Feuerbestattung in Jammu, Indien
AP/Channi Anand
Katastrophe durch CoV

Indien wartet auf dringend notwendige Hilfe

Über 300.000 Neuinfektionen binnen eines Tages: In Indien ist die CoV-Lage außer Kontrolle. Es fehlt an Medikamenten und Sauerstoff. Nun werden sogar pensionierte Soldaten in die Spitäler entsandt. Neben den USA und der WHO sagte auch Österreich Hilfe zu.

Zahlreiche Krankenhäuser sind längst heillos überfüllt und müssen Covid-19-Patienten abweisen, weil es an freien Betten und Sauerstoff zur Behandlung mangelt. Angehörige von Patienten suchen im Internet verzweifelt nach freien Krankenhausbetten. Auch Bahren, um die Toten wegzubringen, sind knapp. In stark betroffenen Städten wie der Hauptstadtregion Delhi wurden die Leichen in provisorischen Krematorien verbrannt.

Der Dienstag war der sechste Tag in Folge mit mehr als 300.000 neue Fälle innerhalb von 24 Stunden. Mittlerweile wurden insgesamt fast 200.000 Todesopfer bei einer Einwohnerzahl von 1,3 Milliarden gemeldet. Fachleute befürchten, dass die tatsächlichen Infektionszahlen höher sind.

Militär in Kliniken entsandt

Um die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen, werden nun drastische Maßnahmen ergriffen. Generalstabschef Bipin Rawat kündigte am Montag die Entsendung von militärischem Personal im Ruhestand in die Kliniken an. Zudem würden Sauerstoffvorräte aus den Armeereserven freigegeben. Es werde „Himmel und Erde“ in Bewegung gesetzt, twitterte Gesundheitsminister Harsh Vardhan.

Wartenschlange von Krankenwagen in Indien
AP/Ajit Solanki
Krankenhausbetten sind Mangelware – Rettungswagen stehen vor den Spitälern Schlange

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und mehrere Länder, darunter auch Österreich, sagten Hilfslieferungen zu. Man befinde sich aktuell im Austausch mit den indischen Behörden bezüglich Hilfsangeboten und Unterstützung bei der Bewältigung der dortigen Epidemie, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Montag. Auf welche Art und Weise Österreich helfen wird, soll noch in dieser Woche präsentiert werden.

Auf Nachfrage von ORF.at hieß es aus dem Außenministerium, dass ein beständiger Austausch mit indischen Behörde bestehe. „Klar ist, dass Österreich selbstverständlich helfen wird. Auf welche Art und Weise das sein wird, wird zeitnahe bekanntgegeben.“

Hilfe trifft langsam ein

Erste Hilfe trifft inzwischen ein: Großbritannien schickte am Dienstag etwa Beatmungsgeräte und Sauerstoffkonzentratoren. Zusagen gibt es darüber hinaus viele: Die USA wollen Rohstoffe für Impfstoffe, Beatmungsgeräte, Schnelltests und Schutzkleidung bereitstellen.

Frankreich kündigte Lieferungen von flüssigem Sauerstoff und acht Anlagen zur Sauerstoffgewinnung für die kommenden Tage an. Russischen Medien zufolge soll am Samstag eine erste Lieferung des „Sputnik V“-Impfstoffes in Indien ankommen.

Mehrere EU-Länder wollen gemeinsam eine Schiffsladung mit Hilfsgütern schicken. Konkret geht es unter anderem um 700 Sauerstoffkonzentratoren aus Irland, 9.000 Dosen des Virenhemmers Remdesivir aus Belgien sowie Sauerstoff und Beatmungsgeräte aus Rumänien, Portugal, Luxemburg und Schweden. Der EU-Kommissar für Krisenmanagement, Janez Lenarcic, erklärte am Dienstag, man stehe in voller Solidarität an der Seite der indischen Bevölkerung. Die Hilfe solle in den kommenden Tagen ankommen.

Indien: Militär unterstützt Spitäler

Um die dramatische Pandemielage zu verbessern, schickt Indien militärisches Personal in die Spitäler. Die Armee stellt zudem Sauerstoffvorräte zu Verfügung. Die WHO und mehrere Länder, darunter auch Österreich, haben Hilfslieferungen zugesagt.

Auch internationale Hilfsorganisationen sind im Einsatz, etwa Ärzte ohne Grenzen. In Mumbai nehmen die Helfer Aufklärungs- und Schutzmaßnahmen vor und beraten ältere Menschen und Hochrisikopatientinnen und -patienten. Geplant ist auch, die Einrichtung von zwei Abteilungen in Zeltanlagen des großen Krankenhauses in Mumbai zu unterstützen.

Die Lage in Indien sei „jenseits von herzzerreißend“, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. Die WHO tue alles, womit sie helfen könne, einschließlich der Lieferung von Feldlazaretten und Laborausrüstung.

Größter Impfstoffproduzent in Nöten

Indien wurde von der aktuellen Pandemiewelle überrollt, obwohl das Land der größte Impfstoffproduzent der Welt ist. Auch die Rohstoffe für die Impfstoffe werden knapp. Zusätzlich wird die Produktion von einem Feuer in einem Werk belastet, das das Vakzin von AstraZeneca herstellt. Mancherorts wurde das Impfen wieder eingestellt.

Laut der indischen Regierung rief Premier Narendra Modi US-Präsident Joe Biden dazu auf, den Patentschutz auf Coronavirus-Impfstoffe zu lockern. Ein solcher Schritt würde „einen schnellen und erschwinglichen Zugang zu Impfstoffen und Medikamenten für Entwicklungsländer gewährleisten“, sagte Modi.

Massenveranstaltungen und gefährliche Mutante

Mitverantwortlich für die starke Ausbreitung des Virus im Land ist neben dem desolaten Gesundheitssystem auch die Virusmutante B.1.617, die in Indien entdeckt wurde. Auch politische Entscheidungen könnten zur Eskalation der Lage beigetragen haben. So ließ etwa die Regierung Massenveranstaltungen zu. Derzeit finden in Indien Kommunalwahlen statt.

Sauerstoffflaschen in Ahmedabad, Indien
Reuters/Amit Dave
Sauerstoff als seltenes Gut: Hilfe kommt von der Armee und aus dem Ausland

Die „Washington Post“ sah am Montag Indiens Regierung auch noch darüber hinaus in der Pflicht: „Die Verwüstung, die eine neue Welle des Coronavirus in Indien anrichtet, kann nicht ignoriert werden – ebenso wenig wie die Versuche der indischen Regierung, die Wahrheit darüber zu unterdrücken. Die Regierung hat Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter angewiesen, Dutzende Beiträge über ihre Vorgehensweise bei der Pandemie zu entfernen. (…) Indiens Regierung scheint die öffentliche Gesundheit als Vorwand zu nutzen, nicht um seine Bürger vor Schaden, sondern sich selbst vor Verlegenheit zu schützen“, so die Zeitung in einem Kommentar.

Manche Staaten, etwa Australien, stoppten inzwischen die Einreise aus Indien. Österreichs Gesundheitsministerium teilte auf APA-Anfrage mit, dass man verschärfte Einreisebestimmungen für Einreisende aus Indien prüfe.