Ein Graffito des russischen Oppositionspolitikers Alexei Nawalny wird übermalt
APA/AFP/Olga Maltseva
Streit über Nawalny

Russland verhängt Sanktionen gegen EU

Moskau antwortet auf Strafmaßnahmen, welche die EU im März gegen russische Staatsfunktionäre wegen des Falls des inhaftierten Kreml-Kritikers Alexej Nawalny erlassen hat. Es verbietet acht hochrangigen Vertretern aus EU-Staaten die Einreise nach Russland. Der Kreml wirft Brüssel eine „antirussische Hysterie“ vor.

Alle Vorschläge aus Moskau zur Lösung von Problemen zwischen Russland und der EU würden „konsequent ignoriert oder abgelehnt“. Ziel es sei offenbar, „die Entwicklung Russlands um jeden Preis einzudämmen“, hieß es aus Moskau. Allein im März seien sechs Russen „unrechtmäßigen EU-Beschränkungen“ ausgesetzt gewesen. Es waren bereits Gegenmaßnahmen angekündigt worden.

Als Reaktion auf Einreiseverbote in die EU wurden nun Einreiseverbote gegen acht Vertreter aus EU-Staaten verhängt – darunter EU-Parlamentspräsident David Sassoli und EU-Vizekommissionspräsidentin Vera Jourova. Das teilte das russische Außenministerium am Freitag mit. Mit Sanktionen belegt wurden auch Bürger aus Deutschland, Frankreich, Estland und Lettland.

EU-Spitze verurteilt Entscheidung

„Wir verurteilen die Entscheidung der russischen Behörden aufs Schärfste“, hieß es am Freitagabend in einer gemeinsamen Stellungnahme der Spitzen von EU-Kommission, Europäischem Rat und EU-Parlament, Ursula von der Leyen, Charles Michel und Sassoli. Sie sei inakzeptabel, ohne rechtliche Begründung und völlig gegenstandslos. Die EU behalte sich das Recht vor, als Reaktion angemessene Maßnahmen zu ergreifen.

Sassoli selbst zeigte sich von den russischen Sanktionen unbeeindruckt. „Offensichtlich bin ich im Kreml nicht willkommen? Ich habe es ein wenig erwartet“, schrieb er auf Twitter. Der Sozialdemokrat fügte hinzu: „Keine Sanktionen oder Einschüchterung werden das Europäische Parlament oder mich davon abhalten, Menschenrechte, Freiheit und Demokratie zu verteidigen. Drohungen werden uns nicht zum Schweigen bringen.“

Jourova ihrerseits bedankte sich für die Unterstützung der drei Präsidenten. Sie werde weiter für Menschenrechte, Medienfreiheit und Demokratie eintreten. Russlands Bemühungen, Desinformationen zu verbreiten und Menschenrechte zu untergraben, verdiene eine starke und anhaltende Reaktion. „Wenn dies der Preis dafür ist, die Wahrheit zu sagen, dann zahle ich ihn gerne.“

Gegenreaktion auf EU-Maßnahmen

Die EU hatte im März Strafmaßnahmen gegen russische Regierungsmitarbeiter verhängt. Grund dafür war die Inhaftierung Nawalnys. Betroffen waren der russische Generalstaatsanwalt Igor Krasnow und der Chef des zentralen Ermittlungskomitees Alexander Bastrykin. Zudem richteten sich die Strafmaßnahmen gegen den Chef des Strafvollzugsdienstes, Alexander Kalaschnikow, sowie den Befehlshaber der Nationalgarde, Viktor Solotow.

Zur Verhängung der Strafmaßnahmen wurde erstmals ein neues, im vergangenen Jahr geschaffenes Sanktionsinstrument genutzt. Dieses ermöglicht es, in der EU vorhandene Vermögenswerte von Akteuren einzufrieren, die schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begehen bzw. davon profitieren. Außerdem wurden unter anderem Einreiseverbote in die Europäische Union verhängt. Auch die USA belegten Russland mit Sanktionen.

Der Kreml-Kritiker Nawalny war nach seiner Rückkehr aus Deutschland, wo er sich von einem Mordanschlag mit einem Nervengift der Nowitschok-Gruppe erholt hatte, im Jänner festgenommen worden. Weil er Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren nicht erfüllt haben soll, wurde er Anfang Februar in Moskau zu einer mehrjährigen Haft im Straflager verurteilt.

Kritik an Nawalny-Urteil

Die EU hält das Urteil für unzulässig, unter anderem weil Nawalny sich nach dem Nervengiftanschlag auf ihn mehrere Monate in Deutschland behandeln lassen musste. Nawalny, der erst vor einer Woche einen Hungerstreik auf Anraten seiner Ärzte beendet hat, ist in einem Straflager östlich der Hauptstadt Moskau inhaftiert.

