Silhouette einer Frau
ORF.at/Christian Öser
Femizide

Welle der Entrüstung nach jüngstem Mord

Bis 30. April 2021 sind in Österreich neun Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet worden. Der jüngste Mord in Wien-Brigittenau in der Nacht auf Freitag löste eine Welle der Entrüstung im ganzen Land aus. Gewalt gegen Frauen müsse endlich gestoppt werden, so viele politische Organisationen und Politikerinnen am Freitag. Es brauche endlich ernst gemeinte Maßnahmen zum Schutz von Frauen, forderten sie unisono.

Der Österreichische Frauenring verlangte von der Bundesregierung Sofortmaßnahmen. „Diese Situation ist unerträglich. Trotz wiederholter dringlicher Appelle der Frauenorganisationen bleibt die Regierung untätig“, kritisierte Klaudia Frieben, Vorsitzende des Frauenrings. Am Montag will die Organisation zusammen mit Gewaltschutzexpertinnen ihre Forderungen an die Bundesregierung präsentieren, um Femizide zu stoppen.

Erschüttert zeigte sich auch SPÖ-Frauenvorsitzende Gabriele Heinisch-Hosek. „Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren und müssen den Schutz von Frauen rasch verbessern“, so Heinisch-Hosek. Die SPÖ drängt auf eine sofortige Umsetzung eines Gewaltschutzgipfels mit allen im Gewaltschutz tätigen Organisationen. „Der laufende Dialog mit jenen, die durch ihre tägliche Arbeit in der Praxis genau wissen, wo die Probleme und Verbesserungsmöglichkeiten liegen, ist dringend notwendig“, so die SPÖ-Frauenvorsitzende in einer Aussendung. Heinisch-Hosek sieht Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) gefordert.

SPÖ fordert sofortiges Gewaltschutzpaket

Die SPÖ-Frauenvorsitzende wies auf die Forderungen ihrer Partei hin: bundesweite Hochrisikofallkonferenzen, die Stärkung der Prozessbegleitung, den Ausbau von Anti-Gewalt-Trainings, einen verbindlichen Richtlinienkatalog für Strafverfolgungsbehörden über die Behandlung von Fällen von Gewalt an Frauen und einen raschen Ausbau der Frauen- und Mädchenberatungsstellen.

„Die Zeit drängt! Schnüren wir gemeinsam ein Gewaltschutzpaket", hieß es in einer Aussendung der SPÖ. „Wie sinnvoll eine parteiübergreifende Zusammenarbeit ist, zeigt die Einigung auf eine stärkere Sensibilisierung der RichterInnen auf Gewaltschutz in der Ausbildung.“ Ein entsprechender Antrag von SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim wurde im Parlament bereits einstimmig angenommen. „Wir müssen alle Hebel in Bewegung setzen, um Gewalt an Frauen zu verhindern“, so Heinisch-Hosek.

NEOS: „Endlich Maßnahmen setzen“

„Es ist schrecklich und erschüttert jedes Mal aufs Neue bis ins Mark. Wir können nicht länger dabei zusehen, wie mittlerweile nahezu wöchentlich eine Frau getötet wird. Wir müssen endlich Maßnahmen zum Schutz von Frauen setzen, die auch greifen“, so NEOS-Frauensprecherin Henrike Brandstötter in einer Aussendung. Es brauche dringend mehr Budget für Gewaltschutz und mehr Hilfseinrichtungen für Gewaltopfer. „Vor allem Frauen mit Behinderungen, Asylwerberinnen und auch Kinder, die Zeugen von häuslicher Gewalt werden, bekommen nicht die notwendige Unterstützung und Betreuung.“

NEOS fordert Gewaltprävention bereits ab dem Kindergarten, mehr Ressourcen für eine umfassende Bewusstseinsbildung, Schulungen der Erstanlaufstellen in Medizin, Exekutive und Judikative sowie in Betrieben. "Ich appelliere hier direkt an die Frauenministerin Raab, endlich tätig zu werden und Gewaltschutz für Frauen endlich breiter zu denken und auch verbale Gewalt gegen Frauen ernst zu nehmen – nicht erst den Anlassfall eines Femizids“, so Brandstötter. Auch NEOS-Justizsprecher Johannes Margreiter zeigte sich erschüttert: „Neun Femizide in vier Monaten sind ein trauriger Beweis dafür, dass sich in Österreich drastisch etwas ändern muss.“

Grüne Wien: Männergewalt stoppen

Auch die Grünen Wien nehmen Bezug auf den jüngsten Frauenmord in Wien-Brigittenau. „Femizide – Frauenmorde – sind keine Einzelfälle, sondern haben System und müssen klar als solche benannt werden. Sie sind die Spitze des misogynen und patriarchalen Eisbergs der Männergewalt gegen Frauen“, so Viktoria Spielmann, Gemeinderätin und Frauensprecherin der Grünen Wien.

