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AP/Florian Schroetter
Statistik Austria

Geldsorgen nahmen in Pandemie zu

Die Coronavirus-Krise hat die finanziellen Sorgen der Bevölkerung wachsen lassen. Das zeigt eine Umfrage der Statistik Austria. Dabei sind die vollen Auswirkungen der Pandemie in den im ersten Halbjahr 2020 erhobenen Daten aber noch nicht enthalten.

Mit der Pandemie hätten die finanziellen Sorgen "deutlich zugenommen“, sagte Statistik-Austria-Generaldirektor Tobias Thomas am Donnerstag. Konkret bezieht sich die Statistik („European Union Statistics on Income and Living Conditions, EU-SILC“) auf die Monate März bis Juli. Rund 6.000 heimische Haushalte wurden dafür befragt. Die Erwartung der Befragten hinsichtlich der kommenden zwölf Monate sei eine pessimistischere als noch in den Jahren zuvor gewesen.

Während 2018 und 2019 nur neun bzw. acht Prozent der Bevölkerung mit einer Verschlechterung rechneten, glaubten 2020 15 Prozent, dass sich ihre finanzielle Situation innerhalb des nächsten Jahres verschlechtern werde. Zudem sagten insgesamt 21 Prozent, dass ihr Haushaltseinkommen während der letzten zwölf Monate weniger geworden sei. Als Grund dafür wurde in 21 Prozent der Fälle Jobverlust oder Konkurs des eigenen Unternehmens genannt.

Rund 14 Prozent im Vorjahr armutsgefährdet

Laut den am Donnerstag von der Statistik Austria veröffentlichen Daten galten 2020 rund 1.222.000 Personen (bzw. 13,9 Prozent) der österreichischen Bevölkerung als armutsgefährdet. Das trifft auf all jene zu, die ein relativ zum mittleren Einkommen gesehen niedriges Haushaltseinkommen hatten (weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens).

„Als relatives Maß sagt dieser Indikator allerdings nichts drüber aus, ob oder wie gut ein Haushalt mit seinem Einkommen auskommt“, so die Statistik Austria. Auch bedinge die relative Definition, dass bei einem „Anstieg des Medianeinkommens mehr Haushalte als armutsgefährdet gelten, selbst wenn sich ihr verfügbares Einkommen nicht geändert hat“.

2,7 Prozent „erheblich materiell benachteiligt“

2,7 Prozent der Bevölkerung (233.000 Personen) waren „erheblich materiell benachteiligt“ – das bedeutet, sie konnten sich mehrere „grundlegende Ausgaben zur Sicherung des Mindestlebensstandards“ nicht leisten. Seit Beginn des Erhebungszeitraumes im Jahr 2008 hat sich dieser Armutsindikator um mehr als die Hälfte verringert (2008: 5,9 Prozent).

Unter den unter 60-Jährigen wurde 2020 von 7,1 Prozent nur eine geringe Erwerbsintensität erreicht. Im Vorjahr waren damit 17,5 Prozent der Bevölkerung von einem oder mehreren dieser Indikatoren betroffen und daher laut EU-Definition armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. 2019 waren es 16,9 Prozent. Zum Vergleich: Der EU-Schnitt lag damals bei 21,4 Prozent (für 2020 liegen noch keine EU-Daten vor). Die Statistik Austria verwies zudem ausdrücklich darauf, dass sich die Daten zu Einkommen und Erwerbsintensität gemäß Eurostat-Vorgabe jeweils auf das der Erhebung vorangehende Kalenderjahr – also 2019 – beziehen.

Zahlen für Mückstein „besorgniserregend“

Sozial- und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) sprach von „besorgniserregenden“ Zahlen. Er verwies darauf, dass in besonderem Ausmaß Alleinerziehende (31 Prozent), Familien mit drei oder mehr Kindern (30 Prozent), Menschen mit nicht österreichischer Staatsbürgerschaft (35 Prozent) und Personen in Haushalten mit keiner oder sehr niedriger Erwerbsintensität (56 Prozent) von Armutsgefährdung betroffen sind.

„Rund 14 Prozent der ab 65-Jährigen sind mit Altersarmut konfrontiert, davon sind 67 Prozent Frauen“, so der Minister in einer Aussendung. „Die Bekämpfung von Armut ist mir ein großes Anliegen“, so Mückstein. „Das ambitionierte Vorhaben der Bundesregierung ist es, die Zahl der armutsgefährdeten Menschen in Österreich zu halbieren. Dieses Ziel werden wir durch die Covid-19-Pandemie weder revidieren noch relativieren.“

Im Gegenteil müsse man jetzt die Anstrengungen zur Armutsvermeidung noch verstärken. Sein Haus arbeite intensiv an einer nationalen Strategie „Chancen gegen Armut“. Auch verwies Mückstein auf eine bereits ergriffene „Reihe von Sofortmaßnahmen“ zur Bekämpfung von coronavirusbedingter Armut.

