Ampulle mit dem Impfstoff Sputnik
Reuters/Anton Vaganov
Trägervirus aktiv?

Neue Zweifel an „Sputnik V“

Dass ausgerechnet das besonders schwer von der CoV-Pandemie betroffene Brasilien dem „Sputnik V“-Impfstoff die Zulassung verweigert hat, hat international aufhorchen lassen. Mittlerweile dürfte klar sein, warum: Zumindest bei der untersuchten Charge für die zweite Impfung soll es potenziell gefährliche Mängel gegeben haben. Die Slowakei hatte schon zuvor Ungereimtheiten bei dem Impfstoff moniert.

Bei der von der brasilianischen Gesundheitsbehörde Anvisa kontrollierten Charge konnte sich das Trägervirus – ein Verkühlungsvirus – offenbar vermehren. Die in Kanada und den USA tätige Virologin Angela Rasmussen twitterte nach Einsicht der brasilianischen Untersuchungsergebnisse, die Behörde habe den Import des Impfstoffs zu Recht nicht erlaubt. Die Analyse wecke „Zweifel an der Zuverlässigkeit des Herstellungsprozesses“, sagte sie gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Rasmussen ist Forscherin an Kanadas Impf- und Seucheninstitut und der Georgetown University.

Denn die Tatsache, dass das Adenovirus Typ 5 (Ad5) aktiv ist, also sich im Körper vermehren kann, könnte vor allem für immunsupprimierte Menschen gefährlich werden. Ad5 wird bei der zweiten Gabe von „Sputnik V“ als Trägervirus für das Spikeprotein des CoV-SARS-2-Virus eingesetzt, das im Fall einer Infektion SARS-CoV-2 erkennt und die Antikörperproduktion anregt.

An sich handle es sich um ein vergleichsweise harmloses Verkühlungsvirus. Bei Menschen, deren Immunsystem stark geschwächt ist, könnte auch eine solche Erkrankung laut Rasmussen aber schwerwiegende Folgen haben.

Ausmaß des Problems unklar

Bei Vektorimpfstoffen werden etwa solche Adenoviren als Trägerviren verwendet. Sie werden dabei aber genetisch so behandelt, dass sich das Grundvirus nicht mehr replizieren kann. Laut Rasmussen wurde das E1-Gen nicht entfernt. Rasmussen betonte, dass derzeit unklar ist, ob es sich dabei nur um einen einmaligen Fehler handelt oder es ein „weit verbreitetes Problem“ bei „Sputnik V“ ist. Das Gamaleja-Institut, das den russischen Impfstoff entwickelte, wies die Berichte als „Fake News“ zurück.

Kaufpläne in Österreich

Von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) ist „Sputnik V“ bisher nicht zugelassen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) möchte für Österreich das Vakzin kaufen. Eine Zulassung durch die EMA nannte er als Voraussetzung dafür.

Fehler bei Rekombination?

„Sputnik V“ verwendet zwei verschiedene Adenoviren, Typ 26 (Ad26) bei der ersten Gabe und Typ 5 (Ad5) bei der zweiten. Laut einer Slideshow, die Fachleute der brasilianischen Behörde Anvisa online stellten, wurden Proben der zweiten Gabe geprüft und analysiert, dass Ad5 „replikationsfähig“ war, sich das Verkühlungsvirus im menschlichen Körper also vermehren könnte.

Die Anvisa-Expertinnen und -Experten vermuten, dass es sich vermutlich um ein Problem bei der Rekombination – der Neuanordnung des genetischen Materials – handelt. Die erste Gabe wurde von Anvisa nicht untersucht, daher ist unklar, ob es hier ein ähnliches Problem gibt.

Die Virologin Angela Rasmussen
AP/Ted S. Warren
Rasmussen steht – so wie viele Fachleute ihrer Zunft – seit der Pandemie im Zentrum des öffentlichen Interesses

Frage des Vertrauens

Für Rasmussen ist es freilich kein Problem der Vektorimpfstoff-Technologie, die sie für sicher hält. Außerdem hätten diese gegenüber mRNA-Impfstoffen den Vorteil, dass sie leichter transportierbar sind. Sie warnte jedoch davor, dass die nun aufgetretenen Probleme das Vertrauen in den Impfstoff – und generell in Impfstoffe – weiter beschädigen könnten. Dabei sei der russische Impfstoff laut einer Studie im angesehenen Medizinjournal „The Lancet“ sehr sicher und sei auf eine 90-prozentige Effektivität gekommen.

