Junge Transpersonen

Reise zum richtigen Geschlecht

Über Transgender-Themen informieren sich mehr und mehr junge Menschen beim österreichischen Beratungszentrum Courage – Geschlechtsanpassungen sind längst nicht mehr so ungewöhnlich wie früher. Prominente Beispiele finden sich international, auch ein bekannter heimischer TikToker spricht offen über das Thema. Humor und Selbstbewusstsein sind angesichts von Vorurteilen gefragt.

„Mein Name ist Elliot“, erklärte der kanadische Schauspieler Elliot Page am 1. Dezember auf Twitter. „Ich liebe es, trans zu sein. Und ich liebe es, queer zu sein.“ Sein Outing schlug Wellen, das Magazin „Time“ widmete Page die Titelseite. Es war das erste Cover des Magazins, das eine Transperson zeigt. Mit Page stand erstmals ein prominenter Transmann im Rampenlicht, denn im Vergleich zu Transfrauen bekommen diese weit weniger mediale Aufmerksamkeit. Das gilt nicht nur für die schillernde Promiwelt.

„In den 1980er, 1990er Jahren gab es eindeutig mehr Transfrauen. Heute ist es umgekehrt“, sagt Johannes Wahala. 1999 hat er die Beratungsstelle Courage gegründet, die er nach wie vor leitet. Warum es heute mehr Transburschen gibt, dafür fehlt eine wissenschaftliche Erklärung. Wahala meint, es könne auch an der männlich geprägten Gesellschaft liegen: „Mann zu sein ist nach wie vor gesellschaftlich akzeptierter als Frau zu sein. Eine Transfrau ist auch in Österreich mehr Gewalt ausgesetzt als ein Transmann.“

Ein anderes Geschlecht als das zugeordnete

Transgender zu sein bedeutet, dass die Geschlechtsidentität eines Menschen nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Differiert das Geschlechtsidentitätserleben von den Geschlechtsmerkmalen des Körpers, so spricht man von einer Geschlechtsinkongruenz. Leiden Menschen unter der fehlenden oder beeinträchtigten Übereinstimmung, so wird dies als Geschlechtsdysphorie bezeichnet. Das heißt, die Person kann sich nicht mit dem ihr bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren.

Die Zahlen der Menschen, die von einer Geschlechtsinkongruenz betroffen sind, sind laut einem zuletzt im November 2020 upgedateten Bericht der Österreichischen Sozialversicherung schwer zu beziffern. Aus Datenschutzgründen werden nur Schätzungen zitiert, die von 400 bis 500 Fällen in Österreich ausgehen: „Mehr maskulinisierende (64,1 Prozent) als feminisierende Eingriffe wurden durchgeführt (35,9 Prozent).“

Dass es dabei eine stark steigende Tendenz gibt, bestätigt Wahala von Courage. Meldeten sich etwa 80 Personen im Jahr 2009, waren es 2019 bereits 500 – die Zahlen für 2020 liegen bis dato nicht vor, es dürfte sich aber an dieser Entwicklung nichts geändert haben.

„Dann fängt der Bart an zu wachsen“

Danny, Masseur und TikToker, lebt und arbeitet in Oberösterreich. Er ist ein 26-jähriger Transmann: „Wir Transmänner haben es leichter, unseren Körper anzupassen. Mit dem Testosteron bekommst du einen Stimmbruch, egal wie hoch deine Stimme bis dahin ist, und dann fängt der Bart an zu wachsen.“ Er outete sich erst mit 19. Seine erste Testosteronspritze erhielt er drei Jahre später.

