Hände einer Frau
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Gewalt gegen Frauen

3.000 Jobs in Prävention gefordert

Die Frauengewaltschutzorganisationen fordern nach dem bereits neunten Femizid in diesem Jahr eine drastische Aufstockung des Budgets und vor allem 3.000 zusätzliche Jobs, insbesondere in der Gewaltprävention. Und sie kritisierten, dass die Organisationen mit ihrer Expertise zum Gipfel gegen Gewalt an Frauen am Montag nicht eingeladen sind. SPÖ und NEOS forderten deren Einbindung.

Konkret forderten Claudia Frieben vom Frauenring, Rosa Logar von der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt und Maria Rösslhumer vom Verein Autonomer Österreichischer Frauenhäuser bei einer Pressekonferenz Montagvormittag die Aufstockung des Budgets auf 228 Millionen Euro. Derzeit beträgt das Budget 14,53 Mio. Euro, man sei damit „massiv unterfinanziert“, umso mehr, als damit neben Gewaltschutz auch österreichweite Beratungsstellen finanziert würden.

Der mutmaßliche Täter des jüngsten Frauenmordes sei amtsbekannt gewesen, trotzdem sei seine Gefährlichkeit nie überprüft worden. Das sei ein „massiver Fehler“ gewesen, so Frieben. Sie übte auch deutliche Kritik daran, dass die Frauenschutzorganisationen nicht zu den Beratungen von Innen-, Justiz- und Frauenministerium am Nachmittag geladen wurden. „Denn die Politik ist – bei allem Respekt – ahnungslos.“

Die wichtigsten Forderungen

Frieben fasste die wichtigsten Forderungen der Expertinnen daher in der Pressekonferenz zusammen: die sofortige Umsetzung der gesetzlich verankerten Fallkonferenz bei verpflichtender Einbeziehung der Gewaltschutzorganisationen, einen „echten Gewaltschutzgipfel“, Personenschutz für alle von Gewalt bedrohten Frauen und Kinder, die sofortige Umsetzung der Istanbuler UNO-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt, damit verbunden die Aufstockung des Budgets auf 228 Mio. Euro, eine Joboffensive in Bereich Gewaltprävention und Personalaufstockung der bestehenden Schutzstellen und eine Regierungskampagne gegen Gewalt und Frauenverachtung.

Österreich dürfe nicht zu einem unsicheren Land für Frauen werden, so Frieben, die sagte: „Es ist fünf nach zwölf für Frauen in Österreich.“ Für Dienstag haben auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen und seine Frau Doris Schmidauer zu einem Expertengespräch in die Hofburg geladen, unter anderem mit Logar, Bettina Zehetner von der Frauenberatung und Erich Lehner vom Dachverband Männerarbeit Österreich (DMÖ).

Frauen von Behörden oft „im Stich gelassen“

Rösslhumer zeigte sich in der Pressekonferenz empört, dass viele Frauen von den Behörden „im Stich gelassen“ würden oder sich im Stich gelassen fühlten. Dazu gebe es immer mehr Beschwerden bei ihnen – auch, dass die Polizei etwa eine Anzeige nicht ernst nehme. Das sei ein „spürbarer Trend“. Sowohl bei der Polizei als auch in der Justiz seien viel mehr Schulungen nötig. Zwar gebe es in der Polizeigrundausbildung einen Block zum Thema Gewalt in der Privatsphäre, doch dieser sei reduziert worden.

Anzeigen, so Rösslhumer, würden oft zu rasch zurückgestellt. Den Frauen werde auch im Justizbereich oft viel Misstrauen entgegengebracht, ihre Aussagen würden angezweifelt. Das sei „eine Ohrfeige für die Frau und ein Freibrief für den Täter“, so die Expertin. Sie beobachte auch eine Entwicklung, dass „Frauen vermehrt weggewiesen werden, wenn sie sich einmal wehren“.

