Der britische Premier Boris Johnson
AP/Matt Dunham
„Integritätsvakuum“

Nächste Abrechnung mit Johnson

Der offene Schlagabtausch und die gegenseitigen Anschuldigungen zwischen dem konservativen britischen Premier Boris Johnson und seinem vormals engsten Berater Dominic Cummings ziehen immer weitere Kreise und drohen Johnson und die Torys nachhaltig zu beschädigen. Am Samstag legte ein anderer konservativer Kritiker des Premiers nach und warf diesem vor, ein „Integritätsvakuum“ zu sein.

Die sarkastische, doppeldeutige Apostrophierung stammt vom früheren Generalstaatsanwalt Dominic Grieve, der sich mit Johnson vor allem über den Brexit-Kurs zerstritt. Das englische Wort vacuum ist auch die Kurzform für vacuum cleaner (Dt.: Staubsauger, Anm.) – und Johnson wird unter anderem vorgeworfen, dem Unternehmer und Erfinder des beutellosen Staubsaugers, James Dyson, Steuererleichterungen versprochen zu haben.

Grieve bezog sich in seinem Interview mit der BBC allerdings vor allem auf den Vorwurf von Cummings, Johnson habe Geldgeber dazu bringen wollen, ihm heimlich die Renovierung der Privatwohnung in Downing Street 10 zu bezahlen. Die oppositionelle Labour-Partei fordert mittlerweile die Vorlage aller Unterlagen zu den Renovierungsarbeiten. Labour-Chef Keir Starmer betonte gegenüber der BBC, täglich gebe es mehr von diesen „Skandalgeschichten. Ehrlich gesagt, das stinkt doch.“ Der Premier solle zu allen Vorwürfen alles offenlegen. „Sonnenlicht ist das beste Desinfektionsmittel“, so Starmer.

„Kabale unter Spießgesellen“

Grieve seinerseits sprach von einer „Kabale unter Spießgesellen“ und betonte, das sei „nur ein Beispiel für das Chaos, das Herr Johnson mit sich zu bringen scheint“. Und dieses habe sich schon länger abgezeichnet. „Wenn Sie ein Integritätsvakuum haben, dann wird dieselbe Art von Geschichte immer wieder hochkommen. Jetzt gibt es sicher Leute, die das nicht wichtig finden, aber für sauberes Regieren und um das Vertrauen in demokratische Institutionen zu erhalten, ist es extrem wichtig.“ In einer professionellen Regierung sollte so etwas nicht oder jedenfalls nicht in der Häufigkeit vorkommen, so Grieve, der 2019 von Johnson wegen Divergenzen in Sachen Brexit aus der Partei geworfen worden war.

Der früheren Generalstaatsanwalt Dominic Grieve
Reuters/Simon Dawson
Mit der internen Ruhe bei den Torys ist es vorerst vorbei: Auch Grieve greift Johnson öffentlich an

Innerhalb der Torys sorgt die Entscheidung von Johnson und seinem Team, öffentlich auf die Vorwürfe von Cummings einzugehen und diesen damit erst recht eine Bühne zu geben, für Kopfschütteln und Besorgnis angesichts nahender Lokalwahlen. Die „Financial Times“ („FT“) zitierte am Samstag ein nicht namentlich genanntes „hochrangiges“ Tory-Mitglied damit, Johnson könne diesen Kampf nicht gewinnen: „Warum hat er ihn überhaupt angefangen? Sie hätten darüberstehen und Dom (gemeint: Dominic Cummings, Anm..) ignorieren müssen.“

Vermittlung gescheitert

Laut „FT“ hatte Johnson zuletzt über einen hochrangigen Parteifreund versucht, ein Stillhalteabkommen mit Cummings zu erreichen, doch vergeblich. Bisher wurden vergleichsweise kleine Affären bekannt – wenn Cummings öffentlich auspackt, könnte dieser aber auch Einblick in die Brexit-Verhandlungen mit Brüssel und die mit Drohungen und Zwangsmaßnahmen verbundene Strategie gegenüber dem britischen Parlament geben. Und sollten dabei ernsthafte Fehltritte und Brüche mit politischen Konventionen bekanntwerden, könnte das für Johnson potenziell eine viel größere Gefahr darstellen.

Der Ex-Berater sei „verbittert darüber, was passiert ist, seit er gegangen ist“, hieß es in der „Times“ unter Berufung auf die anonyme Quelle. Die Regierung leitete eine offizielle Untersuchung wegen des Leaks ein, kommentierte die Spekulationen um Cummings offiziell aber nicht.