Leere Umzugskartons für die Ibiza-Ausschussakten
APA/Parlamentsdirektion/Thomas Jantzen
„Geheim“ und auf Papier

Kritik an Blümels Aktenlieferung

Die aufsehenerregenden Vorgänge um Aktenlieferungen vom Finanzministerium an den „Ibiza“-U-Ausschuss lassen weiter die Wogen hochgehen. Nachdem der Verfassungsgerichtshof (VfGH) am Donnerstag über den Weg des Bundespräsidenten die Übergabe der Akten erzwungen hatte, wurden diese noch am Nachmittag vom Finanzministerium ins Parlament gebracht. Geliefert wurden 204 Ordner mit Akten – in Papierform und als „geheim“ eingestuft. Die Opposition übte daran heftige Kritik.

Denn eine Einstufung von Akten als „geheim“ bzw. Stufe drei hätte für den U-Ausschuss erhebliche Folgen. Unter anderem dürften die Dokumente nicht digitalisiert und nach Stichworten durchsucht werden, was angesichts der Masse an Akten einen nur schwer bewältigbaren Arbeitsaufwand bedeuten würde. Zudem dürften die Papiere nicht in medienöffentlichen Sitzungen zitiert und nicht kopiert werden.

„Wenn Dokumente in Klassifizierungsstufe drei an den U-Ausschuss geliefert werden, kann er eigentlich damit nicht arbeiten, weil er nicht in medienöffentlicher Sitzung diese diskutieren kann und dadurch der Inhalt auch nicht öffentlich bekanntwird“, so die NEOS-Fraktionsführerin im U-Ausschuss, Stephanie Krisper, am Freitag im Ö1-Morgenjournal. „Ich denke, es ist wohl die Intention der ÖVP, hier das Parlament brüskierend sich auch Zeit zu verschaffen.“

Krainer vergleicht Geheimhaltung mit „Maulkorb“

Diese Kritik unterstrich Kai Jan Krainer, SPÖ-Fraktionsführer im U-Ausschuss, der eine hohe Geheimhaltungsstufe mit einem „Maulkorb“ verglich. Krainer sagte, dass mit einer Lieferung in der Stufe „geheim“ „das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht rechtskonform umgesetzt worden“ sei. Er kündigte an, sich in diesem Fall an Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu wenden. Zu diesem Zeitpunkt war noch unklar, ob die Dokumente tatsächlich als „geheim“ eingestuft wurden. Das Parlament bestätigte das aber mittlerweile.

SPÖ und FPÖ bekräftigten die Kritik am Vorgehen des Finanzministeriums Freitagvormittag in zwei Pressekonferenzen. Krainer und auch der FPÖ-Fraktionsvorsitzende Christian Hafenecker kündigten an, in der Präsidiale eine Herabstufung der Geheimhaltungsklasse erwirken zu wollen. Zudem wolle man eine Sondersitzung des Nationalrats einberufen und diese mit einem Misstrauensantrag gegen Blümel verbinden, insofern dieser bis Montag nicht zurückgetreten sei. Beide forderten erneut Blümels sofortigen Rücktritt und orteten eine „Missachtung des Parlamentarismus“.

Aktenlieferung nach Exekutionsantrag

Am Donnerstagnachmittag erhielt der „Ibiza“-U-Ausschuss mehr als 30 Übersiedlungskartons mit ausgedruckten Mails und Akten aus dem Finanzministerium. Vorausgegangen war dieser Aktion ein bisher einzigartiger Schritt des Verfassungsgerichtshofs.

Gemäß Informationsordnungsgesetz kann sich ein Mitglied an den Nationalratspräsidenten wenden. Dieser muss zunächst das Organ, das die Akten übermittelt hat, um eine Stellungnahme bitten und schließlich nach einer Beratung in der Präsidiale über eine mögliche Umstufung – unter Berücksichtigung schutzwürdiger Interessen – entscheiden.

Bundespräsident mit Exekution beauftragt

Der VfGH hatte am Donnerstag den Bundespräsidenten eingeschaltet, nachdem Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) den Verpflichtungen zur Aktenlieferung an den Ausschuss nicht nachgekommen war. Die Nichtherausgabe war unter anderem mit Daten- und Persönlichkeitsschutz begründet worden. Diese Argumentation wiederholte am Freitag auch der ÖVP-Fraktionsvorsitzende Andreas Hanger. Der VfGH hatte bereits am 3. März dem Anliegen von SPÖ, FPÖ und NEOS stattgegeben, dass das Finanzministerium mehrere E-Mail-Postfächer zur Verfügung stellen müsse.

VfGH: Stellungnahme des Bundespräsidenten

Bundespräsident Alexander Van der Bellen nahm zum Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) Stellung. Das Höchstgericht hatte beim Bundespräsidenten die Exekution einer seiner Entscheidungen im Finanzministerium beantragt.

Van der Bellen hatte sich anschließend in einer eilig anberaumten Pressekonferenz an die Öffentlichkeit gewandt und gesagt, dass es solche Vorgänge „in der Form in diesem Land noch nicht gegeben“ habe. In dem Statement sagte Van der Bellen, dass Blümel ihm die Lieferung versichert habe, wenig später trafen die Akten in Papierform dann auch ein. Zusätzlich, so das Finanzministerium, seien bereits davor über 20.000 elektronische Dokumente geliefert worden.

Van der Bellen sagte am Donnerstag, dass sich die Exekution erübrige, wenn er vom Ausschuss die Information bekomme, dass die Unterlagen vollständig geliefert wurden. Sollte das wider Erwarten nicht der Fall sein, „werde ich meinen verfassungsmäßigen Pflichten entsprechen“, so Van der Bellen. Die ungewöhnlichen Vorgänge ließen am Donnerstag die Wogen hochgehen, die Opposition reagierte mit Rücktrittsforderungen an Blümel.

„Falsches Signal“

Auch Fachleute äußerten sich kritisch. Heinz Mayer, Verfassungsjurist und emeritierter Professor der Universität Wien, sagte im Ö1-Morgenjournal: „Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs sind von Staatsorganen auf Punkt und Beistrich unverzüglich umzusetzen. Und wenn das nicht passiert, dann lässt das an der rechtsstaatlichen Gesinnung des Betreffenden sehr zweifeln.“ Es sende ein „falsches Signal“, wenn Regierungsmitglieder höchstgerichtliche Entscheidungen ignorieren.

Auch Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk sprach am Donnerstag in der ZIB2 von einem „nicht ganz undelikaten“ Problem für Blümel. In der Auseinandersetzung mit dem VfGH seien vonseiten des Finanzministers Argumente vorgebracht worden, „von denen man wissen konnte und wissen musste, dass sie nicht verfangen werden. Es wurde versucht, alles zu mobilisieren, womit man vielleicht eine Chance gesehen hat, diesen lästigen Verpflichtungen zu entgehen.“

Verfassungsjurist Funk über den Exekutionsantrag

Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk über den Exekutionsantrag des Verfassungsgerichtshofs und die danach erfolgte Aktenlieferung an den „Ibiza“-Untersuchungsausschuss.

Allerdings sei klar gewesen, dass das nicht greifen werde. Man müsse sich schon die Frage stellen, ob hier nicht ein strategisch-taktischer Weg eingeschlagen worden sei, der den Zweck hatte, das ganze Verfahren möglichst abzuwehren. Von einem Bruch der Verfassung würde Funk dabei zwar nicht sprechen, schließlich sei es legitim, Argumente vorzubringen, von denen man glaube, dass sie für die eigene Position nützlich seien – „aber diese Argumente waren und sind grenzwertig“, so Funk.