Beratung für Männer

„Wir müssen diese Gewalt auf allen Ebenen stoppen. Mit aller Entschlossenheit“, so Spielmann weiter. Sie forderte einen umfassenden Ausbau von Grätzelinitiativen in Wien, wie sie die Grünen ausgearbeitet hätten. „Darüber hinaus brauchen wir vor allem im öffentlichen Raum eine breit angelegte Kampagne gegen Männergewalt an Frauen bzw. Bewusstseinskampagne gegen Femizide“, so die Frauenbeauftragte der Wiener Grünen.

„Breite Sensibilisierungsmaßnahmen“

Bei dem Täter in Wien-Brigittenau soll es sich um einen der Polizei bekannten Mann handeln, der als „Bierwirt“ aus dem Gerichtsfall der grünen Klubobfrau Sigrid Maurer bekannt ist. Die Polizei bestätigte entsprechende Berichte allerdings nicht. Auf die Causa nahm Maurer selbst auf Twitter Bezug, machte aber deutlich, es sei unerheblich, wer der Täter sei.

Meri Disoski, Frauenvorsitzende der Grünen, forderte daher in einer Aussendung „breite Sensibilisierungsmaßnahmen zu Männergewalt und Männerbildern". Diese seien dringend notwendig. „Das Ausmaß der Gewaltbereitschaft und der Männergewalt in Österreich ist nicht nur schockierend und schier unerträglich. Hier müssen wir im Kampf gegen die massive gesellschaftsstrukturelle Verankerung von Gewalt noch stärker ansetzen. Gewalt darf niemals etwas Selbstverständliches und Alltägliches sein“, sagte Disoski.

Gewessler stark betroffen

Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) zeigte sich bei einer Pressekonferenz anlässlich des Tags der Arbeit (1. Mai) am Freitagvormittag sichtlich getroffen von den aktuellen Geschehnissen. Obwohl nicht Thema der Pressekonferenz, ging sie auf den jüngsten Frauenmord ein. Gewessler begann über die Schwierigkeiten der Pandemie für alle in Österreich zu sprechen, als sie ihren Satz abbrach.

Ministerin Gewessler zu Frauenmord

Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) zeigte sich bei einer Presskonferenz bestürzt über den Mord.

„Bevor ich zur Tagesordnung übergehe – ich würde gerne drei Sätze sagen als Frau in diesem Land“, fuhr Gewessler fort. „Wir haben heute Nacht einen Frauenmord in der Brigittenau gehabt, und ich möchte an dieser Stelle mein tief empfundenes Beileid und mein Mitgefühl ausdrücken. Es ist die neunte Frau, die in Österreich dieses Jahr ermordet wurde.“ Betroffen unterbrach sie erneut: „Da müssen wir etwas tun, entschuldigen Sie.“

Raab: „Werde auch in Zukunft nicht ruhen“

Frauenministerin Raab reagierte in einer Stellungnahme an ORF.at und zeigte sich „zutiefst betroffen“. „Grausame Taten wie diese sind die Spitze des Eisbergs, denn Gewalt gegen Frauen beginnt bereits bei abwertenden Äußerungen und Beschimpfungen und reicht bis hin zu gewalttätigen Übergriffen“, so Raab. „Mir ist es daher wichtig, dass jede Frau weiß, dass sie einen Zufluchtsort hat, wo sie bereits bei den ersten Anzeichen von Gewalt Schutz findet.“

