzpläne öffentlich gemacht und mitgeteilt, dass zwei Verdächtige festgenommen worden seien, darunter ein Mann mit einem US-Pass.

Es könne unterschiedliche Ansichten zur Politik Lukaschenkos geben. „Aber die Praxis der Organisation von staatlichen Umstürzen, die Pläne für politische Morde, darunter auch an höchsten Funktionären – das geht zu weit. Da sind schon alle Grenzen überschritten“, sagte Putin. Er erinnerte daran, dass in der Ukraine 2014 auch der damalige Präsident Viktor Janukowitsch gestürzt und beinahe „getötet“ worden sei. Janukowitsch rettete sich nach Russland.

Kreml-Gegner Alexej Nawalny
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Nawalny vor seinem Flug von Berlin nach Moskau am 17. Jänner

Die russische Führung wirft dem Westen immer wieder vor, Revolutionen auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion anzuzetteln – mit dem Ziel, missliebige Regierungen zu stürzen. In Russland sieht sich etwa die Bewegung um Nawalny Vorwürfen ausgesetzt, Putins Machtapparat mit westlicher Hilfe stürzen zu wollen. Am Montag soll ein Gericht entscheiden, ob Nawalnys Organisationen als extremistisch eingestuft werden. Kommentatoren haben keine Zweifel, dass es dazu kommt. Das soll die Arbeit der Opposition vor der Parlamentswahl im Herbst lahmlegen.

Nawalny-Vertraute vor Protesten festgenommen

Vor Protesten gegen die Inhaftierung des Oppositionellen Nawalny wurden zwei enge Mitarbeiterinnen festgenommen. Seine Pressesprecherin Kira Jarmysch wurde laut ihrer Anwältin am Mittwochvormittag von Beamten in ihrem Hauseingang in Moskau aufgegriffen, als sie gerade einkaufen gehen wollte. Die Juristin Ljubow Sobol, ebenfalls eine Vertraute Nawalnys, wurde ihrem Anwalt zufolge von Polizisten aus einem Taxi gezerrt und weggebracht.

Bereits am Dienstag waren Nawalny-Mitarbeiter in mehreren Städten festgenommen worden. Nawalnys Team hat für Mittwoch in mehr als 160 russischen Städten spontan Proteste angekündigt, weil sich der Gesundheitszustand des 44-Jährigen im Straflager stark verschlechtert haben soll. Der Oppositionelle, der im vergangenen Sommer nur knapp einen Giftanschlag überlebte, klagt bereits seit Längerem über starke Rückenschmerzen und Lähmungserscheinungen in Arm und Bein. Aus Protest gegen mangelnde medizinische Versorgung ist er vor rund drei Wochen in einen Hungerstreik getreten. Zu Wochenbeginn wurde er in ein Gefängniskrankenhaus verlegt.

Gefängnisskrankenhaus in Vladimir, Russland
Reuters/Alexander Reshetnikov
In diesem Gefängniskrankenhaus soll Nawalny untergebracht sein

Bereits Dutzende Festnahmen

Am späten Mittwochnachmittag formierten sich indes in mehreren russischen Städten die ersten Demonstrationen von Anhängerinnen und Anhängern Nawalnys. Dabei wurden rasch 200 Festnahmen gemeldet. In mehreren Städten riegelten Behörden vor den Protesten die Stadtzentren ab. In der Großstadt Jekaterinburg östlich des Ural-Gebirges etwa kündigte die Stadtverwaltung mit Verweis auf eine nächtliche Militärübung kurzfristig die vorübergehende Sperrung mehrerer Straßenzüge an.

Auch in der Hauptstadt Moskau wurden zahlreiche Metallgitter unweit des Roten Platzes aufgestellt. Die Stadt Moskau hatte vor einer Teilnahme an den nicht genehmigten Demonstrationen gewarnt und angekündigt, „alle notwendigen Maßnahmen“ zu ergreifen, um die öffentliche Ordnung zu gewährleisten.

Putin ruft Russen zum Impfen auf

Russlands Präsident Wladimir Putin hat die russische Bevölkerung in seiner Rede an die Nation zum Impfen aufgerufen.