Fehlende Gefährdungseinschätzung

Täter würden oft auf freiem Fuß angezeigt, ohne Gefährdungseinschätzung. Doch Frauen brauchten in Risikosituationen einen Personenschutz, wenn der Täter auf freiem Fuß sei. Auch auf die Kinder werde nicht Rücksicht genommen, diese seien oft völlig allein mit den Situationen – etwa, wenn es zu Hause einen Polizeieinsatz gebe, so Logar von der Wiener Interventionsstelle.

Weniger Gewalt nur mit mehr Budget

Logar nannte es am wichtigsten, dass es mehr Budget für die Betreuung von Opfern von Gewalt gebe. Derzeit reiche das Geld nur, um ein Opfer pro Jahr fünf Stunden zu betreuen. Daher sei derzeit nur kurzfristige Hilfe möglich. Doch Gewaltbeziehungen zu beenden, aus ihnen auszusteigen gehe nicht schnell, sondern brauche Zeit. Man wisse, dass die Gewalt gerade dann zunehme, wenn ein Opfer versuche, sich zu trennen, so Logar.

Das in Wien von 2011 bis 2017 aufgebaute Projekt der Zusammenarbeit mit der Polizei, in dem mehr als 80 Hochrisikofälle behandelt worden waren, sei vonseiten der Polizei mit dem Argument aufgekündigt worden, es sei nicht effizient. Im Gewaltschutzpaket, das nach einem starken Anstieg der Frauenmorde für Anfang 2020 geschnürt worden war, wurden die Fallkonferenzen wieder aufgegriffen, könnten seither aber nur durch die Polizei einberufen werden, erläuterte Logar. Seither habe es „sehr wenige“ gegeben, heuer noch keine einzige.

Logar betonte, Gewalttäter würden eine Trennung oft nicht akzeptieren und immer wieder zurückkommen. Sie forderte unter anderem, Schwachstellen beim Wegweisungs- und Annäherungsverbot zu korrigieren. Ein solches sollte standardmäßig bei einer entsprechenden Anzeige verhängt werden. Die Notwendigkeit, dass man viel mehr Budget brauche, werde den Expertinnen von der Politik oft nicht geglaubt, so Logar. Doch bei der aktuellen Unterfinanzierung sei ein Rückgang der Gewalt an Frauen einfach „nicht erreichbar“.

Sicherheitsgipfel: Infokampagne gegen Gewalt

Wenige Tage nach dem bereits neunten Frauenmord in diesem Jahr beraten Innenminister Karl Nehammer, Frauenministerin Susanne Raab (beide ÖVP) und Justizministerin Alma Zadic (Grüne) über Maßnahmen. Nicht eingeladen sind Opferschutzorganisationen.

Hoffen auf „qualitativen Sprung“

Sie wünschte sich, dass es ähnlich wie bei der Pandemiebekämpfung ein „Koste es, was es wolle“-Bekenntnis von der Regierung gebe. Die Leben von Frauen und Kindern müssten der Gesellschaft das doch wert sein, so Logar. Sie lobte die Regierungsmitglieder – Frauenministerin Susanne Raab und Innenminister Karl Nehammer (beide ÖVP) und Justizministerin Alma Zadic (Grüne) – für ihre Bemühungen. Logar zeigte sich betont optimistisch, dass in den nächsten Wochen ein „qualitativer Sprung“ möglich sein wird.

Logar verwies auf die hohen Kosten, die Gewalt an Frauen und Kindern verursache. Langfristig könnte man mit entsprechenden Investitionen hier Geld einsparen, zeigte sich Logar überzeugt. Sie betonte, eine Infokampagne, damit sich mehr Frauen melden, sei nur sinnvoll, wenn es auch die personellen Kapazitäten gebe, sich um sie zu kümmern. Derzeit würden etwa 150 bis 180 Stellen bei den Interventionsstellen rund 8.000 Opfer betreuen.

Sie plädierte dafür, dass sich alle Betroffenen zusammensetzen und vom Budgetdienst des Parlaments – auf Grundlage von Prävalenzstudien, wie häufig Gewalt an Frauen vorkomme – berechnen lassen, was es „für einen effektiven Gewaltschutz“ braucht. Frieben, Logar und Rösslhumer betonten, die Forderung nach 3.000 zusätzlichen Stellen sollte man auch als Joboffensive sehen, um aus der CoV-Krise herauszukommen.

