Wespe auf einem Blatt
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Schlechter Ruf im Zweifel

Die Wespe, das unbekannte Wesen

Fuchteln, schlagen, weglaufen: Viele Menschen bekommen Angst, wenn eine Wespe auftaucht. Die Insekten stehen im Ruf, gefährlich, aber nutzlos zu sein. Eine Gruppe von Forschenden schreibt sich auf die Fahne, die womöglich zu Unrecht vorgenommene Entehrung der Wespe zu korrigieren. Sie sei aus mehreren Gründen wertvoll, etwa auf dem Teller.

Bienen sind enorm wichtig für das Ökosystem, ohne Biene kein Leben. Die Biene produziert Honig und stirbt den Heldentod, wenn sie sich einmal durch einen Stich selbst verteidigen muss. All das kann die Wespe nicht vorweisen. Sie stellt keine Nahrung für den Menschen her, kann aber Kindern oder Menschen, die allergisch reagieren, durch einen Stich gefährlich werden. Zudem ist sie aggressiver und vermiest gerne Mahlzeiten im Freien. Die Wespe hat einen schlechten Ruf, aber unverdient, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler meinen. Die menschliche Abneigung gegen das Insekt sei ein kulturell bedingtes Vorurteil. Anders als die Biene habe die Wespe nur eben keine Lobby.

Eine Gruppe von britischen Forschenden will das angekratzte Image der Wespe ändern. Ryan E. Brock, Alessandro Cini und Seirian Sumner widmeten kürzlich eine Studie dem Dienst der Wespe am Ökosystem, zudem erschienen jüngst einige Artikel zum Thema, in denen das Team Werbung für das unterschätzte Insekt macht. Seit 20 Jahren erforsche sie nun Wespen und ähnliche Arten, so schrieb Sumner vom University College London in „The Conversation“ über ihre Liebe zu Schwarz-Gelb. Sie sei leidenschaftlich eingetaucht in diese evolutionäre Seifenoper aus Führung und Unterwerfung, Geburt und Tod.

Bedeutung für das Ökosystem

Doch bei der Weiterverbreitung dieses Wissens habe sie die ganze Zeit „aus dem falschen Liederbuch gesungen“: „Die meisten Menschen scheren sich nicht um deren Verhalten, sie interessieren sich dafür, was die Wespe für sie tun kann. Und dabei hat die Wissenschaft versagt.“ Die Wespe habe aber großen Wert für das menschliche Leben und das Ökosystem. „In einer Zeit wachsender Sorge über den weltweiten Zustand der Insektenpopulationen war es noch nie so wichtig, unsere Aufmerksamkeit auf die vergessene Fauna – wie Wespen – zu lenken“, so Sumner.

Eine Wespe auf einem Schinkenbrot
APA/Roland Weihrauch
Die Wespe sucht Fleisch – allerdings nicht für sich, sondern nur für den Nachwuchs

Wespen seien „spektakuläre Schädlingsbekämpfer“. Mehr als 30.000 Arten jagten alle möglichen wirbellosen Tiere, vom Käfer über Spinnen und Fliegen. Das sollte sich die Landwirtschaft zunutze machen. Es bestehe kein Zweifel darüber, „dass die Chemikalien, mit denen wir unsere Pflanzen frei von Insektenschädlingen halten, die Tierwelt und die Ökosysteme schädigen“, so Sumner. Man müsse auf nachhaltigere Schädlingsbekämpfung setzen, wie etwa manche Wespenarten. Solitäre Wespen, also jene ohne Nest und Volk, seien spezialisierte Jägerinnen und hätten auf diesem Feld großes Potenzial. Doch würden überhaupt nur vier Arten kommerziell zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt.

Wespe in Chiliöl

Zudem trügen die Wespen auch zur Bestäubung bei. Zwei Drittel des gesamten Ernteertrags seien von Bestäubung abhängig. Doch wissenschaftliche Erkenntnisse, um den Wert der Wespen bei der Bestäubung zu beziffern, gebe es nicht. „Angesichts der Bedeutung natürlicher Bestäuber für unsere Ernährungssicherheit und des offensichtlichen Rückgangs anerkannter Bestäuber wie Bienen und Schwebfliegen wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, die Wespenbestäubung etwas ernster zu nehmen“, schrieb Sumner.