Zwei Bildschirme zeigen den  russischen Oppositionspolitiker Alexei Nawalny im Gefängnis
AP/Babuskinsky District Court Press Service
Die jüngsten Aufnahmen Nawalnys im Gefängnis

Wegen des Anschlags auf Nawalny am 20. August 2020 hatte die EU bereits im vergangenen Jahr Einreise- und Vermögenssperren gegen mutmaßliche Verantwortliche aus dem Umfeld von Präsident Wladimir Putin verhängt. In Brüssel wird davon ausgegangen, dass staatliche Stellen in Russland hinter dem Attentat stehen. Russland hatte das stets zurückgewiesen und sich eine Einmischung in innere Angelegenheiten verbeten.

Nawalny-Büros als „extremistisch“ eingestuft

Die russischen Behörden gehen derzeit verstärkt gegen Nawalnys Organisationen vor. Die Finanzaufsichtsbehörde setzte am Freitag die regionalen Vertretungen von Nawalnys Antikorruptionsstiftung FBK auf die Liste „extremistischer“ und „terroristischer“ Organisationen. Mit der Einstufung gehören diese Unterorganisationen derselben Kategorie an wie die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) und das Terrornetzwerk al-Kaida. Parallel dazu werden etwa Konten der Betroffenen gesperrt.

Auf der Liste standen am Freitag allerdings nur die Regionalbüros, nicht die Stiftung als Ganzes. Eine Einstufung der gesamten FBK als „extremistisch“ hätte deren Totalverbot zur Folge. Mitgliedern und Unterstützern würden lange Haftstrafen drohen. Nawalyns Unterstützer kritisieren das Vorgehen als politisch motiviert. Die Zustimmungswerte von Putins Partei Geeintes Russland sind vor der Parlamentswahl im September derzeit so schlecht wie selten.

Prominenter Anwalt Pawlow festgenommen

Die russischen Behörden nahmen am Freitag außerdem den bekannten Menschenrechtsanwalt Iwan Pawlow fest, der auch Nawalny und dessen Organisationen vertritt. Pawlow wurde nach einer Durchsuchung in Moskau in Gewahrsam genommen, wie es auf der Website seiner Organisation Team 29 hieß. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss von Anwälten und Journalisten, die sich für Meinungsfreiheit in Russland einsetzen.

Pawlow werde vorgeworfen, Informationen aus einem Ermittlungsverfahren preisgegeben zu haben. Es soll um den Fall des ehemaligen Journalisten Iwan Safronow gehen. Safronow war im Juli festgenommen worden. Dem auf Verteidigungsthemen spezialisierten Journalisten wird angelastet, vertrauliche Dokumente an Tschechien weitergegeben zu haben.

Haftstrafe wegen Rammstein

Ein Gericht in Archangelsk hatte zudem am Donnerstag in einem separaten Verfahren den Nawalny-Mitstreiter Andrej Borowikow zu zweieinhalb Jahren Haft wegen der Veröffentlichung eines Musikvideos der Band Rammstein verurteilt. Er wurde der Verbreitung von Pornografie schuldig befunden. Der 32-Jährige leitete früher ein Büro Nawalnys.

Rammstein-Gitarrist Richard Kruspe nannte die „Härte“ des Urteils „schockierend“. „Rammstein haben sich immer für die Freiheit der Kunst als ein garantiertes Grundrecht aller Menschen eingesetzt“, schrieb Kruspe im Onlinedienst Instagram.

Kurz telefonierte mit Putin

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sprach am Freitag erneut mit Putin über einen möglichen Gipfel des russischen Präsidenten mit seinem US-Amtskollegen Joe Biden in Wien. Daneben sind auch Helsinki, Genf und Dublin als mögliche Austragungsorte für einen Gipfel im Gespräch. Biden hatte Putin angesichts erheblicher Spannungen zwischen beiden Staaten ein Gipfeltreffen in einem Drittland vorgeschlagen, nach seinen Vorstellungen im Sommer in Europa. Der Kreml hat bisher offengelassen, ob Putin die Einladung annimmt.

Kurz und Putin sprachen in ihrem Telefonat außerdem über die Teilnahme an der russischen Prestigeveranstaltung des St. Petersburger Wirtschaftsforums, den Coronavirus-Impfstoff „Sputnik V“, Weißrussland und die Ukraine. Auch die „Frage Alexej Nawalny“ sei tangiert worden.