Unterstützung von SPÖ und NEOS

Unterstützung erhielten sie dabei am Montag von der SPÖ, die auch forderte, die Organisationen in die Beratungen einzubeziehen. Es spreche Bände, dass die Frauengewaltschutzorganisationen nicht eingeladen seien, kritisierte auch NEOS-Frauensprecherin Henrike Brandstötter. Bei der ÖVP sei von „echtem Empowerment“ von Frauen keine Spur vorhanden.

Auch die Muslimische Jugend Österreich (MJÖ) unterstützte die Forderung nach mehr Budget für Prävention. Femizide seien „keine Einzelfälle, sondern ein strukturelles Problem, welches in allen Gesellschaftsformen vorhanden“ sei.

Spitäler als Anlaufstelle

Zwei wichtige Aspekte erwähnte Rösslhumer: Seit 2010 seien die heimischen Spitäler gesetzlich verpflichtet, eine Opferschutzgruppe einzurichten. Ähnlich wie Schulen sind Spitäler wichtige Stellen, wo Gewalt in der Familie zutage treten kann. Die Opferschutzgruppen sollen sicherstellen, dass erkannt wird, wenn Menschen, die eingeliefert werden, Opfer von Gewalt wurden, das entsprechend gerichtsverwertbar dokumentiert wird und die Betroffenen auch psychologisch und, was das weitere Vorgehen betrifft, beraten werden. Doch bis heute gäbe es solche Stellen nicht in allen Spitälern, und wenn, würde das oft zusätzlich zur normalen Tätigkeit, etwa in der Notaufnahme, gemacht.

Rösslhumer plädierte zudem für die österreichweite Ausrollung der von ihr in Wien gestarteten Initiative „StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt“. Hier werden Bewohner geschult und sensibilisiert, als Nachbarn oder in Schulen Zivilcourage zu zeigen und Betroffenen zu helfen, so Rösslhumer.

Logar betonte ihrerseits, Migrantinnen seien eine „besonders vulnerable Gruppe“. Insbesondere, wenn ihre Aufenthaltsstatus prekär sei, bestehe die Gefahr, dass sie die Kontaktaufnahme mit den Behörden nicht wagen werden. Doch die Gefährder sollten Angst haben vor den Behörden, nicht die Opfer. Betroffene Frauen dürften nicht zusätzlich bestraft werden, forderte Logar einen Abschiebungsschutz.

Ruf nach anderem Männlichkeitsbild

Erich Lehner vom Dachverband für Männerarbeit forderte seinerseits in Ö1 einen Ausbau der Männerberatung. Neben konkreter Täterarbeit gehe es vor allem darum, Männer, die sich in einer Krise befinden, zu helfen, „den Weg zu sich selbst zu finden“, um ihr Verhalten ändern zu können. Dafür brauche es aber österreichweit ein niederschwelliges Angebot.

Generell sei es nötig, ein anderes Männlichkeitsbild in der Gesellschaft zu verankern. Vorherrschend sei weiter jenes, Männer müssten dominant sein, sich durchsetzen und hierarchisch denken. Lehner nannte als Alternative das Bild von „sorgender Männlichkeit“. Vorbild sei hier Schweden, das bereits 1961 begonnen habe, Männer mehr dazu zu bringen, sich in die „Familienarbeit“ einzubringen.

Dafür brauche es politische Konzepte, damit Männer verstärkt unbezahlte Pflegearbeit machen, sich auch mehr in der Pflege älterer Angehöriger und in bezahlter Pflege engagieren. Denn das verändere das Männlichkeitsbild, und dadurch könne männliche Gewalt verringert werden, so Lehner. Im Vergleich zu Schweden habe Österreich hier einen „noch sehr weiten Weg vor uns, aber es ist sehr, sehr notwendig, dass wir diesen Weg gehen“, betonte der Psychoanalytiker.

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