TV-Hinweis

Auf der Website von 3-Sat ist eine 50-minütige Doku zum Thema noch bis 21. Mai abrufbar:

Äußerlichkeiten, die dem Fühlen entsprechen, können das Leben erleichtern. Doch nicht immer gelingt das „Passing“ leicht. Frauen mit tiefer Stimme fallen auf, oft auch durch ihre Körpergröße oder den Adamsapfel. Chirurgische Maßnahmen sind nicht selten eine Frage des Geldes – aber nicht nur. Aus gutem Grund sprechen nicht alle Transgenderpersonen so offen wie Danny in den sozialen Netzwerken über ihre Identität. Nach wie vor sind viele von ihnen Gewalt ausgesetzt und werden diskriminiert. Die WHO stuft sie als vulnerable Gruppe ein.

Statistiken belegen Benachteiligung

Das belegen zwei vom Transgender Network Switzerland (TGNS) ausgewertete Umfragen aus 2014 und 2018. 20 Prozent der Transpersonen sind arbeitslos. Auch Unternehmen wurden befragt. 16 Prozent fürchten, dass Kundinnen und Kunden von Transpersonen irritiert werden. Am Arbeitsplatz enden 25 Prozent der Coming-Outs mit schlechten Erfahrungen wie Schlechterstellung oder Jobverlust. Das kann auch Wahala von Courage bestätigen und weist darauf hin, dass Transfrauen öfter von Obdachlosigkeit betroffen sind als Transmänner.

Transphobie oder Transnegativität sei nach wie vor tief in unserer Gesellschaft verankert und habe viele Gesichter, so Wahala. Mal werde man im Taxi nicht mitgenommen, ein anderes Mal kommt man für die Wohnung nicht infrage, und im schlimmsten Fall wird aktive Gewalt ausgeübt.

Die Komplexität der Hormone

Ein umstrittenes Thema ist der medizinische Einsatz von Pubertätsblockern. Diese Medikamente blockieren die Hirnanhangsdrüse, sodass kein Testosteron beziehungsweise Östrogen produziert wird und die Pubertät so aufgehalten werden kann. Das heißt vor allem, dass Jugendlichen Zeit gewinnen. Die Effekte von Pubertätsblockern sind reversibel, die Pubertät kann durch das Absetzen der Medikamente wieder in Gang gesetzt werden, falls der oder die Jugendliche sich gegen weitere Schritte entscheidet.

Suchen ein Kind, eine Jugendliche oder ein Jugendlicher professionelle Hilfe, so erfolgt immer zuerst die Diagnose. Kinder- und Jugendpsychotherapeuten sowie Psychiaterinnen begleiten Kinder über Jahre, bevor eine Hormontherapie überhaupt auf dem Plan steht. Hormone werden in den seltensten Fällen leichtfertig verschrieben.

Transgenders Danny hält einen Hund in den Armen
ORF
Danny und sein Hund sind mittlerweile TikTok-Stars

Debatte über frühe Entscheidungen

Für Aufsehen sorgte kürzlich der Fall, bei dem ein englisches Gericht entschied, dass Jugendliche unter 16 Jahren nicht die geistige Reife haben, sich für eine Behandlung mit Pubertätsblockern zu entscheiden. Der High Court of Justice entschied zugunsten der heute 23-jährigen Keira Bell, die argumentierte, sie sei mit 15 Jahren zu jung gewesen, um der Behandlung zuzustimmen.

Es gibt Menschen, die den Weg, den sie gegangen sind, bereuen. Bei einer großen Langzeitstudie aus den Niederlanden mit fast 7.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern lag die Quote der „Detransitioners“ – so nennt man jene, die rückblickend lieber nicht ihr Geschlecht angepasst hätten bzw. den Weg retour suchen – bei deutlich unter einem Prozent. Beim Beratungszentrum Courage in Österreich geht man von 0,03 Prozent aller Transburschen aus und etwa 0,06 Prozent bei den Mädchen.

Wahala fordert mehr Aufklärung, mehr Schutz vor Diskriminierung und eine bessere medizinische Versorgung. In Österreich gibt es zu wenige Ärzte, die sich wirklich gut mit Transgender-Medizin auskennen. Den Penisaufbau beispielsweise operiert in Österreich nur ein einziger Arzt in Graz.