Bei den diesjährigen Academy Awards führte die Pandemie gleich auf mehreren Ebenen Regie. Die Preisverleihung fand neben dem traditionellen Dolby Theatre auch im sonnendurchfluteten Ambiente der Union Station in Los Angeles statt. Die Oscar-Gala selbst fiel redelastig und arm an Showelementen aus.
Die chinesischstämmige Regisseurin Zhao (39) setzte sich mit ihrem Roadmovie „Nomadland“ gegen Konkurrenten wie David Fincher („Mank“) und Lee Isaac Chung („Minari“) durch. Zhao ist damit nach Kathryn Bigelow („The Hurt Locker“) im Jahr 2010 erst die zweite Frau, der diese Ehre zuteilwurde.
Drama über neue Formen der Armut
Heuer waren erstmals zwei Frauen in der Regiekategorie nominiert gewesen, neben Zhao fand sich auch die Britin Emerald Fennell („Promising Young Woman“) auf der Liste wieder. Zhao bedankte sich bei ihrer ganzen Filmcrew. „Was für eine verrückte, einmalige Reise haben wir hinter uns“, sagte sie in ihrer Dankesrede.
Mit einem kurzen Seitenschwenk aus ihrer Kindheit in China hob die Regisseurin letztlich das Gute in den Menschen hervor. „Daran glaube ich immer noch, auch wenn man oft denkt, das Gegenteil sei der Fall. Ich habe immer gute Menschen gefunden, auf der ganzen Welt.“ Daran müsse man festhalten, „egal wie schwer es auch sein mag“.
In „Nomadland“ muss McDormand nach dem Tod ihres Mannes gegen den sozialen Abstieg kämpfen und beschließt in ihrem Wohnwagen zu leben. Als moderne Nomadin schließt sie sich Gleichgesinnten an und gewährt Einblick in einen Lebensstil, der aufgrund eines verbreiteten sozialen Abstiegs in den USA von vielen Menschen geteilt wird.
Das Drama war mit sechs Nominierungen in die Oscar-Gala gegangen. Neben „Bester Film“ gewann „Nomadland“ in einer weiteren Hauptkategorie: McDormand wurde als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet. Zuvor hatte sie bereits für „Fargo“ und „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ die begehrte Goldstatuette erhalten.
Auszeichnungen für Nichtweiße
Auch bei den Nebendarstellerinnen konnte sich eine Frau mit asiatischen Wurzeln durchsetzen: Youn Yuh Jung wurde für ihren Part als aggressive Großmutter im Immigrantendrama „Minari“ aus den Händen von Brad Pitt mit der Statuette gewürdigt. Nachdem sie die Gala in Südkorea stets im Fernsehen verfolgt habe, sei es nun umso surrealer, diese live zu erleben. „Ich glaube nicht an Wettbewerb“, zeigte sich die Gewinnerin konziliant.
Hinter den Kulissen outete sich Youn als großer Fan von Hollywood-Star Brad Pitt. Sie habe es nicht glauben können, als Pitt ihren Namen verlas. „Ein paar Sekunden lang war ich fast ohnmächtig“, erzählte die 73-jährige Südkoreanerin nach ihrem Oscar-Gewinn. „Er muss viel geübt haben, denn er hat meinen Namen nicht falsch ausgesprochen“, sagte Youn.
Zuvor hatte der Brite Daniel Kaluuya für seine Rolle im schwarzen Bürgerrechtsdrama „Judas and the Black Messiah“ die Statuette als bester Nebendarsteller entgegengenommen. Dabei hatte sich der 32-Jährige anfangs mit einem kleinen Gebet bei Gott bedankt. Kaluuya spielt in dem Film über die Black Panther Party den Aktivisten Fred Hampton. Er wurde bereits 2018 für seine Rolle in dem Horrorfilm „Get Out“ für den Oscar nominiert.
Überraschung zum Schluss
Für die wohl größte Überraschung sorgte Anthony Hopkins. Der gebürtige Brite (83) setzte sich als bester Hauptdarsteller mit seiner Leistung als dementer Mann unter anderen gegen den verstorbenen Chadwick Boseman durch, der als klarer Favorit gehandelt worden war. In „The Father“ begeisterte Hopkins die Kritik. Der zunehmende Verfall aufgrund einer Demenzerkrankung wird in einer Mischung aus Mystery und Psychodrama dargestellt. Der Film gehört mit zwei Oscars zu den Gewinnern des Abends. „The Father“ erhielt neben der Ehrung für Hopkins den Preis für das beste adaptierte Drehbuch, den Christopher Hampton und Regisseur Florian Zeller entgegennahmen.
