Britische Premierminister Boris Johnson
Reuters/Jessica Taylor
Affäre um Dienstwohnung

Parteikollege geht auf Distanz zu Johnson

Nach den Enthüllungen rund um die Renovierung seiner Londoner Dienstwohnung und angesichts fallender Umfragewerte ist heute mit Douglas Ross ein erster ranghoher Vertreter der britischen Tory-Partei auf Distanz zu Premierminister Boris Johnson gegangen.

In einem BBC-Interview sagte der Chef der Konservativen Partei in Schottland, Johnson müsse „selbstverständlich“ zurücktreten, falls ihm ein Regelverstoß bei der Finanzierung der Renovierungsarbeiten nachgewiesen werde. Die Bevölkerung erwarte, dass „diejenigen im höchsten Amt dieses Landes die höchsten Standards einhalten“, so Ross: Daher verfolgten die Menschen die laufenden Ermittlungen zu dem Thema aufmerksam „und warten auf die Antworten“.

Der Wahlausschuss prüft derzeit, ob bei der Renovierung von Johnsons Dienstwohnung Parteispenden flossen. Unbestätigten Berichten zufolge sollen die Modernisierungsarbeiten in Johnsons Wohnung bis zu 200.000 Pfund (rund 230.000 Euro) gekostet haben, das ist ein deutlich höherer Betrag als der jährliche Zuschuss der Regierung dafür in Höhe von 30.000 Pfund.

Raab spricht von „Klatsch“

Außenminister Dominic Raab sagte in einem Fernsehinterview, die Partei nehme die Ermittlungen des Wahlausschusses ernst. Bei den Vorwürfen gegen Johnson handle es sich aber lediglich um „Klatsch“. Der Premier habe „kristallklar“ versichert, dass er die Renovierung selbst gezahlt habe. Allerdings ist bisher unklar, ob die Rechnung zunächst von einem Parteispender beglichen und erst später von Johnson zurückgezahlt wurde.

Die „Sunday Times“ berichtete unterdessen, Johnson habe auch zur Finanzierung seines Fitnesstrainers und von Säuglingsausstattung für seinen kleinen Sohn die Unterstützung von Parteispendern gesucht. Die Zeitung zitierte einen Spender mit den Worten: „Ich zahle ja gern für Flugblätter, aber ich nehme es übel, wenn man mich quasi darum bittet, dem Baby des Premierministers den Hintern abzuwischen.“

Die auf Insiderinformationen beruhenden anhaltenden Enthüllungen rücken Johnson und andere Vertreter der Regierung wenige Tage vor der Kommunalwahl am Donnerstag in ein schlechtes Licht. Sie erwecken vor allem den Eindruck einer massiven Verquickung von privaten und politischen Interessen.

Johnson betont optimistisch

Johnson sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, seiner Verlobten zuliebe interne Untersuchungen gestoppt und die unter deren Leitung durchgeführten Renovierungsmaßnahmen in seiner Dienstwohnung auf zwielichtigem Wege finanziert zu haben. Vergangene Woche musste Johnson zudem Berichte dementieren, wonach er im vergangenen Jahr gesagt haben soll, lieber nehme er in Kauf, dass sich „die Leichen zu Tausenden auftürmen“, als einen weiteren Lockdown einzuführen.

Neuen Umfragen zufolge haben die Enthüllungen über die Renovierung und über die angebliche zynische Äußerung Johnsons die Torys in der Wählergunst sinken lassen. Laut einer Umfrage für die „Sunday Times“ liegen die Konservativen nur noch einen Prozentpunkt vor der Labour-Partei. Neben den Kommunalwahlen in England stehen am Donnerstag in Schottland und Wales auch Parlamentswahlen an.

Kurz vor diesem Superwahltag versuchte der angeschlagene Premierminister Johnson, Optimismus zu verbreiten. Konkret verwies er am Sonntag in einem Beitrag für die „Mail on Sunday“ auf die sich bessernde Coronavirus-Situation in Großbritannien. „Woche für Woche sehen wir, wie die Einführung des Impfstoffs dazu beiträgt, unsere Freiheiten wiederherzustellen – und mit diesen Freiheiten habe ich absolut keinen Zweifel daran, dass sich unsere Wirtschaft wieder stark erholen wird.“

Weitreichende Lockerungen

In Großbritannien hat sich nach einem langen und konsequenten Lockdown und einer weit fortgeschrittenen Impfkampagne die Coronavirus-Lage zuletzt deutlich entspannt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist bereits einmal geimpft, ein Viertel sogar vollständig. Pubs und Restaurants dürfen in England und Wales draußen wieder Gäste empfangen, in Schottland sogar bis abends auch drinnen. Liverpool war über das Wochenende zudem Schauplatz der ersten legalen Clubnächte seit Beginn der Pandemie.