SPÖ fordert Handeln

„Beim Ziel sind wir dabei. Wenn die Regierung das erreichen will, wird sie aber etwas tun müssen, nicht nur reden“, sagte SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch in Richtung Mückstein. Er forderte die Regierung auf, die Vorschläge der SPÖ für ein „höheres Arbeitslosengeld, eine existenzsichernde Mindestsicherung, die Unterhaltsgarantie für Kinder von Alleinerziehenden und für die Aktion 40.000 gegen die grassierende Langzeitarbeitslosigkeit gemeinsam zu beschließen“.

Caritas und Armutskonferenz schlagen Alarm

Caritas-Präsident Michael Landau warnte in einer Aussendung zudem vor der „Ruhe vor dem Sturm“. Was die Statistik noch nicht berücksichtige, „spürt die Caritas bereits jetzt in ihren Einrichtungen“. So sei Erspartes bei vielen längst aufgebraucht, während Miet- und Stromrückstände stark steigen. Auch die Anfragen zu Lebensbedarf und Lebensmitteln hätten zugenommen. Darüber hinaus zeigte sich Landau besorgt, dass jeder bzw. jede vierte Armuts- und Ausgrenzungsgefährdete in Österreich ein Kind sei.

„Die Bundesregierung muss den vorgezeichneten Weg von der Arbeitslosigkeit in die Armut durchbrechen. Dafür braucht es eine dauerhafte Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf ein existenzsicherndes Niveau bei gleichzeitiger Beibehaltung der Notstandshilfe“, so Landau.

Ruf nach „existenzsichernden Löhnen“

In dieselbe Kerbe schlug die Armutskonferenz. „Existenzsichernde Löhne und Arbeitslosengelder sind ein wesentlicher Beitrag zur Armutsvermeidung“, heißt es in einer Aussendung. Die Armutskonferenz übte zudem Kritik daran, dass die Kinderarmut trotz des 2019 eingeführten „Familienbonus“ – und noch vor der Abschaffung der Mindestsicherung – steige.

Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich, zeigte Unverständnis für die fehlenden Maßnahmen zur Armutsminderung und den ausständigen Nationalen Aktionsplan (NAP) zur Armutsbekämpfung, der vom Sozialministerium bereits Anfang 2020 angekündigt wurde. Er forderte eine Erhöhung der Nettoersatzrate des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent, eine Reform der Mindestsicherung und die Einführung der Kindergrundsicherung.

Regierung setzt auf „Comebackplan“

Die Regierung war zuletzt bemüht, positive Signale zu senden. Ein „Comebackplan“ soll der Wirtschaft in ihrem Weg aus der Krise helfen und die Zahl der Arbeitslosen nachhaltig verringern. Binnen eines Jahres sollen 500.000 Personen, die jetzt ohne Job oder in Kurzarbeit sind, wieder in reguläre Beschäftigung kommen – der Opposition war das zu wenig. Die Caritas forderte einen „sozialen Comebackplan“ – mehr dazu in religion.ORF.at. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zeigte sich zuletzt auch zuversichtlich, dass bis zum Sommer 200.000 Menschen wieder in Beschäftigung zurückkehren können.

Die Arbeitslosenzahlen sanken im März deutlich, waren aber weiter auf hohem Niveau. Ende März waren 457.817 Personen arbeitslos gemeldet oder in AMS-Schulung, das waren um 51.106 weniger als vergangenen Februar und um 104.705 weniger als im März 2020. Vor einem Jahr befand sich Österreich im ersten harten Lockdown.

Zum Vergleich: Vor der Krise waren im März 2019 rund 369.000 Personen arbeitslos oder in AMS-Schulungen. Im Zweijahresvergleich sind die Arbeitslosenzahlen also noch um rund 89.000 höher. Ende März waren noch rund 486.000 Personen zur Kurzarbeit angemeldet. Aktuelle Zahlen zeigten jüngst aber auch, dass für viele österreichischen Haushalte das Heizen ein Luxus ist. Rund 94.000 Haushalte in Österreich können es sich nicht leisten, die Wohnung angemessen warm zu halten – mehr dazu in oesterreich.ORF.at .