Party nur für Auserwählte?

Der „Green Pass“-Streit in Israel

Israel ist ein Testfall für den „Grünen Pass“. Wer gegen Covid-19 geimpft ist, bekommt ihn und darf damit fast so wie früher am Leben in der Gesellschaft teilnehmen. Kino- und Konzertbesuche sind dann wieder möglich. Die israelische Rapperin Noga Erez spricht von Selektion und empfindet das als Bürde. Musikschaffende werden in Sozialen Netzwerken angefeindet, weil sie Konzerte nur für Geimpfte geben.

Erez nimmt kein Blatt vor den Mund, rappt und singt auf ihrem aktuellen Album „Kids“ offen über psychische Probleme und gesellschaftspolitische Fragen – darüber, dass sie die Fülle an Informationen zu Beginn der Coronavirus-Krise überfordert hat, und darüber, dass sich Menschen gefakte Views – und damit Anerkennung – in den Sozialen Netzwerken kaufen. Auch was den „Grünen Pass“ und die damit verbundenen wiedererlangten Freiheiten betrifft, ist Erez kritisch.

„Für uns Künstlerinnen ist es sehr hart, mit unseren Shows eine Selektion zu betreiben“, sagt die 31-Jährige im Interview. Solange es nicht möglich sei, auch mit Schnelltests direkt am Eingang zu den Konzertvenues Zutritt zu bekommen, fühle sie sich nicht wohl dabei. Erez legt ihren Fokus weiterhin auf Onlinestreamingkonzerte: „Mein Gefühl sagt mir, das ist der richtige Weg.“ Ihr Publikum komme nicht nur aus Israel, sie wolle für ihre Fans weltweit spielen. Die erreicht sie auch durch TV-Auftritte, wie kürzlich in der US-amerikanischen Late-Night-Show „Jimmy Kimmel Live!“. Wer Probleme mit der Coronavirus-Impfung habe, soll zumindest auf diese Art am Liveerlebnis teilhaben können.

Feiern mit „Grünem Pass“ in Israel

In Israel wird wieder gefeiert – und es finden Konzerte statt. Aber nicht alle Künstler machen mit. Kritisiert wird die Unterteilung der Gesellschaft in Geimpfte und Nicht-Geimpfte mit dem „Grünen Pass“.

Impfmeister Israel

Probleme mit der Coronavirus-Impfung haben nicht viele in Israel. Fast 60 Prozent der Gesamtbevölkerung sind vollständig geimpft, haben also bereits zwei Impfdosen (meist Biontech und Pfizer) bekommen. Allison Kaplan Sommer, Journalistin bei der israelischen Tageszeitung „Haaretz“, sagt, es seien sogar um die 80 Prozent, wenn man die unter 16-Jährigen, die bisher noch nicht geimpft werden dürfen, nicht mitzähle. „Die größten Schwierigkeiten im Kulturbereich haben zurzeit Anbieter von Veranstaltungen für Kinder. Sie sind es, die aktuell protestieren“, so Kaplan Sommer. In der Praxis des „Grünen Passes“ sei bisher keine Alternative für diese Fälle vorgesehen.

Der „Grüne Pass“ ist ein digitaler Coronavirus-Impfpass. Wer die zweite Impfdosis erhalten hat, bekommt seit Ende Februar einen QR-Code, der über eine App auf dem Smartphone oder ausgedruckt auf einem Zettel vorgezeigt werden kann. Der Zutritt zu Bars, Restaurants, Hotels, Fitnessstudios, Sportereignissen, Hotels, Theater und Konzerten ist damit wieder erlaubt. Kaplan Sommer ging mit ihrem „Grünen Pass“ bei der ersten Gelegenheit ins Theater: „Wir haben bereits viele Kriege und Krisen erlebt, deshalb sind wir sehr gut darin, Notsituationen zu meistern. Und wenn eine Notsituation vorüber ist, kehren alle sehr schnell wieder zurück zur Normalität.“

