Händler in der New Yorker Börse
AP/New York Stock Exchange/Courtney Crow
USA

Große Börsenrally mit Angst vor dem Crash

Die CoV-Pandemie beherrscht die Welt – und die Wirtschaft – noch vollauf. Doch blickt man auf die Börsen, insbesondere in den USA, glaubt man sich in einem anderen Film. Investiert wird in fast alles, was es nur zu haben gibt – von Start-ups über Kryptowährung bis zu Holz. Investoren sind zwischen Lust auf rasche, hohe Gewinne und Angst vor dem Platzen einer Blase hin- und hergerissen. Das zeigte auch die Reaktion auf eine Bemerkung von US-Finanzministerin Janet Yellen.

Denn diese sagte bei einer Veranstaltung des Magazins „The Atlantic“, „es könnte sein, dass die Zinsen etwas ansteigen müssen, um sicherzustellen, dass unsere Wirtschaft nicht überhitzt“. Die Finanzministerin bezog sich vor allem auf entsprechende Gefahren durch die geplanten riesigen Investitionsprogramme von Präsident Joe Biden.

Dabei betonte Yellen, dass es wenn, dann um „sehr moderate Erhöhungen“ der Zinsen gehe. Bidens Investitionsprogramme verteidigte sie zugleich. Sie seien nötig, damit die US-Wirtschaft wettbewerbsfähig bleibt. „Ich glaube, unsere Wirtschaft wird durch sie schneller wachsen“, ergänzte sie.

Yellen revidiert ihre Äußerungen

Als frühere Chefin der US-Notenbank Fed weiß Yellen ihre Worte genau abzuwägen. Trotzdem wurde auch sie von der Reaktion überrascht: Die Finanzmärkte reagierten auf Yellens vorsichtige Aussagen nämlich prompt mit spürbaren Kursverlusten. Stunden später revidierte sie dann bei einer Veranstaltung des „Wall Street Journal“ („WSJ“) ihre früheren Aussagen.

Sie gehe nicht davon aus, dass die Inflation ein Problem für die US-Wirtschaft darstellen werde. Die Preiserhöhungen während der Konjunkturerholung seien nämlich nur vorübergehend. Mit Blick auf ihre früheren Äußerungen zu möglichen leichten Zinserhöhungen sagte sie: „Das ist nichts, das ich erwarte oder empfehle.“

Die US-Finanzministerin Janet Yellen
AP/Jacquelyn Martin
Janet Yellen ließ die Investoren kurz aufhorchen

Ganz andere Stimmung

Diese Episode zeigt klarer als viele Zahlen und Daten, wie sehr die Investoren an den US-Börsen derzeit zwischen der Verlockung schneller und überdurchschnittlich hoher Gewinne und der Angst, mit ihren Investments in das Platzen der Blase hineinzufallen, hin- und hergerissen sind.

Nicht zuletzt zeigt es auch, dass die Stimmung bezüglich der Realwirtschaft in dem Land eine ganz andere als in weiten Teilen Europas ist. Mit dem raschen Fortschritt bei den Impfungen in den letzten Wochen und den immer weitgehenderen Öffnungen herrscht in den USA mittlerweile eine ganz andere Stimmung als in Europa. Freilich ist ein Rückschlag im Kampf gegen die Pandemie nicht ausgeschlossen. Die USA sind mit ihrer Durchimpfungsrate weit entfernt vom Erreichen einer Herdenimmunität. Fachleute vermuteten zuletzt, dass diese angesichts verbreiteter Impfskepsis nie erreicht werden könne.

„Wilde Börsenfahrt“

Das „Wall Street Journal“ hatte die Stimmung bereits im April als „wilde Börsenfahrt“ bezeichnet und von der Angst, dass eine weltweite Blase drohen könnte, berichtet. Die beiden wichtigsten US-Börsenindizes, S&P und Dow Jones Industrial, haben heuer bereits mehr als 20-mal einen neuen Höchststand erreicht. Dazu komme, dass der „Rausch“ nicht nur traditionelle Marktsegmente erfasst habe, sondern auch Bereiche, die normalerweise nicht Ziel von breiter Spekulation werden. Die Kryptowährung Bitcoin übersprang die 60.000-Dollar-Marke, bevor sie wieder verlor. Und Start-ups erhalten derzeit das bis zu Fünffache dessen, was sie an Risikokapital fordern.

„Diese Blase unterscheidet sich von jeder anderen, die wir jemals hatten“, zeigte sich zuletzt der Vermögensverwalter Jeremy Grantham überzeugt, der unter anderem die Dot.com-Blase 2000 und die Immobilienblase 2008 voraussagte.

Die New Yorker Börse an der Wall Street
Reuters/Brendan McDermid
Nicht nur an der Wall Street ist der Andrang derzeit groß

Keine „fast perfekte“ Wirtschaftslage

Blasen hätten sich früher immer dann gebildet, wenn die wirtschaftliche Situation „fast perfekt“ war. Diesmal habe der Markt seinen „unglaublichen Anstieg gestartet, während sich die Wirtschaft in einer ziemlich schlechten Lage befindet“.

Es wurden teils schon Parallelen zu den 1920er Jahren mit dem verheerenden Börsencrash, dem „Black Friday“ im Oktober 1929, gezogen. Einige Kurse hätten sich zuletzt aber wieder beruhigt. Vor allem aber sind es Politik und Notenbank, die Investorinnen und Investoren wohl das Gefühl geben, dass die Rally noch länger andauern wird.

Wette auf die Zukunft

Biden will der US-Wirtschaft mit einem rund zwei Billionen Dollar schweren Infrastrukturprogramm aus der CoV-Krise helfen. Damit sollen vor allem Jobs für Arbeiter und die Mittelschicht geschaffen werden. Darüber hinaus plant Biden eine Stärkung amerikanischer Familien und mehr Ausgaben für Bildung.

Und die Notenbank Fed hat wiederholt klargemacht, dass sie eine Inflation auch leicht jenseits der zwei Prozent akzeptiert und derzeit keinen Bedarf sieht, an der Zinsschraube zu drehen. Viele erwarten, dass Fed-Chef Jerome Powell zumindest bis Ende 2023 die Nullzinspolitik fortsetzen wird.

„Gefühl, dass ihnen nichts passieren kann“

Dabei zeigten sich zuletzt in einer Umfrage des Marktbeobachters E*Trade mehr als zwei Drittel der befragten Investoren überzeugt, dass man sich in einer Blase befindet. Selbst die Riesenpleite des Fonds Archegos, die etwa der Credit Suisse Milliardenverluste bescherte, vermochte zuletzt die Stimmung nicht nachhaltig zu trüben. „Die Menschen haben das Gefühl, dass ihnen nichts passieren kann“, fasste es Byron Wien vom Investmentriesen Blackstone gegenüber dem „WSJ“ zusammen.

Für die Realwirtschaft müsse ein Platzen der Blase keine Folgen haben, so die „Financial Times“ bereits im März in einem Kommentar. Gefährlich wäre nur, wenn eine Welle an Pleiten eine Schuldenkrise auslöst und damit etwa auch Banken mitzureißen droht. Doch wenn die Börsenblase platzt, weil sich die Wirtschaft von der Pandemie erholt und in der Folge die Zinsen steigen, wäre das „kein Problem – außer für Anleger“.