US-Botschaft in Ankara
Reuters
Genozid an Armeniern

Türkei zürnt USA nach Völkermord-Erklärung

US-Präsident Joe Biden hat am Samstag nach jahrzehntelanger Zurückhaltung der USA die Ermordung von bis zu 1,5 Millionen Armenierinnen und Armeniern durch osmanische Truppen im Ersten Weltkrieg als Völkermord benannt. Ankara weist das stets zurück und reagierte entsprechend verärgert auf den Schritt der USA. Unmittelbar wurde der US-Sonderbotschafter in Ankara einberufen.

Mit der Vorladung von David Satterfield bringe das türkische Außenministerium seinen Protest gegen Bidens Äußerungen vom Samstag zum Ausdruck, berichtete die türkische Nachrichtenagentur Anadolu. Bidens Äußerungen hätten „eine Wunde“ in die Beziehungen beider Länder geschlagen, „die schwer wiedergutzumachen“ sei, kritisierte das Ministerium in Ankara. Zuvor hatte es Bidens Positionierung „auf das Schärfste“ zurückgewiesen.

Die Türkei müsse sich „von niemandem über unsere Geschichte belehren lassen“, schrieb Außenminister Mevlüt Cavusoglu. „Worte können die Geschichte nicht ändern oder umschreiben.“ Staatschef Recep Tayyip Erdogan erklärte, das Thema dürfe nicht „durch Dritte politisiert“ und „als Instrument zur Einmischung in unserem Land“ missbraucht werden. Stattdessen solle die Debatte Historikern überlassen werden. Sein Sprecher warf den USA vor, dem Druck von Interessengruppen nachgegeben zu haben. Er empfehle den USA, auf ihre eigene Geschichte und Gegenwart zu schauen.

Türkei bestellt US-Botschafter ein

Als Reaktion auf die Anerkennung des Völkermords an den Armeniern durch US-Präsidenten Joe Biden hat die türkische Regierung nun den US-amerikanischen Botschafter einbestellt.

Verhältnis bereits zuvor angespannt

Das Verhältnis zwischen den USA und dem NATO-Partner Türkei ist aktuell ohnehin bereits angespannt. Unter anderem sind die Vereinigten Staaten wegen des Kaufs eines russischen Raketenabwehrsystems schlecht auf Ankara zu sprechen. Zudem gibt es teils sehr unterschiedliche Interessenlagen bei den Konflikten im Nahen Osten.

Erdogan wiederum fordert vehement die Auslieferung von Fethullah Gülen, dem Oberhaupt der gleichnamigen religiösen Bewegung mit weitverzweigtem sozialem Netzwerk. Den früheren Verbündeten macht Erdogan für den gescheiterten Putschversuch 2016 verantwortlich. Für Aufregung hatte jüngst auch ein Biden-Interview von 2019 gesorgt, in dem er Erdogan als Autokraten bezeichnet hatte. Die Beziehungen waren so angespannt, dass Erdogan Biden erst lange nach dessen Wahlsieg gratuliert hatte.

Biden: Bestätigung historischer Tatsache

Biden hatte am Samstag als erster US-Präsident die Einstufung als Genozid vorgenommen. „Wir gedenken all derer, die im Völkermord an den Armeniern während der Zeit der Osmanen gestorben sind“, erklärte er zum 106. Jahrestag der Massaker. Der US-Präsident betonte, es handle sich um die Bestätigung einer historischen Tatsache und gehe nicht darum, der Türkei „Vorwürfe zu machen“. Die Anerkennung der Geschichte sei wichtig, um zu verhindern, „dass solch eine Gräueltat sich jemals wiederholt“.

In einem Telefonat mit Erdogan hatte Biden am Vortag um Verständnis für den Schritt geworben. Erdogan erklärte jedoch, das Thema dürfe nicht „durch Dritte politisiert“ und „als Instrument zur Einmischung in unserem Land“ missbraucht werden.

Zwischen 1,2 und 1,5 Mio. Tote

Der 24. April 1915 markierte den Beginn der Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich. Schätzungen zufolge wurden zwischen 1915 und 1917 von den Soldaten des Osmanischen Reiches zwischen 1,2 und 1,5 Millionen Armenierinnen und Armenier getötet. Die Türkei lehnt die Verwendung des Begriffs Völkermord ab und spricht von einem Bürgerkrieg, in dessen Verlauf auf beiden Seiten Hunderttausende ihr Leben verloren.

Tsitsernakaberd Memorial
APA/AFP/Karen Minasyan
Die armenische Politik gedachte am Samstag der Opfer

Das Osmanische Reich war im Ersten Weltkrieg ein Bündnispartner von Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich, die beim Massenmord an den Armeniern wegschauten. In der deutschen Armee gab es sogar Befürworter des Genozids, weil die Armenier beschuldigt wurden, auf der Seite des gemeinsamen Kriegsfeindes Russland zu stehen. Dieses kämpfte mit Großbritannien und Frankreich gegen die drei „Mittelmächte“.

Die Erklärung erfolgte am offiziellen Gedenktag für den Völkermord. In der Südkaukasus-Republik Armenien legten anlässlich des 106. Jahrestags der armenische Präsident Armen Sarkissjan und der mittlerweile zurückgetretene Ministerpräsident Nikol Paschinjan am Genozidmahnmal Zizernakaberd in der Hauptstadt Eriwan Blumen nieder. Für Armenien, das zuletzt wegen des wiederaufgeflammten Konflikts mit Aserbaidschan um die Region Bergkarabach im internationalen Fokus stand, ist Bidens Erklärung ein wichtiger diplomatischer Erfolg.

Zerrüttete Verhältnisse nach Erklärungen

Der österreichische Nationalrat verurteilte die Gräueltaten an den Armeniern im April 2015 offiziell als Völkermord, weswegen Ankara zeitweise den Botschafter aus Wien abzog. Eine Anerkennung der Gräueltaten als Genozid durch den deutschen Bundestag im Jahr 2016 belastete die deutsch-türkischen Beziehungen schwer.

Zuvor hatte auch Bidens französischer Amtskollege Emmanuel Macron des Massakers an den Armeniern gedacht. „Das französische Volk und das armenische Volk sind für immer verbunden“, teilte der 43-Jährige am Samstag auf Twitter mit. Auf Bildern war der Staatschef anlässlich des „Gedenktags für den armenischen Genozid“ beim Mahnmal im Zentrum der französischen Hauptstadt zu sehen.

Macron hatte vor rund zwei Jahren angekündigt, den 24. April zu einem nationalen Gedenktag zu machen. Wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete, war es nun das erste Mal, dass er am Gedenktag an einer offiziellen Feier teilnahm. In Frankreich gibt es eine große armenische Diaspora.

Unterstützung durch Auschwitz Komitee

Unterstützung für die Benennung des Völkermordes an den Armeniern durch Biden äußerte unterdessen das Internationale Auschwitz Komitee. „Die Anerkennung und Benennung des Völkermordes an den Armeniern durch den amerikanischen Präsidenten Biden ist für Überlebende des Holocaust eine überaus wichtige Geste und ein beispielhaftes politisches Signal an die türkische Regierung, sich endlich der Wahrheit und der historischen Verantwortung zu stellen“, sagte Christoph Heubner, der Exekutivvizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, in einer Aussendung am Sonntag.