Parlament in Budapest
ORF.at/Zita Klimek
Großer Umbau

Ungarn schiebt Staatsbesitz in Stiftungen

Hochschulen, Firmenanteile, Museen, Schlösser: Ungarns rechtskonservative Regierung überführt Staatsbesitz in Milliardenwert in Stiftungen, an deren Spitze von der Regierung ernannte Kuratoren stehen sollen. Die Opposition spricht von „organisiertem Diebstahl“, die Regierung führt wirtschaftliche Gründe ins Treffen.

Am Dienstag legte das Parlament mit den Stimmen der rechtskonservativen Regierungspartei FIDESZ die gesetzliche Basis für die Schaffung von insgesamt 16 Stiftungen. Elf davon werden zu Betreibern von Hochschulen. Das neue Gesetz bezieht sich nicht nur auf Institutionen des Hochschulwesens. Betroffen sind die meisten Universitäten des Landes, darunter die Budapester Medizinische Semmelweis-Universität, die Wirtschaftsuniversität Budapest und die Wissenschaftliche Universität Szeged. Die renommierte Wirtschaftsuniversität Corvinus ist bereits seit Sommer 2019 keine öffentliche Einrichtungen mehr.

Auch kulturelle Einrichtungen, Schlösser, Landwirtschaftsflächen und Parks werden aus staatlichem Eigentum in Stiftungen überführt. Laut ungarischen Medien wird Staatsvermögen im Wert von umgerechnet drei Milliarden Euro „privatisiert“.

Ungarns Premier Viktor Orban
Reuters/Bernadett Szabo
Ungarns Premier Viktor Orban: Die Regierung weitet ihren Einfluss aus und transferiert Staatsbesitz in Stiftungen

Die Mitglieder der Stiftungen werden von der Regierung ernannt. Sie sollen ihre Ämter auf Lebenszeit erhalten, beklagte die Opposition. Viele Stiftungsmitglieder sollen FIDESZ-nahe sein, manche gar amtierende Minister in Orbans Regierung, berichteten ungarische Medien. Die Regierung begründete das Gesetz damit, dass die „Vielfalt und der dynamische Wandel der öffentlichen Aufgaben ein Überdenken der Rolle des Staates rechtfertigen“, wie Bloomberg berichtete.

Milliardenschwere Firmenanteile werden „verschenkt“

Die Pläne der ungarischen Regierung umfassen laut Schweizer Rundfunk (SRF) auch milliardenschwere Anteile, die der ungarische Staat an Großunternehmen wie dem Mineralölkonzern MOL und dem Pharmakonzern Richter hält. Diese Aktienpakete sollen an Stiftungen „verschenkt“ werden, berichtete der SRF Mitte April. An eine Stiftung „verschenkt“ wird dem Bericht zufolge auch eine Tourismusattraktion – das Schloss Gödöllö nahe Budapest, einst bevorzugte Residenz der österreichischen Kaiserin und ungarischen König Sisi.

Opposition: FIDESZ baut Wahlniederlage vor

Orbans FIDESZ ist seit 2010 an der Macht. Derzeit verfügt sie im Parlament gemeinsam mit der ihr angeschlossenen Kleinpartei KDNP über eine Zweidrittelmehrheit. Kommendes Jahr steht die nächste Parlamentswahl an. Dabei droht der FIDESZ erstmals seit über zehn Jahren ernsthafte Konkurrenz. Die sechs größten Oppositionsparteien schlossen sich zu einem Bündnis zusammen.

Das politische Spektrum des Bündnisses reicht von sozialdemokratischen über liberale und grüne Parteien bis zur ehemals rechtsextremen Jobbik. Als Spitzenkandidaten könnte der beliebte grüne Budapester Oberbürgermeister Gergely Karacson ins Rennen gehen.

Budapests Bürgermeister Gergely Karacsony
AP/Laszlo Balogh
Budapests Oberbürgermeister Karacson: Ein Oppositionsbündnis könnte FIDESZ erstmals ernsthaft Konkurrenz machen

Manche Umfragen sehen das Oppositionsbündnis zumindest gleichauf mit FIDESZ, andere sogar leicht voran. Die Opposition sieht in den Stiftungen den Versuch Orbans und seiner Getreuen, sich auch im Fall einer Wahlniederlage ihren Einfluss auf die Wirtschaft und Institutionen wie Hochschulen, Museen und Theater zu erhalten.