Ein großer Teil des Frauenbudgets fließe daher in Gewaltschutzmaßnahmen, wie die Finanzierung von Gewaltschutzzentren und Frauenberatungsstellen. „Zudem haben wir letztes Jahr auch 3,25 Millionen Euro für Gewaltschutzprojekte in ganz Österreich zur Verfügung gestellt“, so die Frauenministerin weiter. "Gewalt an Frauen und Mädchen dürfen wir als Gesellschaft niemals hinnehmen. Ich werde daher auch in Zukunft nicht ruhen und weitere Initiativen im Gewaltschutz setzen.“

Opferschutzeinrichtungen beklagen Überlastung

Opferschutzeinrichtungen beklagten indes am Freitag erneut eine völlige Überlastung ihrer Institutionen. Rosa Logar, Leiterin der Wiener Interventionshilfe gegen Gewalt in der Familie, berichtete etwa, dass ihre Organisation mehr als 6.000 Fälle pro Jahr bearbeitet. „Da ist keine Zeit, auf das Opfer einzugehen“, bemängelte sie.

Im Jahr 2020 wurden in Wien von der Interventionsstelle 6.199 Fälle betreut. Eine langfristige und intensive Unterstützung Betroffener sei so nicht mehr möglich. Ein Berater bzw. eine Beraterin habe in akuten Hochzeiten bis zu 300 Opfer zu betreuen. „Für Kolleginnen und Kollegen ist das eine unheimliche Belastung, weil sie so wenig Zeit haben und nur kurzfristig da sein können.“

Die Einrichtungen hätten mehrfach die Politik um Hilfe gebeten, weil die Anforderungen gestiegen seien. „Wenn wir mehr Mittel für die Opferbetreuung hätten, könnten wir intensiver dranbleiben und Eskalationen vermeiden.“ In vielen Fällen seien die Täter nämlich bereits bekannt – mehr dazu in wien.ORF.at.

Täter meistens in (Ex-)Beziehung mit Opfer

Die Fälle von Gewalt an Frauen sowie Femiziden in Österreich steigen. Zumeist sind die Täter (Ex-)Ehemänner, (Ex-)Lebensgefährten und andere männliche Familienmitglieder. Waren es 2014 laut polizeilicher Kriminalstatistik noch 14 Frauenmorde, so waren es 2020 31. Es kam also in diesem Zeitraum zu mehr als einer Verdoppelung der Femizide. Davor gab es im Jahr 2018 einen Höchststand von 41 Morden an Frauen. Dass im Pandemiejahr 2020 die Zahl weiblicher Mordopfer sank, wird von den Autonomen Österreichischen Frauenhäuser damit begründet, dass Frauen im Zuge der Lockdowns „verstärkt der Kontrolle der gewaltausübenden Partner ausgesetzt waren“ und kaum Fluchtmöglichkeiten hatten.

Grafik zu Frauenmorden
Grafik: ORF.at; Quelle: Bundeskriminalamt

Von den heuer neun Femiziden in Österreich geschahen vier in Wien, zwei in der Steiermark, drei weitere Männer töteten ihre (Ex-)Partnerinnen in Niederösterreich, Oberösterreich und Salzburg. Trennungen bzw. die Ankündigung einer Trennung dürften dabei häufig zur Gewalttat geführt haben: Eine Statistik der Wiener Interventionsstelle für Gewalt erklärte für 2019 die Verhältnisse der Gefährder zu den Opfern. 44,8 Prozent der Täter standen zum Tatzeitpunkt in einer Beziehung zu ihren Opfern. 23,2 Prozent hatten sich bereits getrennt. 22,1 Prozent standen in einem Verwandtschaftsverhältnis zu den Frauen. Fremde beliefen sich auf 0,8 Prozent.

Jede fünfte Frau Gewalt ausgesetzt

2020 wurden 11.652 Betretungs- und Annäherungsverbote von der Polizei verhängt. 2019 waren es 8.748, wie aus den Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik und Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie hervorgeht.

Jede fünfte Frau ist statistisch gesehen ab ihrem 15. Lebensjahr körperlicher und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt. Das zeigte eine Erhebung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte zu geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen im Jahr 2014. Im europäischen Vergleich findet sich Österreich in absoluten Zahlen in der Mitte wieder. Laut den im Herbst 2020 von Eurostat veröffentlichten Zahlen ist Österreich jedoch das einzige EU-Land, in dem mehr Frauen als Männer Gewaltverbrechen zum Opfer fielen.