Der Kalte Krieg, er war auch ein Wettstreit auf ganz vielen Nebenschauplätzen. Wer würde nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs das modernere Konzept von Gesellschaft, Stadt und Fortschritt verwirklichen? Der Zeit seinen Stempel aufdrücken? Und Geschichte und Moderne miteinander zu einer tragfähigen Fortschrittsutopie verwirklichen. Berlin, die geteilte Stadt, war gerade in den 1950er und 1960er Jahre der Schauplatz eines besonderen Wettstreits. Da der Osten, der das historische Zentrum sein Eigen nannte, auf der anderen Seite das irgendwie in Wohnbezirken gestrandete Westberlin, das außer dem Kurfürstendamm wenig Zentrum behaupten konnte.
Während man im Osten in den 1950er Jahren mit dem Modell Stalinallee den ins beinahe Barocke abgleitenden Sozialismus eines Hermann Henselmann zelebrierte (dazwischen mit dem Deutschen Sportpalast klassizistische Akzente setzte, die auch aus dem Entwurfsbüro Albert Speer hätten kommen können), tat sich der Westen ungleich schwerer, bauideologisch mitzuhalten.
Zwei Systeme suchen die Moderne
Als Werner Düttmann, der in diesem Jahr hundert Jahre geworden wäre, seine ersten Projekte zu realisieren beginnt, besinnt man sich in der DDR auch zur Abkehr vom Stalin-Kult. So gibt es ab 1961 nur noch die Karl-Marx-Allee und mit den Kinobauten eines Josef Kaiser (Kosmos und International) auch eine Rückkehr zum modernistischen Bauen; im Westen versucht man es mit einer Versammlung großer Namen und schafft spätestens auch in den 1960er Jahren so etwas wie eine Westberliner Moderne.
Ein Kulturbezirk im Brachland
Im städtebaulichen Brachland zwischen Ostrand des Berliner Tiergartens, Landwehrkanal und dem schon hinter der Mauer liegenden Potsdamer Platz entstand ab den 1960er Jahren das, was später den Namen Westberliner Kulturforum bekommen und so etwas wie das Gegenstück der Schinkel’schen Museumsinsel in Berlin-Mitte werden sollte. Zwei Gebäude von Hans Scharoun, die Berliner Philharmonie und die Staatsbibliothek West, stehen auf diesem Areal. Und seit 1968 auch das letzte große Werk des Architekten Ludwig Mies van der Rohe, der die Eröffnung seines Kunsttempels durch schwere Krankheit nur noch aus der Ferne erleben sollte.
Bis in die Gegenwart hinein ist das Kulturforum ein Puzzle geblieben, nicht zuletzt wegen des Kampfes gegen den Lauf der Geschichte. Knapp vor der Wende, im Jahr 1987, kommt es zum Beschluss zur Ausführung der Neuen Gemäldegalerie nach einem Entwurf der Architekten Heinz Hilmer und Christoph Sattler. Bis dieses Museum freilich fertiggestellt wurde, war nicht nur Wim Wenders träumerischer Film zum Überwinden der Zonengrenze, „Der Himmel über Berlin“ (ebenso aus 1987), in den Status eines Klassikers gerückt; mittlerweile war die Mauer gefallen und der Kulturbezirk an der Grenzlage ins Herzen von Berlin gerückt. Und das Herz von Berlin, es sollte wieder wie in der Zwischenkriegszeit zwischen dem „Alex“ und dem Brandenburger Tor schlagen.
Als man schließlich den Potsdamer Platz mit seinen Riesenkinos und Bürocentern neu entwarf, blieb der Versuch des Westens, in Berlin einen kulturellen Zentralraum zu etablieren, seltsam gestrandet in der Stadtlandschaft liegen. Weswegen ein neuerlicher Wettbewerb ausgelobt wurde, der der Nationalgalerie von Mies van der Rohe eine repräsentativere nationale Gemäldegalerie zum 20. Jahrhundert an die Seite stellen sollte. Sieger im Rennen internationaler Großnamen: Herzog & de Meuron mit einem Entwurf, der 2026 fertiggestellt werden soll – und der mittlerweile auf über 400 Millionen Euro reine Baukosten taxiert wird (das Grundstück neben der St.-Matthäus-Kirche wird von der Stadt Berlin geschenkt).
Einstweilen jedenfalls können sich Berlin und die Welt über die erfolgreiche Sanierung der Neuen Nationalgalerie freuen. Zwar sperrt diese erst im August dieses Jahres wieder auf – coronavirusbedingt zelebrierte man aber wie schon bei der Neugestaltung der Staatsbibliothek Unter den Linden eine Art digitale Schlüsselübergabe am letzten Wochenende.
