Das Europäische Parlament in Straßburg
Reuters/Vincent Kessler
Harter Bruch vermieden

EU-Parlament bestätigt Brexit-Handelspakt

Das Europaparlament hat dem Brexit-Handelspakt mit Großbritannien endgültig zugestimmt. Das Handels- und Kooperationsabkommen erhielt eine überwältigende Mehrheit von 660 der 697 abgegebenen Stimmen, wie EU-Parlamentspräsident David Sassoli am Mittwoch mitteilte. Damit kann der mehr als 1.000 Seiten starke Vertrag voraussichtlich am 1. Mai in Kraft treten.

Die Europäische Union (EU) und Großbritannien hatten das Abkommen nach monatelangen Verhandlungen am 24. Dezember 2020 unter Dach und Fach gebracht – nur eine Woche vor dem Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion. Weil die Zeit zur Ratifizierung fehlte, wird es seit dem 1. Jänner bereits vorläufig angewandt. Ziel war, einen harten Bruch mit Rechtsunsicherheit und Chaos an den Grenzen zu verhindern.

Wichtigster Punkt des Vertrags ist, Zölle zu vermeiden, unbegrenzten Handel in beide Richtungen zu erlauben und Reibungsverluste so weit wie möglich zu begrenzen. Zollformalitäten und Kontrollen gibt es allerdings trotzdem. Unter anderem wird geprüft, ob Produkte wirklich hauptsächlich in Großbritannien hergestellt wurden und ob Lebensmittel geforderten Standards entsprechen.

Franzosen mit Fischereiumsetzung nicht zufrieden

Der Vertrag umfasst darüber hinaus Regeln zum Fischfang sowie die Zusammenarbeit bei Energie, Transport, Justiz, Polizei und vielen anderen Themen. Großbritannien gewinnt mit dem Pakt Zugang zum EU-Binnenmarkt. Im Gegenzug verlangte die EU faire Wettbewerbsbedingungen – das „Level Playing Field“. Gemeint sind gleiche Umwelt-, Sozial- und Subventionsstandards.

Wichtiger Knackpunkt in den Verhandlungen war der Zugang von EU-Fischern zu britischen Gewässern. Vereinbart wurde eine Übergangsphase von fünfeinhalb Jahren, in der EU-Fischer in britischen Gewässern 25 Prozent weniger fischen dürfen. Anschließend soll das jährlich festgelegt werden. Aus französischer Sicht gibt es bei der Umsetzung allerdings Probleme und Verzögerungen.

Von der Leyen warb vor Abgeordneten

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte den Vertrag in der Parlamentsdebatte am Dienstag gewürdigt und für die Annahme geworben. Das Abkommen schütze die Rechte der Bürger, verhindere erhebliche Brüche für die Wirtschaft, sichere den EU-Binnenmarkt und EU-Standards. Und es habe „Zähne“ – einen Schlichtungsmechanismus und die Option einseitiger Sanktionen, falls es nötig werde.

Die EU beklagt Verstöße Großbritanniens gegen das bereits gültige EU-Austrittsabkommen von 2019 und die darin enthaltenen Sonderregeln für Nordirland. Deshalb hatte das EU-Parlament das Votum über den neuen Handelsvertrag um einige Wochen verzögert mit dem Argument: Warum den neuen Vertrag bestätigen, wenn der alte nicht eingehalten wird? Letztlich bekannten sich aber am Dienstag alle großen Fraktionen zur Ratifizierung. Sie gelang kurz vor Ende der mit Großbritannien vereinbarten Frist bis 30. April.

Im Juni 2016 hatte eine knappe Mehrheit der britischen Wähler in einem Referendum für den EU-Austritt des Landes gestimmt. Dieser wurde am 31. Jänner 2020 formal vollzogen. Allerdings gab es noch eine Übergangszeit bis 31. Dezember 2020, in der Großbritannien auf dem Binnenmarkt und in der Zollunion blieb. Die tiefen Änderungen im Alltag kamen erst zum 1. Jänner 2021. Unter anderem brach der Handel zu Jahresbeginn drastisch ein.

Johnson: Letzter Schritt einer langen Reise

Der britische Premier Boris Johnson begrüßte die Zustimmung des Europaparlaments. „Diese Woche ist der letzte Schritt einer langen Reise, der Stabilität für unsere neue Beziehung mit der EU als wichtige Handelspartner, enge Verbündete und souveräne Gleichgestellte bringt“, sagte Johnson in London. Nun sei es Zeit, sich auf die Zukunft zu freuen und „Global Britain“ aufzubauen – so nennt Johnson seine Vision eines starken, unabhängigen Königreichs.

Der britische Brexit-Beauftragte David Frost twitterte: „Ich hoffe, wir können nun gemeinsam als Europäer ein neues Kapitel beginnen, geprägt durch freundschaftliche Kooperation zwischen souveränen Gleichgestellten.“ Frost, der gemeinsam mit dem Franzosen Michel Barnier das Abkommen verhandelt hatte, ist mittlerweile Teil des britischen Kabinetts und zuständig für die weitere Beziehung seines Landes mit der EU nach dem Brexit.

Michel: Großbritannien "wichtiger Freund und Partner

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen begrüßte ebenfalls das Votum. Das Abkommen sei „das Fundament für eine starke und enge Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich“, schrieb sie auf Twitter. Sie forderte gleichzeitig Großbritannien auf, die Vereinbarung „gewissenhaft“ umzusetzen.

EU-Ratspräsident Charles Michel schrieb auf Twitter, er begrüße das Ergebnis der EP-Abstimmung sehr. „Es ist ein wichtiger Schritt in den Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien und eröffnet eine neue Ära. Die EU wird weiterhin konstruktiv mit Großbritannien als wichtigem Freund und Partner zusammenarbeiten.“

Edtstadler: Blick nach vorne richten

Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) sagte: „Es ist Zeit, den Blick jetzt nach vorne zu richten.“ Mit der Abstimmung des Europäischen Parlaments seien die langwierigen Verhandlungen mit Großbritannien beendet, und gleichzeitig sei ein Neustart für die zukünftigen Verhältnisse mit den Briten beschlossen worden. Edtstadler dankte insbesondere EU-Chefverhandler Barnier, „der einen fairen Deal auf Augenhöhe ausverhandelt hat, der als Basis für die künftigen Beziehungen mit den Briten dienen und bei dem es kein Rosinenpicken geben wird“.

Der EU-Abgeordnete Guy Verhofstadt, ein führender Politiker der liberalen Fraktion und ehemaliger Ministerpräsident Belgiens, schrieb auf Twitter: „Das erste Handelsabkommen in der Geschichte, das Barrieren errichtet und Freiheiten beseitigt? Ein Misserfolg für beide Seiten, aber besser als nichts.“