Leere Umzugskartons für die Ibiza-Ausschussakten
APA/Parlamentsdirektion/Thomas Jantzen
Blümels „geheime“ Akten

Opposition will Herabstufung erzwingen

In der Causa der erzwungenen Lieferung von Akten aus dem Finanzministerium an den „Ibiza“-U-Ausschuss herrscht weiter dicke Luft. Weil die 30 Schachteln umfassenden Akten als „geheim“ klassifiziert wurden und damit auch auf Papier gedruckt angeliefert werden mussten, sieht sich die Opposition sabotiert. In dieser Form könnten die Dokumente vom Ausschuss kaum verarbeitet werden. Die Parteien kündigten an, sich gegen die Geheimhaltungsstufe zu wehren.

Die Fraktionsführenden von SPÖ, FPÖ und NEOS taten am Freitag ihren Ärger über Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) in Pressekonferenzen kund, orteten in der Aktenlieferung Sabotage und eine Missachtung des Parlamentarismus, gegen die man vorgehen wolle. Man werde in der nächsten Präsidiale darum ansuchen, die Geheimhaltung herabstufen zu lassen. Die Entscheidung liege dann beim Ausschussvorsitzenden Wolfgang Sobotka (ÖVP). FPÖ-Fraktionsführer Christian Hafenecker äußerte aber Zweifel, dass Sobotka diesen Schritt freiwillig gehen werde. Er verwies auf Schritte „rechtlicher Gewalt“.

Blümel hatte die Aufforderung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), dem „Ibiza“-U-Ausschuss E-Mails zu liefern, zwei Monate lang ignoriert. Erst eine von den Höchstrichtern bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen beantragte Exekution des Urteils führte am Donnerstag zur Übermittlung der Unterlagen. Van der Bellen sprach von Vorgängen, die es „in der Form in diesem Land noch nicht gegeben“ habe.

Unmut über Akten aus Finanzministerium

Die nach einem VfGH-Exekutionsantrag aus dem Finanzministerium herausgegebenen Akten für den „Ibiza“-U-Ausschuss sind als „geheim“ eingestuft und in Papierform. Die Opposition kritisiert diesen Umstand scharf.

Aktenstudium nicht öffentlich und „im Keller“

Die drei Oppositionsparteien zeigten sich durchgehend verärgert über die Aktenlieferung. Aufgrund der Einstufung als „geheim“ (und damit der dritten von vier Stufen) dürfen die Papiere nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Fragen an Auskunftspersonen zu den Akten dürften, so SPÖ-Fraktionsführer Kai Jan Krainer, nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit gestellt werden. Der Inhalt der Papiere werde damit auch nicht medienöffentlich bekannt, so NEOS-Fraktionsführerin Stephanie Krisper.

Darüber hinaus bedeutet die Geheimhaltungsstufe, dass die Dokumente nicht digitalisiert und nach Stichworten durchsucht werden dürfen. Sie müssen händisch abgearbeitet werden. Auch Kopien sind nicht möglich. Man könne „nur im Keller“ mit den Akten arbeiten, fasste Krainer den Sachverhalt zusammen. Die Arbeit sei angesichts der Papierberge kaum bewältigbar. „Dem Ausschuss rennt die Zeit davon“, so auch Krisper. Verärgert zeigte sich Krainer auch darüber, dass Teile der Akten bereits unter Stufe eins geliefert wurden, nun aber Stufe drei („geheim“) sind.

Weitere Schritte möglich

Neben dem Antrag zur Herabstufung in der Präsidiale erwägt die Opposition weitere Schritte. Man werde sich kommende Woche noch besprechen, aber „alle parlamentarischen Instrumente“ prüfen. Angesprochen wurde jedenfalls eine Sondersitzung des Nationalrats und ein Misstrauensantrag, so Blümel bis Montag noch nicht zurückgetreten sei.

Im Raum stand auch noch die Frage, ob womöglich der Bundespräsident oder der VfGH noch einmal tätig werden könnten. Van der Bellen hatte am Donnerstag gesagt, dass sich die vom VfGH angeforderte Exekution erübrige, wenn er vom Ausschuss die Information bekomme, dass die Unterlagen vollständig geliefert wurden. Sollte das wider Erwarten nicht der Fall sein, „werde ich meinen verfassungsmäßigen Pflichten entsprechen“.

