US-Präsident Joe Biden
Reuters/ Melina Mara
„Bereit zum Abflug“

Biden vor US-Kongress optimistisch

US-Präsident Joe Biden will die USA tiefgreifend verändern. Das machte er am Mittwoch (Ortszeit) in seiner ersten Ansprache vor dem Kongress einmal mehr deutlich. Seine Rede nutzte er, um trotz Coronavirus-Krise Optimismus zu verbreiten, gegen strukturellen Rassismus aufzutreten und eine klare Botschaft ins Ausland zu senden.

Vor den beiden Kongresskammern beschwor Biden einen amerikanischen Neuanfang nach der Ära seines Amtsvorgängers Donald Trump. Biden ist am Donnerstag 100 Tage im Amt. „Nach 100 Tagen der Rettung und Erneuerung ist Amerika bereit zum Abheben. Wir arbeiten wieder. Träumen wieder. Entdecken wieder. Führen die Welt wieder an“, sagte Biden im Kapitol. Der Demokrat warb für seine Pläne, mit denen er einen strukturellen Wandel in dem Land herbeiführen will. Biden versprach eine Zukunft, in der der Staat den Menschen diene, ihnen Möglichkeiten eröffne und „Fairness und Gerechtigkeit“ garantiere.

Das Infrastrukturpaket bezeichnete er als größten Anschub für den Arbeitsmarkt seit dem Zweiten Weltkrieg. Das mehr als zwei Billionen US-Dollar (rund 1,7 Billionen Euro; Billion = engl. trillion) umfassende Programm werde in den kommenden acht Jahren Millionen neuer Jobs und großes Wachstum schaffen, versprach Biden. Der Plan werde Amerika helfen, sich im wirtschaftlichen Wettbewerb des 21. Jahrhunderts durchzusetzen.

Familien und Bildung im Zentrum

Weitreichend sind auch Bidens Pläne zur Unterstützung von Familien und zur Förderung der Bildung. Er will die in den USA knapp bemessenen Sozialleistungen deutlich ausweiten – die Kosten sollen sich auf ein Jahrzehnt berechnet auf etwa 1,8 Billionen US-Dollar belaufen. Finanziert werden soll sowohl der Familienplan als auch das Infrastrukturpaket mit Steuererhöhungen. „Niemand sollte zwischen einem Job und einem Gehaltsscheck oder der Versorgung von sich selbst und einem geliebten Menschen – einem Elternteil, Ehepartner oder Kind – wählen müssen“, sagte Biden.

US-Präsident Joe Biden mit Vize-Präsidentin Kamala Harris und Vorsitzende des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi
AP/Pool/Jim Watson
Zwei Frauen hinter Biden: Vizepräsidentin Kamala Harris (l.) und Repräsentantenhaus-Sprecherin Nancy Pelosi

Seine Vorschläge bedürfen der Zustimmung des Kongresses – und das Land ist innenpolitisch nach wie vor tief gespalten. Mit einigen Vorhaben könnte Biden selbst bei einzelnen gemäßigten Demokraten und Demokratinnen im Senat auf Ablehnung stoßen. Überparteiliche Zusammenarbeit forderte er auch im Kampf gegen die „Epidemie der Waffengewalt“ in den USA.

Ansage gegen strukturellen Rassismus

Ebenso forderte der Präsident beide Parteien auf, sich abzustimmen, um strukturellem Rassismus entgegenzuwirken. „Wir haben alle das Knie der Ungerechtigkeit auf dem Nacken des schwarzen Amerikas gesehen“, sagte Biden in Anspielung auf die Tötung des Afroamerikaners George Floyd, der vergangenes Jahr in der US-Stadt Minneapolis bei einer brutalen Festnahme ums Leben gekommen war. Ein mittlerweile verurteilter weißer Ex-Polizist kniete damals minutenlang auf Floyds Hals, was zu dessen Tod führte.

„Geh und lass dich impfen, Amerika!“

Mit Blick auf seine Coronavirus-Politik zog Biden eine positive Zwischenbilanz und forderte die Amerikaner auf, sich impfen zu lassen. „Geh und lass dich impfen, Amerika!“, sagte Biden. Es seien genügend Vakzindosen verfügbar. „Die letzten 100 Tage in einer der schlimmsten Pandemien der Geschichte waren eine der größten logistischen Errungenschaften, die dieses Land jemals gesehen hat“, so der 78-jährige Demokrat weiter. Doch noch sei die Seuche nicht besiegt, die USA müssten wachsam bleiben.

Als Präsident habe er ein Land inmitten einer Krise übernommen: Die USA hätten die schlimmste Pandemie binnen eines Jahrhunderts, die schlimmste Wirtschaftskrise seit der Großen Depression und mit der Erstürmung des Kapitols im Jänner den schlimmsten Angriff auf die Demokratie seit dem Amerikanischen Bürgerkrieg erlebt.

Warnungen an China, Russland, Iran und Nordkorea

Zwar stand Bidens innenpolitische Agenda im Zentrum der Rede, aber er ging auch auf die Herausforderungen durch China, Russland, den Iran und Nordkorea ein. Seinen chinesischen Amtskollegen Xi Jinping rief Biden zur Einhaltung globaler Handelsregeln auf, außerdem gelobte er die Verteidigung amerikanischer Interessen.

US-Präsident Joe Biden
Reuters/ Melina Mara
Biden zeigte sich siegessicher – gegen das Coronavirus und gegen Regierungen, die die USA beeinflussen wollen

Den russischen Präsidenten Wladimir Putin warnte Biden inmitten zunehmender Spannungen zwischen den beiden Ländern vor einer weiteren Eskalation. Das Handeln Moskaus habe Konsequenzen, sagte Biden. Zu den jüngst verhängten US-Strafmaßnahmen sagte er: „Ich habe auf Russlands Einmischung in unsere Wahlen und Cyberangriffe auf unsere Regierung und Unternehmen direkt und angemessen reagiert.“

Im Wettbewerb mit den Autokratien der Welt müssten die USA nach Bidens Worten die Stärke der Demokratie vorleben. „Wir müssen beweisen, dass Demokratie immer noch funktioniert“, sagte er – und machte deutlich, dass er seine Regierung dabei auf einem guten Weg sieht. „Wir impfen das Land. Wir schaffen Hunderttausende von Arbeitsplätzen. Wir liefern echte Ergebnisse, die die Menschen sehen und in ihren eigenen Leben spüren können.“

Wenig Publikum wegen Pandemie

Wegen der Coronavirus-Pandemie war das Publikum des Präsidenten deutlich kleiner als in einem gewöhnlichen Jahr. Üblicherweise sitzen die Zuhörerinnen und Zuhörer dicht gedrängt in den Rängen im Repräsentantenhaus – heuer nahmen nach Angaben der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, statt 1.600 Zuhörern nur 200 daran teil.

Korrespondentin Pieh über Bidens Rede

ORF-Korrespondentin Inka Pieh berichtet aus Washington über Joe Bidens erste 100 Tage als US-Präsident.

Biden löste am 20. Jänner den Republikaner Trump im Weißen Haus ab. Die erste Rede eines neu gewählten US-Präsidenten bei einer gemeinsamen Sitzung des Repräsentantenhauses und des Senats im US-Kapitol wird traditionell nicht als Rede zur Lage der Nation bezeichnet, die ansonsten jährlich erfolgt. Erstmals in der Geschichte der USA saßen bei diesem Anlass am Mittwoch zwei Frauen hinter dem Präsidenten: Kamala Harris, die erste Vizepräsidentin des Landes, und Pelosi, die Vorsitzende des Repräsentantenhauses.