„Niemand wird zur Impfung gezwungen“

Sängerin und Songschreiberin Achinoam Nini, auch bekannt als Noa, war eine der Ersten in Israel, die wieder Konzerte gab. In den Sozialen Netzwerken bekam sie verärgerte Nachrichten, sie kollaboriere mit einem diskriminierenden System. Von medizinischer Diktatur und der Einschränkung individueller Rechte war die Rede. Im Interview darauf angesprochen, sagt Noa: „Ich sehe das so: Niemand in Israel wird zur Impfung gezwungen. Wenn du keine Impfung willst, dann lass dich nicht impfen, aber dann gefährde andere Menschen nicht durch dein Verhalten und verlange von ihnen nicht, dass sie ewig im Lockdown leben und zu Hause bleiben.“

24 Shows musste die angesagte israelische Band Lola Marsh im letzten Jahr absagen. Die Coronavirus-Pandemie erwischte sie mitten in ihrer Welttournee. Ab Ende April stehen sie wieder auf der Bühne, zumindest in Israel. Sängerin Yael Shoshana Cohen erzählt im Interview, dass sie deshalb auf Instagram von einzelnen Fans angefeindet werde. Ihnen entgegnet sie: „So ist jetzt nun einmal die Situation, das sind jetzt die Regeln.“ Gitarrist Gil Landau ergänzt: „Ich bin nur ein Musiker, der arbeiten will, der performen will.“

„Ich fühle mich wirklich beleidigt“

Im Lockdown war Noa nicht untätig. Mit ihrem langjährigen musikalischen Partner Gil Dor produzierte sie Videos. Durch die Veröffentlichung der Livestream-Sessions sammelten sie Spenden für Krankenhäuser und ein Hospiz. „Jetzt die Künstlerinnen und Künstler anzugreifen, die zum Teil ihren Lebensunterhalt verloren haben, ganz abgesehen von den psychischen Auswirkungen, die viel Zeit darin investiert haben, gratis Konzerte online zu stellen … Ich finde das unglaublich. Ich fühle mich wirklich beleidigt.“

„Haaretz“-Journalistin Kaplan Sommer folgt Noa in den Sozialen Netzwerken. „In jedem Land gibt es eine kleine Gruppe von Impfgegnern, auch in Israel“, sagt sie. Im Großen und Ganzen seien die Israelis dem „Grünem Pass“ gegenüber jedoch positiv eingestellt. Das kulturelle Angebot werde sehr gut angenommen. Auch wenn im Zuschauerraum, je nach Größe, nur 50 bis 70 Prozent der ursprünglichen Auslastung erlaubt sei, lohne sich die Öffnung für Veranstalter und Künstler. Maskenpflicht und Abstandseinhaltung in Innenräumen könnten die Euphorie unter Kulturinteressierten nicht trüben. Was die Schnelltests betrifft, gebe es Verbesserungsspielraum.

Prioritäten und Anreize setzen

Jene, die zwar wollen, aber bisher nicht geimpft werden dürfen, Kinder, Schwangere oder Menschen mit bestimmten Allergien und Erkrankungen etwa, haben die Möglichkeit, sich testen zu lassen. Diese Tests sind in Israel jedoch teuer und können nicht spontan beim Eintritt zu einer Veranstaltung gemacht werden. „Es gibt kaum Möglichkeiten für Schnelltests“, sagt Noa. „Es wäre schön, beide Optionen zu haben, Eintritt mit Schnelltest oder mit Impfung. Aber diese Entscheidung liegt beim Gesundheitsministerium, und das will die Menschen vor allem zum Impfen ermutigen.“

Als Israel im Dezember mit dem Impfen begann, diente der „Grüne Pass“ von Anfang an als Anreiz. Jeder, der sich impfen lassen wollte, bekam den Impfpass und die damit verbundenen Freiheiten in Aussicht gestellt. In Europa und Amerika sei das anders gelaufen, so Kaplan Sommer: „Dort starteten die Verantwortlichen zuerst die Impfkampagne. Erst viel später kam das Thema Impfpass auf den Tisch. Dadurch sind dort mehr Kontroversen entstanden, weil die Impfung und der Grüne Pass nicht von Anfang an als ‚package deal‘ verkauft wurden.“