Renovierung mit enormen Hürden
Die Renovierung des Kultgebäudes, das mit einer Serie von Konzerten der Band Kraftwerk 2015 vor der Kompletträumung in eine mehr als sechsjährige Auszeit gegangen war, erwies sich als Alptraum jedes Restaurateurs. So erhaben sich etwa das fast schwebende Dach der Neuen Nationalgalerie ausnimmt, so schwierig war seine statische Realisierung, für die Mies van der Rohe ja auf zwei frühere Entwürfe aus seinem Bestandskatalog (unter anderem einen für das Museum Schäfer in Schweinfurt, das erst viel später unter dem Gegenwartsminimalisten Volker Staab fertiggestellt wurde) und auf den Meister gewagter Tragekonstruktionen, Frei Otto, zurückgegriffen hatte: Das beinahe 65 mal 65 Meter große Dach wird nur von acht schlanken Stahlträgern balanciert.
Der Raum, der sich unter dem 7,5 Meter unter dem Dach zurückspringenden Glaskubus ergibt, folgt der Mies’schen Maxime „Weniger ist mehr“. Gäbe es nicht die Notwendigkeit von Versorgungsschächten für die Belüftung, wäre der Raum darunter, immerhin von einer Fläche von 3.200 Quadratmetern, ohne eine Zwischensäule gestaltet. Das Dach warf durch die Verformungen bei Temperaturschwankungen über die Jahre große Probleme auf: Bis zu 7,5 Zentimeter dehnten und verformten sich die Rahmen, in denen die überdimensionalen Glasscheiben des Raumes darunter eingespannt waren, mit einem Effekt: Sie gingen entweder zu Bruch oder wurden undicht.
„Je Gerhard Richter, desto feuchter“
Konservatorisch entsprach der Oberraum jedenfalls über viele Jahre hinweg schon nicht mehr den Standards für ein Museum. Und bedenkt man, dass hier Blockbuster wie 2004 „Das MoMa in Berlin“, bei dem kein Eintritt unter einer Wartezeit von drei Stunden zu haben war, abgehalten wurden, dann bleibt als Sanierungsbefund: Dieser Klassiker war wundgescheuert und heruntergerockt. „Je Gerhard Richter, desto feuchter“, feixte die „Süddeutsche“ vergangenes Wochenende zur Übernutzung der NNG.
Wenn bei der Renovierung durch das Büro Chipperfield, das schon das gesamte Entree der James-Simon-Galerie auf der Museumsinsel in treuster Gefolgschaft des Klassizismus realisiert hatte (und sich ebenfalls für den Neubau der Nationalgalerie 20 beworben hatte), nun die Maxime „So viel Mies van der Rohe als möglich“ galt, dann musste man händeringend nach Kompromissen suchen. So ist die Glasfassade mit neuem Verbundglas nun doppelt so dick wie die einstige Außenhaut, die bereit 1968 im Rahmen von Kunstprotesten Risse bekam.
„Spree-Athen“ aus dem 3-D-Drucker
Ein letzter Hersteller in China konnte Glaspaneele verwirklichen, die außerhalb der Normgröße lagen – und die die deutsche Bürokratie im Genehmigungsverfahren vor große Herausforderungen stellte. Im Keller des Gebäudes bemühte man sich von den Steckdosen bis zur WC-Ausstattung um möglichst originalgetreue Erhaltung. Das Waschbecken mit dem Namen „Spree-Athen“ konnte von einer Schweizer Firma im 3-D-Druckverfahren wieder hergestellt werden.
Nichts, so scheint es, war bei der Wiederherstellung dieses Kunsttempels, der die Ideen eines Karl Friedrich Schinkel mit dem Bauen der Moderne zu vereinen wusste, einfach. Zu sehr aus der Norm lag jedes von Mies einst angedachte Detail. Und die Scheiben, sie passten für den Transport von China nach Deutschland in keinen Standardcontainer. An jeder Stelle jedenfalls war bei dieser Sanierung das Korn für eine Kostenüberschreitung gesät. Doch für den Moment darf sich Berlin über die Wiederentstehung eines Monuments freuen, das eine komplette Durchsicht durch den Bau ermöglicht. Kein Abhängevorhang trübt hier mehr den Blick. Und ab August wird man wieder Ausstellungen betreten und erleben dürfen.