Der Preis für das beste Originaldrehbuch ging an das Rachedrama „Promising Young Woman“: Fennel, die den Film auch inszenierte, zeigte sich überwältigt. „Sie sagten: Schreib eine Rede! Aber natürlich habe ich keine geschrieben, weil solche Dinge normalerweise nicht passieren.“ Die Statue sei „so schwer und so kalt“, lachte die Filmemacherin.
Netflix als Gewinner
Aufgrund der Pandemie durften für die 93. Academy Awards erstmals Filme nominiert werden, die davor nicht im Kino zu sehen gewesen waren. In vergangenen Jahren war diese Regel von Streaminganbietern nur pro forma erfüllt worden. Beispielweise ermöglichte Netflix 2018 Alfonso Cuarons Drama „Roma“ nur ein kurzes Kinofenster in ausgesuchten Programmkinos. „Roma“ gewann 2019 die Oscars für den besten Film und die beste Kamera und den Auslandsoscar.
Diese Jahr war Netflix einer der Hauptgewinner. Ganze sieben Oscars gingen an Produktionen des Streamingriesen – allerdings nicht in den Hauptkategorien. Zu den Preisen gehörten zwei Oscars für die Hollywood-Hommage „Mank“ (Kamera und Produktionsdesign) und zwei für das Drama „Ma Rainey’s Black Bottom“ (Kostümdesign und Make-up/Frisur). Oscars gewannen außerdem die Dokumentation „My Octopus Teacher“ sowie die Kurzfilme „Two Distant Strangers“ und „If Anything Happens I Love You“. Ins Rennen gegangen war Netflix aber mit insgesamt 36 Nominierungen .
Vinterberg ehrt verstorbene Tochter
Österreichs kleine Oscar-Hoffnung, Jasmina Zbanics rot-weiß-rot koproduziertes Bosnien-Kriegsdrama „Quo vadis, Aida?“ musste sich in der Kategorie des Auslandsoscars geschlagen geben. Das Werk war von Bosnien-Herzegowina eingereicht worden, zog aber gegen Thomas Vinterbergs Trinkerparabel „Der Rausch“ aus Dänemark in der Kategorie „Bester internationaler Spielfilm“ den Kürzeren.
Vinterberg widmete den Auslandsoscar seiner verstorbenen Tochter Ida. Sie sollte Teil des Films werden, starb aber kurz nach Beginn der Dreharbeiten bei einem Verkehrsunfall. „Wir vermissen sie, und ich liebe sie“, sagte er unter Tränen in Hollywood. „Wenn wir uns nur trauen zu glauben, dass sie auf eine Weise hier bei uns ist – dann könntet ihr sie hier mit uns klatschen und jubeln sehen.“
Der mit zehn Nominierungen als Spitzenreiter in den Abend gegangene Hollywood-Historienfilm „Mank“ konnte ebenfalls zwei Auszeichnungen einfahren: Kamera und Produktionsdesign gingen an David Finchers Schwarz-Weiß-Drama. Bei den Animationsfilmen gab es einen Favoritensieg, konnte sich doch Pixars neues Werk „Soul“ gegen die Konkurrenz durchsetzen.
Selbiges gilt für „Mein Lehrer, der Krake“, der als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde. Und die Rassismusanklage „Ma Rainey’s Black Bottom“ konnte in den beiden Kategorien Make-up und Haare sowie Kostüme zwei Trophäen für sich reklamieren.
Wenig Show, lange Reden
Die Gala verlief aufgrund der CoV-Pandemie grundlegend anders als in den Jahren zuvor. Das Bahnhofsgebäude der Union Station in Los Angeles diente, anders als traditionell, heuer nämlich anstelle des Dolby Theatre in Hollywood als Hauptaustragungsort des Events. 170 Stars samt Anhang fanden sich in dem historischen Bahnhofsgebäude ein, während im Dolby Theatre die Showelemente stattfanden.
Im Vorfeld war die Gala als erstes großes Showevent in der Coronavirus-Krise gedacht gewesen. In der Durchführung der „Ausnahme-Oscars“ verzichtete man aber nicht nur auf Showelemente, Musikbeiträge und meist auch auf Ausschnitte aus den nominierten Werken, sondern vor allem gänzlich auf Humor. Die Dankesreden fielen dafür besonders lang aus – das hing auch damit zusammen, dass das typische Oscar-Orchester fehlte. Damit fehlte folglich auch die Möglichkeit, den Stars des Abends akustisch zu signalisieren, dass ihre Redezeit zu Ende war.
Trotz der langen Reden vermisste man über weite Strecken klare Worte. Weder spielte die Rassismusdebatte in den USA eine nennenswerte Rolle, noch wurde die Hintergrundfolie der speziellen Oscar-Ausgabe angesprochen. Das Wort „Covid“ wurde einzig vom Produzenten Tyler Perry in den Mund genommen, der mit dem Sonderpreis des Humanitarian Award für sein soziales Engagement ausgezeichnet wurde.