Vally Wieselthier, Werbung für die Mode der „Wiener Werkstätte Kärntnerstrasse 32 u. 41“, Wien, vor 1928
MAK
Künstlerinnen der Wiener Werkstätte

Von wegen „Weiberkunst“

Ihr Schaffen wurde als „Weiberkunst“ und „Pupperlwirtschaft“ geschmäht: Mehr als hundert Jahre mussten vergehen, bis die „Frauen der Wiener Werkstätte“ jetzt mit einer eigenen Ausstellung gewürdigt werden. Die Schau im MAK demonstriert anhand von 800 Exponaten die herausragenden Beiträge von Künstlerinnen in Textildesign, Mode, Grafik und Keramik und zeigt die weibliche Emanzipation im Zuge des Ersten Weltkriegs.

Sie trug Bubikopf, rauchte und verdiente ihr eigenes Geld oft mit schmutzigen Händen: Von dem unabhängigen Typus der „Kunstgewerblerin“ war die Männerwelt in der Zwischenkriegszeit wenig begeistert. So wird der Kriegsheimkehrer in Josef Roths Roman „Kapuzinergruft“ (1938) von seiner Gattin verlassen, weil sie sich in eine „Verkehrte“, ihre lesbische Kunstprofessorin, verliebt hat.

Die Schauspielerin Paula Wessely mimte hingegen 1935 im Film „Episode“ eine brave Kunstgewerbeschülerin, die sich und ihre verarmte Mutter mit Keramiken über Wasser zu halten versucht. Ein Ausschnitt aus Walter Reischs Film läuft in der jetzigen Schau.

Jung, talentiert, jüdisch

„Die allermeisten Studentinnen der Kunstgewerbeschule stammten aus gutsituierten oder großbürgerlichen Familien“, korrigiert MAK-Kuratorin Anne-Katrin Rossberg im Interview mit ORF.at Wesselys Rolle. Zu diesem Ergebnis kam ihre Analyse der Schülerbögen, die bei der Aufnahme in die „Kunstgewerbeschule des k. k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie“ auszufüllen waren.

Zu den erhobenen Daten zählte auch die Konfession, mehr als ein Viertel der Studierenden kamen aus jüdischen Familien. Töchter aus dem assimilierten Bürgertum drängten in die angewandte Kunst, denn das reguläre Studium von Malerei und Bildhauerei an der Kunstakademie blieb Frauen bis 1920 verwehrt.

Felice Rix, Boudoirtabatiere (Zigarettenschuber), 1929
MAK/Tamara Pichler
Vermeintlich „weibisches“ Dekor eröffnet vielfältige kulturelle und soziale Bezüge

Am Beginn der Ausstellung leuchtet eine Quaste, die abstrahiert als Neonzeichen dargestellt ist. Solche Fadenbündel baumeln in der Schau von Polstern, Taschen, Gürteln und Zigarettenschubern. Waren Troddeln dem auf Reduktion bedachten Modernismus ein Graus, blickt das Zierelement doch auf eine lange Geschichte in den jüdischen Bekleidungsvorschriften, in Uniformen und Fahnen zurück. Bei der Vertiefung in die rund 800 Exponate kommt das immer wieder vor: Was vordergründig als verspieltes, oft als „weibisch“ diffamiertes Dekor erscheint, gibt vielfältige kulturhistorische Bezüge preis.

Unbeachtete Künstlerinnen

In der Wiener Werkstätte (WW), die 1903 von Josef Hoffmann, Koloman Moser und Fritz Waerndorfer als Produktionsgemeinschaft gegründet wurde, wirkten seit Beginn viele Künstlerinnen mit. Die WW-Jubiläumsschau des MAK 2003 präsentierte die Kunstgewerblerinnen jedoch nur unter „ferner liefen“. Erste Forschungen zu ihren Verdiensten reichen jedoch schon bis in die 1980er Jahre zurück.

Ausstellungshinweis

„Die Frauen der Wiener Werkstätte“, MAK, dienstags bis sonntags, 10.00 bis 18.00 Uhr, bis 3. Oktober 2021. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.

Warum dauerte die Aufarbeitung so lange? „Eine solche Schau wurde immer wieder diskutiert, aber die Umsetzung hat sich dann hingezogen. Das Frauenthema gewann ja zuletzt sehr an Popularität und hat dadurch eine größere Reichweite als noch vor zehn Jahren“, erläutert Kustodin Rossberg, die das Archiv der Wiener Werkstätte erst seit 2019 leitet.

Nicht zuletzt durch einen öffentlichen Aufruf vor zwei Jahren konnte das MAK über 200 Künstlerinnen eruieren, die für die Wiener Werkstätte tätig waren, 180 Biografien sind im Katalog versammelt. Der größte Entwicklungsschub kam mitten in der Kriegszeit: 1916 eröffnete Hoffmann die Künstlerwerkstätte als studentisches Experimentierfeld.