Regierung: Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit

Der Oppositionspolitiker Gergely Arato kritisierte im Parlament den „organisierten Diebstahl des Vermögens des ungarischen Volkes“. Kritik kam auch von der Antikorruptionsorganisation Transparency International (TI), die Vetternwirtschaft als ein „Hauptmerkmal“ der Orban-Regierung bezeichnet hatte.

TI-Vertreter Miklos Liget sprach von „unsinnigem“ und „rechtwidrigem“ Vorgehen. „Eine nächste Regierung wird nicht in der Lage sein, diese Staatsvermögen jemals wieder zurückzuholen aus den Taschen dieser Stiftungen“, sagte Liget dem SRF.

Orban verteidigte die Überführung der Universitäten in Stiftungen als Investition in die Bildung. Befürworter des Projekts argumentieren auch damit, dass die Hochschulen im internationalen Vergleich wettbewerbsfähiger gemacht werden sollen. Ungarn war bereits vor einigen Jahren wegen eines Universitätsgesetzes in die Kritik geraten. Die Zentraleuropäische Universität (CEU) des US-Milliardärs George Soros verließ das Land und zog nach Wien um.

Zurückhaltung bei EU-Wiederaufbaufonds

In Sachen EU-Wiederaufbaufonds scheint sich Ungarns Regierung unterdessen zurückzuhalten. Orban wolle nur weniger als die Hälfte der Gelder beanspruchen, die dem Land zustünden, berichtete ein ungarisches Medium. Orban habe der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen überraschend angekündigt, dass er nur rund 43 Prozent des 5.800 Milliarden Forint (rund 16 Milliarden Euro) schweren EU-Wiederaufbaufonds für sein Land abrufen will, schrieb das ungarische Onlineportal 444.hu.

Orban will laut Bericht nur auf die nicht zurückzuzahlenden Zuschüsse in Höhe von 2.500 Milliarden Forint (6,88 Mrd. Euro) des Hilfspaketes zugreifen, offiziell mit der Begründung, dass sich Ungarn nicht weiter verschulden wolle. Allerdings handelt es sich bei dem Ungarn zustehenden Kredit von 3.300 Milliarden Forint (9,08 Mrd. Euro) um einen günstigen Kredit mit niedrigen Zinsen und langer Tilgungsfrist.

Ursula von der Leyen
AP/Francois Walschaerts
Kommissionspräsidentin von der Leyen: Ungarn will offenbar nicht einmal die Hälfte der ihm zustehenden EU-Gelder beantragen

Vermutet wird, dass Orbans Ablehnung vielmehr dem Unwillen Ungarns, mit der EU-Kommission über die Art der Verwendung der Gelder zu diskutieren, geschuldet ist. Laut 444.hu kritisierte Brüssel, dass die ungarische Regierung zu wenige Mittel des Wiederaufbaufonds für länderspezifische EU-Empfehlungen wie Projekte, die mit Rechtsstaatlichkeit und dem Kampf gegen Korruption zu tun haben, verwenden will. Weniger Geld aus Brüssel bedeute mutmaßlich weniger Auflagen für Ungarn, so 444.hu sinngemäß.

Ableger von chinesischer Uni in Budapest

Während Orban mit der EU im Dauerclinch liegt, sucht die ungarische Regierung zunehmend Kontakt zur Großmacht China. Am Dienstag schloss das ungarische Innovationsministerium eine Vereinbarung mit der Schanghaier Fudan-Universität ab. In Budapest soll eine Tochteruni entstehen, an der bis zu 8.000 Studierende unterrichtet werden sollen. Der Lehrbetrieb soll frühestens 2024 starten.

Angeboten werden sollen geistes- und sozialwissenschaftliche, naturwissenschaftliche, technische und medizinische Studienrichtungen. Das Projekt ist in Ungarn umstritten. Die Fudan-Universität gilt zwar als globale Eliteuniversität, ist aber zugleich der Kontrolle der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) unterworfen. Die Baukosten – 1,5 Milliarden Euro – werden von Ungarn übernommen, das dafür einen Kredit bei der staatlichen chinesischen Entwicklungsbank aufnimmt.