Jutta Koether: Unvollendete Sympathie, 2002
Sammlung Wolfgang Tillmans
Europa in Graz

Mit der Antike Richtung Zukunft

Ausgerechnet mit einer Ausstellung zu einem derzeit unpopulären Thema startet die „Halle für Kunst Steiermark“ in eine neue Ära. Das ehemalige Grazer Künstlerhaus konnte dank einer kräftigen Budgeterhöhung eine Neuausrichtung verwirklichen. Das Debüt macht die Gruppenschau „Europa: Antike Zukunft“ mit einer poetischen Annäherung an den alten Kontinent.

Am Grazer Burgring steht neuerdings ein griechischer Tempel. Anlässlich der Ausstellung „Europa: Antike Zukunft“ erheben sich wuchtige Säulen samt Giebel vor der Fassade des ehemaligen Künstlerhauses. Bei diesem Vorbau handelt es sich um eine Kulisse, eine ironische Hellenisierung. Das 1952 errichtete Ausstellungsgebäude eröffnet dieser Tage neu als „Halle für Kunst Steiermark“.

Direktor Sandro Droschl konnte für den Relaunch seiner Institution stolze 40 Prozent Budgeterhöhung erreichen. Das Land unterstützt nun jährlich mit 500.000 Euro, der Bund schießt 140.000 Euro zu. Dank dieser Mittel soll sich das Programm stärker international, will heißen, eher am Konzept der Kunsthalle orientieren.

Bekenntnis zu Europa

„Ich wollte mit einer Statement-Show beginnen“, sagt Droschl im Gespräch mit ORF.at. Tatsächlich überrascht das Bekenntnis zu Europa gerade jetzt, wo in jeder Staat sein eigenes Coronavirus-Süppchen zu kochen scheint. Europa werde schon seit Jahrzehnten in einem eher negativen Licht gesehen, so Droschl, diese Tendenz habe sich nur verstärkt. „Ich finde es auffällig, dass dieses Desinteresse und diese Ablehnung bis in künstlerisch-intellektuelle Kreise hineinreicht. Es steht nahezu niemand für Europa als Idee ein.“

Fotostrecke mit 8 Bildern

Halle für Kunst
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Mit einer Fassade wie ein griechischer Tempel lädt die Halle für Kunst zu „Europa: Antike Zukunft“.
Bild zeigt Installationen der Ausstellung „Europa: Antike Zukunft“ in der Halle für Kunst in der Steiermark.
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Ausstellungsansicht Halle für Kunst; die Installation aus 40 Stoffbannern „Space Poem #4“ (2013) stammt von Renee Green.
Selbstportrait vom Jimmy Durham
Courtesy Christine König Galerie
Jimmy Durham, „Painted Self Portrait“, 2007
Barbara Kapusta: Leaking Body, 2020
Gianni Manhattan, Wien
Barbara Kapusta, „Leaking Body“, 2020, Skulptur aus Rotem Ton
Bild zeigt Installationen der Ausstellung „Europa: Antike Zukunft“ in der Halle für Kunst in der Steiermark.
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Links: das Video „Empathic Creatures“, rechts: verschiedene Handskulpturen, beides von Barbara Kapusta
Shahryar Nashat: Mother on Wheels (Nero Marquina 1), 2016
Künstler und RODEO, London/​Piraeus
Shahryar Nashat, „Mother on Wheels (Nero Marquina 1)“, 2016
Jutta Koether: Unvollendete Sympathie, 2002
Sammlung Wolfgang Tillmans
Jutta Koether, „Unvollendete Sympathie“, 2002
Fotografie einer Karyatid-Skulptur von James Welling.
Courtesy Marian Goodman Gallery
James Welling „Acropolis Museum, Karyatid“, 2019

Farbige Antike

Zu seinem „Wahnsinnsthema“, wie er es nennt, hat der Kurator nun ein Dutzend künstlerischer Positionen versammelt. Er möchte „in die Vergangenheit blicken und historische Ideen in die Zukunft projizieren, um im Heute zu landen“. Dafür wurden eher poetische als plakativ politische Arbeiten ausgewählt.

Ein schönes Beispiel der Retroperspektive stellen die Fotoarbeiten von James Welling dar. Den 70-jährigen US-Künstler beschäftigte die wissenschaftliche Erkenntnis, dass die altgriechischen Tempel und Statuen einst farbig bemalt waren. Welling legt nun Farbfilter über seine Aufnahmen antiker Kunst und fragt damit auf subtile Weise, was es mit der – vermeintlichen – Vorherrschaft der Farbe Weiß auf sich hat.

Installation, variable Maße von Franz West.
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Nicht das Coronavirus, sondern Objektkunst von Franz West, „Epiphanie an Stühlen“ (2011)

Wappen der Neofaschisten

Wie selektiv die Anleihen bei der „Wiege der abendländischen Kultur“ sein können, demonstriert der Wiener Künstler Franz Kapfer. Seine Installation „Im Rücken die Ruinen von Europa“ wird bezeichnenderweise im Keller präsentiert, spiegelt sie doch die dunklen Seiten Europas.

Ausstellungshinweis

„Europa: Antike Zukunft“, Halle für Kunst Steiermark, dienstags bis sonntags 11.00 bis 18.00 Uhr, bis 15. August. Eintritt frei.