Charlotte Billwiller, Mathilde Flögl, Susi Singer, Marianne Leisching und Maria Likarz, Fotografie, 1924
MAK
Charlotte Billwiller, Mathilde Flögl, Susi Singer, Marianne Leisching und Maria Likarz (v. l. n. r.) 1924

Da die jungen Männer an der Front waren, hatten die Studentinnen freies Feld. Besonders der ornamental üppige Stil von Dagobert Peche, der das Repertoire von Mosers Jugendstilformen und Hoffmanns „Kastelmuster“ ab 1915 erweiterte, inspirierte die Frauen. Den neuen Hang zum Schnörkel belegen etwa die Fotos der Dekormalereien, mit denen Lotte Calm, Fritzi Löw, Vally Wieselthier und andere die Wände des WW-Verkaufslokals in der Kärntner Straße schmückten.

Postmoderne Kaffeekanne

„Es ist erstaunlich, wie viel Postmoderne in manchen Entwürfen schon drin steckt“, hebt Rossberg hervor und weist auf Entwürfe für eine Teekanne von Mathilde Flögl und für Polster von Felice Rix hin, die wie Häuser aussehen. Wohnaccessoires zählten ebenso wie Tapeten, Textilien und grafische Produkte zu den Domänen der WW-Künstlerinnen.

Ihre Postkarten, Taschen- und Spielzeugentwürfe widersprechen dem elitären Ruf der handwerklich orientierten Marke, die nach Kriegsende immer mehr wegen ihrer Abgehobenheit in die Kritik geriet. Übrigens wurden die Frauen des Bauhauses, das 1919 als avantgardistische Kunstschule öffnete, auch erst im Zuge des 100-Jahr-Jubiläums entsprechend gewürdigt.

Entlang des von Architektin Claudia Cavallar eindrucksvoll gestalteten Ausstellungsparcours reihen sich etliche Highlights. So etwa die gemeinsame Präsentation von Gustav Klimts „Bildnis Johanna Staude“ aus dem Belvedere mit der Seidenbluse aus der Wiener Werkstätte, welche die Porträtierte trägt. Es ist faszinierend zu vergleichen, wie das von Martha Alber geschaffene Blattmuster auf dem Oberteil und im flächig-frei gemalten Ornament wirkt. Von der Keramikerin Wieselthier, heute die bekannteste WW-Künstlerin, wurde ein in Einzelteilen gelagerter Kamin erstmals wieder zusammengebaut.

Bluse aus dem WW-Stoff Blätter von Martha Alber, ab 1910 und Gustav Klimt, Bildnis Johanna Staude (in einem Kleidungsstück aus dem WW-Stoff Blätter von Martha Alber), 1917/18
MAK/Georg Mayer
Johanna Staude trägt auf Klimts Porträt eine Seidenbluse der Wiener Werkstätte. Im MAK sieht man das Original neben dem Gemälde.

Mut zum Muster

Tapeten und Stoffe zählten zu den Bestsellern der mäzenatisch unterstützten, aber wirtschaftlich stark gebeutelten Designfirma. Allein die WW-Musterkataloge sind ein Kosmos für sich. Den herausragenden Schöpfungen von Maria Likarz, Flögl und Rix werden eigene Wände gewidmet.

Von der Deutschen Kinemathek in Berlin konnte das MAK einen Kimono mit Likarz’ japanisierendem Ornament ausborgen, den Marlene Dietrich 1929 im Kultfilm „Der Blaue Engel“ trug. Das war gewiss kein Zufall, eröffnete die Wiener Werkstätte doch im selben Jahr ein Geschäft in der deutschen Hauptstadt. Ein Gruppenfoto zeigt die Verkäuferinnen, die Bubikopf und WW-Kleider tragen mussten.

Vally Wieselthier, Kaminverkleidung, um 1925
MAK/Christoph Schleßmann
Ein erstmals wieder zusammengesetzter Kamin der Keramikerin Vally Wieselthier

Die „Neue Frau“ der „Roaring Twenties“ ging nicht ohne Zigarettenetui und Clutch aus. Das gesteigerte Selbstbewusstsein offenbaren die aparten Frauenköpfe der Keramikkünstlerin Gudrun Baudisch ebenso wie die stromlinienförmigen Muster für Handtaschen von Gertrud Höchsmann. „Zu ihrer Zeit wurden diese Künstlerinnen sehr gut rezipiert“, erzählt Rossberg zu den später vergessenen Namen. Was nach 1945 im Kunsthandel gelandet sei, habe oft nicht dem Zeitgeist entsprochen und sei noch bis vor Kurzem oft als Kitsch abgetan worden.

Mittlerweile hat sich die Vorstellung davon, was revolutionäre Modernität ausmacht, gewandelt. Zu viel wurde auf dem Weg zu Reduktion und Reinheit ausgeblendet und verdrängt. Nach unzähligen Ausstellungen zur „offiziellen“ Wiener Werkstätte entfalten der fantasievolle Formenreichtum und die Sinnlichkeit in der überfälligen MAK-Schau pure Lust.