Eine Impfstoffspritze
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Impfpatente aussetzen

Aufschrei der Pharmaindustrie

In der Coronavirus-Pandemie hat sich die US-Regierung jetzt auf die Seite ärmerer Länder und vieler Hilfsorganisationen geschlagen. Sie will, dass Pharmafirmen vorübergehend den Patentschutz auf ihre CoV-Impfstoffe verlieren. Dann könnten Hersteller in aller Welt die Impfstoffe produzieren, ohne Lizenzgebühren zahlen zu müssen. Die EU zeigte sich kompromissbereit, die Pharmafirmen laufen Sturm dagegen.

Der Dachverband der Pharmafirmen (IFPMA) kritisierte die Entscheidung der USA. Das werde die Impfstoffproduktion kaum ankurbeln, teilte der in Genf ansässige Verband in der Nacht auf Donnerstag mit. Problem seien vielmehr Handelsbarrieren sowie Mangel an Rohstoffen und Bestandteilen, die für die Herstellung der Impfstoffe nötig seien.

Bei der Unterversorgung der ärmeren Länder könnten auch Regierungen reicher Länder in die Bresche springen und einen Teil der Impfdosen, die sie sich in bilateralen Verträgen gesichert haben, an ärmere Länder abgeben. Gerade weil ihre Patente geschützt seien, hätten Impfstoffhersteller bereits mehr als 200 Technologietransfer-Abkommen abgeschlossen, um mit Partnern in ärmeren Ländern mehr Impfstoffe bereitstellen zu können.

Biontech-Hauptquartier in Mainz
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Biontech sieht Patente nicht als „limitierenden Faktor“ bei der Impfstoffproduktion – eine Aussetzung würde die Liefermenge folglich nicht erhöhen

„Keine einzige zusätzliche Dosis“

Der in Mainz ansässige Biontech-Gründer Ugur Sahin sah in der Patentfreigabe keine Lösung: Die Herstellung des Impfstoffs sei kompliziert, und die Qualität müsse sichergestellt werden. Auch eine Sprecherin von Pfizer sagte der „New York Times“, der Impfstoff habe 280 Komponenten von 86 Zulieferern aus 19 Ländern. Um das zu verarbeiten, seien komplexe Spezialanlagen und ausgebildetes Personal notwendig. Vom Pharmaverband IMFPA hieß es: „Selbst wenn die Patente ausgesetzt würden, würde in dieser Pandemie keine einzige zusätzliche Dosis die Menschen erreichen.“

Auch Pharmig, die freiwillige Interessenvertretung der österreichischen Pharmaindustrie, stellte sich gegen den US-Vorstoß. Den Patentschutz auszusetzen sei für die pharmazeutische Industrie kein gangbarer Weg, um die Produktion von Impfstoff anzukurbeln. „Sie trägt nicht dazu bei, dass plötzlich weit mehr Impfstoffe produziert werden können als bisher“, sagte Pharmig-Generalsekretär Alexander Herzog am Donnerstag in einer Aussendung.

Hilfreicher sei das, was die Impfstoffentwickler bereits täten, nämlich mittels Vereinbarungen dafür Sorge zu tragen, ihr Wissen anderen Produzenten zur Verfügung zu stellen, damit auch diese in der Lage sind, einzelne Komponenten der Impfstoffe herzustellen. Ein Werk zur Produktion eines Impfstoffes aufzubauen dauere Jahre, brauche entsprechendes Personal und Know-how, so Pharmig. Ähnlich äußerte sich der Verband der österreichischen Impfstoffhersteller (ÖVIH): Die Produktion von Impfstoff sei ein äußerst komplexer Prozess, zu dem wesentlich mehr gehöre als das Patent auf den jeweiligen Impfstoff.

