Finanzminister Gernot Blümel
APA/Georg Hochmuth
Nach VfGH-Antrag

Rücktrittsaufforderungen an Blümel

Dass der Verfassungsgerichtshof (VfGH) erst Bundespräsident Alexander Van der Bellen einschalten muss, damit das Finanzministerium seinen Verpflichtungen zur Aktenlieferung nachkommt, hat am Donnerstag für scharfe Kritik an Minister Gernot Blümel (ÖVP) gesorgt. Blümel sei rücktrittsreif, hieß es vonseiten der Opposition. Mittlerweile seien jedoch alle Dokumente übergeben worden, so das Ministerium am Donnerstagabend.

So etwas „hat es in der Form in diesem Land noch nicht gegeben“, kommentierte am Donnerstag Van der Bellen die aktuellen Vorgänge rund um die nicht erfolgte Aktenlieferung an den „Ibiza“-Untersuchungsausschuss. Die Opposition hatte sich bis dahin vergeblich darum bemüht, angeforderte Mails aus dem Finanzministerium zu erhalten.

Der VfGH hatte bereits am 3. März dem Anliegen von SPÖ, FPÖ und NEOS stattgegeben, dass Blümel die E-Mail-Postfächer der Leiterin des Beteiligungsmanagements im Finanzministerium sowie die Korrespondenzen von Ministeriumsmitarbeitern mit dem nunmehrigen ÖBAG-Chef Thomas Schmid, damals Generalsekretär im Finanzministerium, und anderen Mitarbeitern des damaligen Finanzministers Hartwig Löger (ÖVP) dem Ausschuss zur Verfügung zu stellen hat. Doch Blümel kam der Anordnung weiterhin nicht nach.

Die Bundesverfassung stellt für diesen Fall klar, dass der Bundespräsident eingeschaltet werden kann, um die Anordnung zu exekutieren, und zwar „durch die nach seinem Ermessen beauftragten Organe des Bundes oder der Länder einschließlich des Bundesheeres“. Dieser Antrag gelangte nun am Donnerstag in der Hofburg ein, wie Van der Bellen wenig später in einer Stellungnahme sagte.

Finanzministerium: Am Nachmittag 204 Ordner übergeben

Unmittelbar nach der Entscheidung des Höchstgerichts teilte das Finanzministerium mit, nun doch die Daten „unverzüglich und vollumfänglich“ zu liefern. Das Finanzministerium „hat bereits bisher über 20.000 elektronische Dokumente geliefert und wird noch heute die restlichen Unterlagen an die Parlamentsdirektion übermitteln“, hieß es am Donnerstag. Am Nachmittag wurden 204 Ordner an die Parlamentsdirektion übergeben, gab das Finanzressort am Abend schließlich bekannt.

VfGH: Stellungnahme des Bundespräsidenten

Bundespräsident Alexander Van der Bellen nahm zum Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) Stellung. Das Höchstgericht hat beim Bundespräsidenten die Exekution einer seiner Entscheidungen im Finanzministerium beantragt. Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) war bisher der Aufforderung, dem „Ibiza“-U-Ausschuss bestimmte E-Mails und Dateien vorzulegen, nicht nachgekommen.

Blümel habe auch ihm persönlich versichert, die geforderten Unterlagen vorzulegen, so Van der Bellen zuvor in seiner Rede. Wenn er vom Ausschuss die Information bekomme, dass diese vollständig geliefert worden seien, erübrige sich die Exekution. „Sollte das wider Erwarten nicht der Fall sein, werde ich meinen verfassungsmäßigen Pflichten entsprechen“, so Van der Bellen. Die Verfassung lege Demokratie und Rechtsstaat als tragende Säulen des Gemeinwesens fest. Sie schreibe die Gewaltenteilung fest und regle, wer im Staat wofür verantwortlich ist. „Sie regelt unser aller Zusammenleben. An diese Regeln haben wir alle uns zu halten.“

„Historisches Urteil“

Die Opposition reagierte empört auf die Vorgänge vom Donnerstag. Der Fraktionsführer der SPÖ im U-Ausschuss, Jan Krainer, sprach von einer „wegweisenden Entscheidung“: „Dass ein ÖVP-Minister durch den VfGH dazu gezwungen werden muss, sich an die Verfassung und an Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs zu halten, sagt leider alles darüber, was aus der ÖVP unter Kurz geworden ist“, so Krainer in einer Aussendung.

Der stellvertretende SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried forderte Blümel zum Rücktritt auf. „Dieses Urteil ist historisch. Der Verfassungsgerichtshof muss sich an den Bundespräsidenten wenden, weil ein oberstes Organ der Republik, der amtierende Finanzminister, Urteile des Verfassungsgerichtshofs ignoriert. Blümel ist in dieser Funktion nicht weiter tragbar“, so Leichtfried.

„Blümel muss seinen Hut nehmen“

Rücktrittaufforderungen kamen auch aus der FPÖ: „Schon alleine die Tatsache, dass ÖVP-Finanzminister Blümel als Beschuldigter in einem Strafverfahren der erste Finanzminister war, der eine Hausdurchsuchung erleben musste, ist er auch der erste Minister überhaupt, der sich weigerte, eine Entscheidung des VfGH zur Kenntnis zu nehmen“, so FPÖ-Fraktionsführer Christian Hafenecker per Aussendung. "Blümel muss seinen Hut nehmen und zurücktreten“, hieß es weiter. FPÖ-Chef Norbert Hofer kritisierte auch Van der Bellen: „Seit März müsste der Finanzminister liefern, tut das trotzdem nicht. Der Bundespräsident schweigt über Wochen beharrlich zu dieser Causa. Erst jetzt – unter Androhung der Exekution – will der Minister liefern, und der Bundespräsident nimmt das wohlwollend zur Kenntnis.“

Aktenlieferung nach Exekutionsantrag

Am Donnerstagnachmittag erhielt der „Ibiza“-U-Ausschuss mehr als 30 Übersiedlungskartons mit ausgedruckten Mails und Akten aus dem Finanzministerium. Vorausgegangen war dieser Aktion ein bisher einzigartiger Schritt des Verfassungsgerichtshofs.