An rostigen Ketten hängen dort Holzscheiben von der Decke. Der Künstler hat händisch die Symbole rechtsradikaler Bewegungen hineingesägt. Die Rechtsextremen knüpfen durch griechische Buchstaben und Symbole gerne an einen Überlegenheitsmythos des weißen Mannes an. Nur eine einzelne Glühbirne beleuchtet die Embleme von Neofaschisten, Hooligans und Identitären, die so unheilvolle Schatten werfen.

Empathie statt Freiheitsgedanken

Für Kunsthallenleiter Droschl hat die Frage nach der politischen Gleichheit zuletzt eine höhere Wichtigkeit gewonnen als jene nach der Freiheit. Im Interview verweist er auf die Harvard-Professorin Danielle Allen und deren 2020 erschienenes Buch „Politische Gleichheit“. Anknüpfend an die Schriften von Aristoteles fächert die Altphilologin und Politikwissenschaftlerin darin auf, wie eine zeitgenössische egalitäre Gesellschaft gestaltet werden könnte.

Zu diesen komplexen Überlegungen passt die Installation der Künstlerin Barbara Kapusta. Von ihr stammen die silberglänzenden Hände aus Keramik auf dem Boden, die an die Lebenszeichen Ertrinkender erinnern. Kapustas Animationsvideo „Empathic Creatures“ kreist jedoch nicht um Opfer, sondern um die Frage, wie unterschiedliche Formen zusammenleben können und wie sehr sie sich dafür verbiegen müssen, ohne zu zerbrechen.

Kunst von Franz Kapfer
Franz Kapfer
Franz Kapfer zeigt in „Im Rücken die Ruinen von Europa“ (2009–2011) die Symbole rechtsextremer Bewegungen

Unheilvolle rosa Kugel

Es wäre ja alles schaffbar, würde über unseren Köpfen nicht das Virus hängen: Dieses Gefühl vermittelt die riesige rosa Skulptur von Franz West, die den Eyecatcher des Hauptraums bildet. In ihrem Entstehungsjahr 2011 hieß das Gebilde aus Stahl und PU-Schaum noch „Sputnik“ und sollte auf der Moskauer Kunstbiennale präsentiert werden.

Aber dort passte die X-Large-Plastik nicht durch die Tür des Museums. Nach diesem Reinfall taufte sie der Künstler in „Epiphanie an Stühlen“ um. In Graz wirkt die „Erscheinung“ aus Wests Nachlass frischer denn je, lässt die stachelige Kugel doch unmittelbar an die Coronavirus-Zellpiraten denken.

Antike aus dem 3-D-Drucker

Wenn Oliver Laric ein Objekt zu groß ist, dann lässt er den 3-D-Drucker einfach eine kleinere Kopie produzieren. Der geborene Tiroler beschäftigt sich seit 15 Jahren mit der Digitalisierung antiker und klassizistischer Werke der Bildhauerei. Mittels Scantechnologie stellt er davon reizvolle Kopien her.

Bild zeigt Installationen der Ausstellung „Europa: Antike Zukunft“ in der Halle für Kunst in der Steiermark.
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Antike Plastiken, mit dem 3-D-Drucker reproduziert: Oliver Laric, links „Reclining Pan“, rechts „Sleeping Boy“ (beide 2021)

So etwa den „Schlafenden Jüngling“, der in der jetzigen Ausstellung träumt. Die Plastik setzt sich aus Blöcken in unterschiedlichen Materialien wie Aluminium, Harz und Kunststoff zusammen. Was hat das Original im Zeitalter seiner Hightech-Reproduktion noch für einen Stellenwert? Das ist nur eine der Fragen, die Larics Figur aufwirft.

Ein Lied für Europa

Unter dem Titel „Extremes Europa“ hat die deutsche Malerin Jutta Koether bereits 2002 Bilder für Demokratie und Populismus gesucht. Die Schau zeigt Koethers Triptychon in Zuckerlfarben, in dem dümmliche Gesichter von einer strahlenförmigen Macht in Bann gehalten werden. Die Spannungen zwischen Individuum und Gruppe klingen hier ebenso an wie die Verlockungen von Heilsversprechen und Verschwörungstheorien.

Wie Künstlerinnen und Künstler die aktuellen Kräfte in Europa sehen, wird die Halle für Kunst Steiermark auch in einem dichten Begleitprogramm erkunden. „Es wird Zeit für einen neuen ‚Song for Europe‘!“, forderte Ausstellungsmacher Droschl am Ende der Pressekonferenz mit Anspielung auf die Popnummer von Roxy Music aus dem Jahr 1973. Dabei ließ er außer Acht, dass die heimische Band Bilderbuch vor zwei Jahren ihre Hymne „Europe 22“ veröffentlichte.

Tatsächlich macht es nachdenklich, dass noch im Zuge des Brexit-Referendums ein blauer Kapuzenpulli mit elf gelben Sternen zum modischen Must-have werden konnte. Der „EUnify Hoodie“ bleibt angesichts des schlechten Image der EU dieser Tage im Schrank. Wie gut, dass die Grazer Schau daran erinnert, dass die Idee von Europa weit über dieses Bündnis und die Grenzen des Kontinents hinausgeht.