Die Ökologin plädierte auch dafür, die Wespen als Nahrung zu nutzen. „Wespen schmecken, gedippt in etwas Chiliöl, eindeutig gut, und sie sind überraschend nahrhaft. Die Förderung von Entomophagie – Insekten als Nahrung für den Menschen – ist sicherlich die Lösung für nachhaltige Ernährungssicherheit.“ Insekten seien reich an Proteinen und essenziellen Aminosäuren, überdies verursachten sie anders als andere Nutztiere nur wenig CO2. Über zwei Milliarden Menschen weltweit hätten Insekten auf dem Speiseplan – auch Wespen, deren Larven und Puppen. In Japan etwa würden pro Kilo 100 Dollar gezahlt.

Die Gemeine und die Deutsche

Sumner und ihre Kollegen erforschten für ihre Erkenntnisse über 500 Fachartikel über 33.000 bekannten Arten. Die Wespenwelt ist höchst divers, „die Wespe“ zu definieren ist gar nicht so einfach. Es werden viele verschiedene Gruppen dieser Hautflügler als Wespen bezeichnet, wie der Biologe Harald Krenn von der Uni Wien gegenüber ORF.at erklärt. In Österreich gebe es Insektengruppen, oft mit vielen 100 Arten, die im Deutschen den Namen „Wespe“ tragen, aber nicht viel mit jenen Wespen zu tun haben, die auf ihrer Futtersuche den Menschen zuweilen lästig fallen.

Grafik zu Wespen
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Nur zwei Arten sind in diesem Kontext relevant: die Deutsche Wespe und die Gemeine Wespe. Sie sind es, die große Nester mit mehreren tausend Individuen in der Nähe von Häusern bauen und unbedarfte Picknicker überfallen. Für gegen Wespengift allergische Menschen bedeutet die Nähe auch Gefahr. Wespen stechen zu, wenn sie sich bedroht fühlen. Angelockt werden die Tiere durch Gerüche von Zuckerhaltigem und Fleisch. Die erwachsenen Wespen sind allerdings Vegetarier – Fleischliches ist allein für den Nachwuchs bestimmt.

Insekten als Geschmacksfrage

Auch für Krenn ist die ökologische Rolle der Wespen groß, weil sie wichtige Gegenspieler anderer Insekten seien. „Zum Beispiel erbeuten die Arbeiterinnen in jedem Nest Zehntausende Insekten pro Saison und können durch die große Zahl rasch auch Massenvermehrungen anderer Insekten eindämmen.“ Ob die Wespe tatsächlich ein wichtiger Bestäuber ist, sei nicht einfach zu beantworten. Unter den Wespen im weiteren Sinn gebe es viele, die häufig an Blüten zu beobachten seien. Es gebe aber nur wenige stichhaltige Nachweise, dass sie diese Blüten auch bestäuben.

Einige Pflanzen, etwa bestimmte Orchideenarten, hingegen dürften ihre Blüten derart angepasst haben, dass sie die Wespe zur Bestäubung nutzen. Und es gebe gute Hinweise, dass Efeu vor allem von Wespen bestäubt wird, denn Efeu blüht spät im Jahr, wenn die Wildbienen mit dem Brutgeschäft schon fertig sind.

Wespennest
APA/dpa/Walter Tilgner
Zahllose Arbeiterinnen bauen am Nest und versorgen den Nachwuchs der Königin

Die Wespe auf dem Teller empfiehlt Krenn, anders als die britischen Forschenden, allerdings nicht. Er selbst habe nur einmal durch Ungeschicklichkeit Wespen im Mund gehabt. „Es wird in letzter Zeit viel über Insekten als Nahrung diskutiert“, so der Biologe. Die eigenen Versuche, Insekten zu essen, hätten ihn bisher nicht überzeugt, „weil Insekten nicht gut schmecken und nur durch scharfe Würzung genießbar gemacht werden“.