Die NEOS-Fraktionsführerin im Ausschuss, Stephanie Krisper, sagte, es sei „beschämend, dass die ÖVP meint, sie würde so sehr über den Dingen und dem Rechtsstaat stehen, dass sie nicht einmal den klaren Aufforderungen des Verfassungsgerichtshofs nachkommen müsse. Dass der VfGH und der Bundespräsident nun zu diesem einzigartigen Vorgehen gezwungen sind, zeigt eindrücklich, dass die ÖVP unter Sebastian Kurz keine staatstragende Partei mehr ist. Es bleibt wirklich zu hoffen, dass sie nun wenigstens die Entscheidungen des Bundespräsidenten respektiert und seinen Anweisungen Folge leistet.“

Kritik kam auch von Transparency International. Es sei ein außerordentlicher Vorgang, „der nicht notwendig sein sollte“. Jeder Mensch habe das Urteil eines Höchstgerichts zu befolgen. „Sonst wird der Rechtsstaat ausgehebelt. Ohne Rechtsstaat aber würde Willkür herrschen“, hieß es in einer Aussendung.

Keine Einsicht in Dateien

Einen weiteren Antrag der Opposition in dieser Causa hatte der VfGH abgewiesen: Einsicht in die vom Finanzministerium dem VfGH vorgelegten Dateien sei nicht angebracht, weil „keine konkreten Rechtsschutzinteressen vorliegen“. Es sei keine Akteneinsicht zu gewähren, wenn deren Gewährung bereits den Streit darüber entscheiden würde, ob die Akten überhaupt dem Untersuchungsausschuss vorgelegt werden müssen, stellten die Verfassungsrichter fest.

Noch nicht entschieden hat der VfGH in Sachen Meinungsverschiedenheiten zwischen Opposition und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) über die Aktenvorlage im U-Ausschuss. SPÖ, FPÖ und NEOS haben mehrfach beklagt, keine einzige Mail und keinen einzigen Kalendereintrag des Kanzlers erhalten zu haben.

Über ihre Anträge dazu würden die Beratungen kommende Woche fortgesetzt, teilte der VfGH am Donnerstag mit. Das Kanzleramt hatte dem Gerichtshof in diesem Verfahren 692 Mails von Mitarbeitern übermittelt, wonach sie in einem „umfassenden Suchprozess“ keinerlei „abstrakt relevante Akten und Unterlagen“ gefunden hätten.

Verfassungsexperte: „Nicht ganz undelikat“

Der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk sprach am Donnerstag in der ZIB2 von einem „nicht ganz undelikaten“ Problem für Blümel. Und weiter: In der Auseinandersetzung mit dem VfGH seien vonseiten des Finanzministers Argumente vorgebracht worden, „von denen man wissen konnte und wissen musste, dass sie nicht verfangen werden. Es wurde versucht, alles zu mobilisieren, womit man vielleicht eine Chance gesehen hat, diesen lästigen Verpflichtungen zu entgehen.“

Verfassungsjurist Funk über den Exekutionsantrag

Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk über den Exekutionsantrag des Verfassungsgerichtshofs und die danach erfolgte Aktenlieferung an den „Ibiza“-Untersuchungsausschuss.

Allerdings sei klar gewesen, dass das nicht greifen werde. Man müsse sich schon die Frage stellen, ob hier nicht ein strategisch-taktischer Weg eingeschlagen worden sei, der den Zweck hatte, das ganze Verfahren möglichst abzuwehren. Von einem Bruch der Verfassung würde Funk dabei zwar nicht sprechen, schließlich sei es legitim, Argumente vorzubringen, von denen man glaube, dass sie für die eigene Position nützlich seien – „aber diese Argumente waren und sind grenzwertig“, so Funk.

„Absolute Sicherheit“ gibt es nicht

Wie schon Van der Bellen verwies auch Funk eingangs auf die in der Verfassung vorgegebenen Regelungen, durch die die „nötige Durchschlagungskraft“ gewonnen werden könne. Das sei auch im Hinblick auf die noch bevorstehenden Auseinandersetzungen um die Informationen aus dem Bundeskanzleramt von Bedeutung.

Dennoch sei hier die Lage etwas komplizierter, da seitens des Bundeskanzlers ja vorgebracht worden sei, dass bestimmte Informationen „nie vorhanden waren oder gelöscht wurden“, so Funk. Konkret bedeute das: „Wenn etwas weg ist, ist es eben weg.“ Das sei ein Problem, „das uns noch beschäftigen wird“, analysierte der Verfassungsexperte.

Die Klärung der Frage, ob im Fall der Daten aus dem Finanzministerium nun alles vollständig sei, obliege dem „Ibiza“-U-Ausschuss, so Funk. Sollte dem nicht so sein, könnte es erneut zu einem Eingreifen des Bundespräsidenten kommen. Dennoch: Die „absolute Sicherheit“, dass alles vorgelegt wurde, könne es nie geben.