Testzentrum in Bangkok
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Eine Pandemie könne nur weltweit besiegt werden – dafür brauche es Impfgerechtigkeit, so der Tenor der Befürworter der Patentaussetzung

Befürworter loben neue Möglichkeiten

Es gibt aber eine ganze Reihe von Herstellern, die sich die Produktion zutrauen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat bereits eine Plattform für den Technologietransfer speziell für die neuartigen mRNA-Impfstoffe von Biontech und Pfizer sowie Moderna eingerichtet. Dort haben sich schon 50 Interessenten gemeldet, wie der verantwortliche Leiter bestätigt. Die meisten seien aber von Firmen, die um Technologietransfer bitten, oder Einrichtungen, die sich als Trainingszentren bewerben – nur wenige hätten Interesse ausgedrückt, Wissen zu teilen.

Auch die Chefin der Welthandelsorganisation (WTO), Ngozi Okonjo-Iweala, hält die schnelle Umrüstung bestehender Fabriken für die Impfstoffproduktion für möglich. Ähnliche Töne schlug am Donnerstag UNO-Generalsekretär Antonio Guterres an. Er sagte, der US-Vorstoß „eröffnet Impfstoffherstellern die Möglichkeit, das Wissen und die Technologie zu teilen, um den effektiven Ausbau örtlich hergestellter Impfstoffe zu ermöglichen“. Es müsse dabei sichergestellt werden, dass den Ländern alle notwendigen Materialien zur Verfügung stünden.

Weltärztebund fordert eigenständige Aussetzung

Der Weltärztebund forderte die Hersteller auf, Patente eigenständig freizugeben. „Die Pharmaindustrie könnte jetzt die ganze Menschheit voranbringen, wenn sie freiwillig auf die Ausübung ihrer Patentrechte für die Impfstoffe verzichtet“, sagte der Vorsitzende Frank Ulrich Montgomery den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Nach dem überraschenden Vorstoß der USA am Mittwoch wird weltweit über die Aufhebung des Patentschutzes für Coronavirus-Impfstoffe diskutiert. Auch die Europäische Union zeigte sich am Donnerstag offen dafür. Man sei offen für eine Debatte über die Patentfrage, so EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie mahnte aber auch, dass kurzfristig lediglich mehr Export helfe.

Bei Hilfsorganisationen, der WHO und der Afrikanische Union löste der Vorstoß Jubel aus. Die WHO sprach von einer historischen Entscheidung, Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen verwiesen auf die Tatsache, dass eine Pandemie erst dann zu Ende sei, „wenn sie überall beendet wurde“ – dafür müssten alle Menschen eine „faire Dosis Impfstoff bekommen“. Auch Österreich sei jetzt gefordert, hier seine Verantwortung wahrzunehmen.

Mückstein und Kurz offen für Debatte

Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) zeigte sich auch für „unkonventionelle Wege“ offen, um die weltweite Pandemie so rasch wie möglich einzudämmen. „Die Aufhebung von Patenten kann so ein Weg sein. Allerdings kann das nur mit internationaler Solidarität und Zusammenarbeit funktionieren“, sagte Mückstein gegenüber der APA. „Daher begrüße ich die Initiative der Kommissionspräsidentin in dieser Frage.“

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zeigte sich offen für eine Debatte über den US-Vorstoß. „Wir unterstützen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und sind offen für Gespräche sowie den WTO-Prozess, den die Amerikaner vorschlagen. Es ist wichtig, dass so viele Menschen wie möglich weltweit so rasch wie möglich geimpft werden, um die Pandemie zu besiegen“, hieß es am Donnerstag dazu aus dem Bundeskanzleramt.

Die SPÖ sprach von einem „Durchbruch bei den Gesprächen zur internationalen Impfsolidarität“ und forderte von Kurz die Unterstützung des Vorstoßes. Gegen eine Freigabe ist allerdings NEOS: „Patentschutz ist die Voraussetzung dafür, dass Investitionen auch in Zukunft in Innovation fließen“, so NEOS-Gesundheitssprecher Gerald Loacker. Er forderte stattdessen einen Ausbau der Produktion.