Wenn sich die Menschen aber nicht sicher sein könnten, dass der Impfstoff, den sie bekommen, dieselben Eigenschaften und Qualität wie in den Studien aufweise, dann „kann ich mir vorstellen, dass sich die Leute überlegen, sich damit überhaupt impfen zu lassen“, so Rasmussen. Auf Twitter betonte sie, sie hoffe, dass das Gamaleja-Institut die Fragen rasch aufklären könne.

Unklar sei derzeit auch, ob das vermutete Herstellungsproblem nicht auch die DNA des Coronavirus-Spike-Proteins, das im Fall einer Infektion SARS-CoV-2 erkennt und die Antikörperproduktion anregt, unwirksam macht. Die mögliche Folge wäre, dass die Impfung mit „Sputnik V“ nicht nur Nebenwirkungen auslösen könnte, sondern zudem nicht gegen eine Ansteckung mit dem Coronavirus schützt.

Entwickler bestreiten Probleme

Denis Logunow, Vizedirektor des Gamaleja-Instituts, betonte, „die Presseberichte, die ich gelesen habe, haben mit der Realität nichts zu tun“. Der Adenovirus-Vektor könne sich nicht replizieren. Auch die slowakischen Vorwürfe hatte das Institut umgehend zurückgewiesen und auf die einheitliche Produktion und ein angeblich strenges Kontrollregime hingewiesen.

Auf Twitter mahnte das Institut Rasmussen, nicht die „Fake News“ von Anvisa zu verbreiten. Auf Nachfrage Rasmussens wiederholte das Institut seinen Vorwurf und kündigte an, nächste Woche seine Korrespondenz mit der brasilianischen Behörde veröffentlichen zu wollen.

Das russische Institut deutete politische Motive für die brasilianische Entscheidung an. Mehrere brasilianische Bundesstaaten und Bürgermeister von Metropolen hatten allerdings vor der Entscheidung von Anvisa bereits „Sputnik“-Lieferungen bestellt. Auch die brasilianische Regierung hatte im März einen Vertrag über den Kauf von zehn Mio. Dosen abgeschlossen.

EU wirft Russland Desinformationskampagne vor

Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) prüft den russischen Impfstoff derzeit noch. Wann eine Entscheidung kommen wird, ist unklar. Mittlerweile erstrecken sich die geopolitischen Spannungen aber auch auf die Pandemiebekämpfung: Einem EU-Bericht zufolge versuchen russische Staatsmedien, Behörden und Staatsunternehmen seit Dezember, „Sputnik V“ zu bewerben. Zugleich würden sie „feindselige“ Kommunikationsstrategien verwenden, um der EU eine „Sabotage“ des Impfstoffs vorzuwerfen.

Forscher im Labor des Gamaleya Instituts
AP/Russian Direct Investment Fund/Alexander Zemlianichenko Jr
Pressefoto des Gamaleja-Instituts zur Arbeit im Moskauer Labor.

Dem Kreml nahestehende Medien, darunter auch der offizielle Twitter-Account von „Sputnik V“, versuchten, „das öffentliche Vertrauen in die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) zu untergraben und Zweifel an ihren Prozessen und ihrer politischen Unparteilichkeit zu säen“, heißt es in dem Bericht.

Zwiauer vom Impfgremium im Interview

Als erstes Bundesland prescht Niederösterreich vor und gibt, stufenweise, die Anmeldung für die Coronavirus-Schutzimpfung für alle Altersgruppen frei. Im Studio ist dazu Karl Zwiauer, Mitglied des Nationalen Impfgremiums, zu Gast.

Die Desinformationskampagnen zielten darauf ab, die Erzählung zu nähren, dass die EMA die Marktzulassung für „Sputnik V“ absichtlich verschleppe. Auch gegen China erhebt der Bericht ähnliche Vorwürfen.

Russland sieht sich selbst als Opfer

Der Hersteller von „Sputnik V“ wies die Vorwürfe des EU-Berichts umgehend zurück. Tatsächlich sei der Impfstoff selbst „Ziel bedauerlicher täglicher Informationsattacken, hauptsächlich seitens einiger EU-Medien“. Der Hersteller betonte, vom Interesse geleitet zu sein, „Leben rund um den Globus zu schützen und ein Impfstoffmonopol zu verhindern, nach dem manche Impfstoffhersteller vielleicht streben“. Mit der EMA stehe man in einem „positiven Dialog“.