Russische Behörden hatten bereits früher Demonstrationen gewaltsam aufgelöst und dabei Tausende Menschen festgenommen. „Wie üblich meinen sie, dass es keinen Protest geben wird, wenn sie die ‚Anführer‘ isolieren“, sagte Leonid Wolkow, ein enger Vertrauter Nawalnys. „Das ist natürlich falsch.“ Ein anderer Nawalny-Anhänger twitterte: „Im Moment werden in ganz Russland potenzielle Demonstranten verhaftet. Das ist Unterdrückung. Das kann nicht akzeptiert werden. Wir müssen gegen diese Dunkelheit kämpfen.“

Finanzielle Unterstützung für Familien vor Parlamentswahl

Fünf Monate vor der Parlamentswahl stellte Putin eine bessere finanzielle Unterstützung von Familien in Russland in Aussicht. 10.000 Rubel (rund 108 Euro) gebe es einmalig für alle Schulkinder und Kinder vor ihrer Einschulung, sagte der Präsident. Der Betrag soll im August ausgezahlt werden – unmittelbar, bevor die Eltern an die Wahlurnen gehen sollen.

Monatlich 5.650 Rubel (61 Euro) versprach Putin pro Kind im Alter von acht bis 16 Jahren, das lediglich von einem Elternteil aufgezogen werde. Bisher gab es staatliche Hilfe nur für jüngere Kinder. Er kündigte zudem den Bau von 1.300 neuen Schulen für eine Million Kinder an. Putin will mit zusätzlicher Unterstützung von Familien auch das Bevölkerungswachstum ankurbeln. „Die Statistik liefert uns leider enttäuschende Zahlen.“ Niedrige Einkommen sieht er als ein Hindernis, dass in Russland wieder mehr Kinder geboren werden.

Im vergangenen Jahr war die Einwohnerzahl Russlands auch wegen vieler Todesfälle in der Pandemie um eine halbe Million auf 146,2 Millionen geschrumpft. „Wir sehen einen gewissen Rückgang“, sagte Putin. Das Problem hat er wiederholt angesprochen.

Putin ruft zum Impfen auf

Einen großen Teil seiner Rede widmete Putin auch dem Thema Coronavirus. Er rief in seiner Rede die Bevölkerung zu Impfungen auf. „Nur so kann die tödliche Krankheit besiegt werden. Es gibt keinen anderen Weg“, so Putin. „Lassen Sie sich bitte impfen!“ Der 68-Jährige hatte in der vergangenen Woche nach eigenen Angaben die zweite Impfung gegen das Virus erhalten. Zugleich forderte Putin, dass der Impfstoff flächendeckend in Russland verfügbar sein müsse. Es gibt immer wieder Berichte, dass Menschen in vielen Regionen lange auf eine Impfung warten müssen. Dagegen können sich die Moskauer sogar in großen Einkaufszentren spritzen lassen.

Bisher sind in dem Land mit seinen etwa 146 Millionen Einwohnern vergleichsweise wenige Menschen immunisiert. Nach jüngsten offiziellen Angaben sind bisher mehr als fünf Prozent der Bevölkerung geschützt. Putin zufolge soll bis zum Herbst die Bevölkerung so geimpft sein, dass eine Herdenimmunität entstehe. Angesichts hoher Infektionswerte im Ausland mahnte Putin zur Wachsamkeit. „Es müssen alle Wege der Verbreitung kontrolliert werden.“ Russland hat drei eigene Impfstoffe gegen das Coronavirus.

Auch Klimawandel Thema

Putin, dessen Land zu den größten Umweltsündern der Welt gehört, sagte einen entschlossenen Beitrag seines Landes im Kampf gegen den Klimawandel zu. „Wir müssen die Herausforderungen des Klimawandels annehmen“, sagte Putin. Dafür müsse es Veränderungen in der Landwirtschaft, der Industrie, beim Wohnungsbau, den kommunalen Versorgungsbetrieben und in der gesamten Infrastruktur geben.

Putin stellte in Aussicht, im Kampf gegen den Klimawandel mit „Härte“ vorzugehen. Als Ziel formulierte er, den Ausstoß von Treibhausgasen innerhalb der kommenden 30 Jahre unter den der EU zu drücken. „Ich bin überzeugt, dass ein solches Ziel angesichts unseres wissenschaftlichen und technologischen Potenzials definitiv realisierbar ist.“ Bisher beruht die Wirtschaftsleistung Russlands in großem Ausmaß auf der Förderung von Erdgas und Erdöl sowie auf der Schwerindustrie. Regelmäßig wird das Land von ökologischen Katastrophen heimgesucht. Der Großteil des russischen Mülls landet auf Halden unter freiem Himmel.