„Zermürbung“ und „Kaltschnäuzigkeit“

Jedenfalls erneuerte die Opposition ihre Rücktrittsforderungen an Blümel. Der Finanzminister „verachtet und missachtet Parlament und Ausschuss“, so Krainer. Die Umsetzung des VfGH-Urteils sei „nicht rechtskonform“. Eine Behinderung der Aufklärungsarbeit von Abgeordneten sah auch Hafenecker. Er sprach von Kaltschnäuzigkeit angesichts der nun gelieferten 30 Schachteln, die wohl schon längst fertig kopiert im Finanzministerium gestanden seien. Krisper ortete eine „Zermürbung“ des Ausschusses.

Von Hafenecker kam auch Kritik an Van der Bellen. Dieser habe die Exekutionsanordnung des VfGH einfach übergangen. Wenn er sie durchgeführt hätte, wäre auch die Klassifizierung eine andere, meinte er. Van der Bellen hätte etwa das Heeresnachrichtenamt ins Finanzministerium schicken können, so Hafenecker, dann hätte es sogar eine forensische Untersuchung der Akten geben können.

Krisper erinnerte daran, dass Ministerien die dem Ausschuss gelieferten Unterlagen mit keiner höheren Geheimhaltungsstufe versehen dürfen, als sie auch innerhalb des Ministeriums gilt. Daher fordere sie nun Einblick in das Register aller als geheim eingestuften Unterlagen des Ministeriums. Denn am Donnerstag seien selbst Pressespiegel als „geheime“ Unterlagen übermittelt worden. Außerdem forderte die Abgeordnete die Übermittlung der E-Mails in elektronischer Form.

„Wichtigeren Themen zuwenden“

Die ÖVP hatte die Nichtherausgabe unter anderem mit Daten- und Persönlichkeitsschutz begründet. Diese Argumentation wiederholte am Freitag auch der ÖVP-Fraktionsvorsitzende Andreas Hanger. Der Schutz der Privatsphäre der Beschäftigen stehe für die Partei an vorderster Stelle, deswegen seien die Dokumente eingehend geprüft worden. „Die Akten sind geliefert, und ich bin der Meinung, wir sollten uns wieder wichtigeren Themen zuwenden“, sagte Hanger zudem am Rande einer Pressekonferenz zum Thema Commerzialbank Mattersburg mit dem Titel „SPÖ versinkt immer tiefer im Skandalsumpf“.

Den Ausschuss bezeichnete er zum wiederholten Mal als Steuergeldverschwendung. Zudem kündigte er an, dass man die Oberstaatsanwaltschaft wegen Aktenlieferungen an den U-Ausschuss anzeigen werde. Konkret sieht Hanger eine Verletzung des Amtsgeheimnisses, weil der U-Ausschuss inhaltlich irrelevante Chatprotokolle von ÖBAG-Chef Thomas Schmid erhalten habe. Dort gehe es lediglich um „Tritsch und Tratsch und Klatsch“, es bestehe kein Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand, so Hanger. Das habe man bei der Staatsanwaltschaft Wien angezeigt. Die tatsächlich relevanten Chatverläufe von Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache habe man dagegen immer noch nicht erhalten.

Grüne sehen keinen Rücktrittsgrund

Verteidigende Worte kamen vom grünen Koalitionspartner. Die Vorwürfe reichten nicht für einen Rücktritt Blümels, befand die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer im Ö1-Mittagsjournal. Die Vorgangsweise der Aktenlieferung sei aber „mehr als unglücklich“. Das Finanzministerium habe mittlerweile aber wohl selbst erkannt, dass es „klüger“ gewesen wäre, gleich zu liefern. Entscheidend ist für Maurer allerdings, dass die Akten nun im Parlament sind. Der türkisfarbene Regierungspartner agiere im Rahmen der Verfassung – „wenn auch sehr zögerlich“.

„Schneller und direkter wäre gescheiter gewesen“, so Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) in der „Krone“ in Richtung des Koalitionspartners. Es sei zwar „gut, dass der Verfassungsgerichtshof das jetzt geklärt hat“. „Einsehen muss man das aber nicht, dass das so lange gedauert hat und bis zum Äußersten gegangen ist“, kritisierte er Blümels Vorgangsweise.

Die grüne U-Ausschuss-Fraktionsführerin Nina Tomaselli findet die Vorgangsweise des Finanzministeriums hingegen „sehr, sehr peinlich“, wie sie zur APA sagte. Es sei für sie „absolut unverständlich, wieso es überhaupt so weit gekommen ist und es diese Eskalationsstufe gebraucht hat“. Der VfGH sei „oberste Hüterin der Grundrechte“, und seine Entscheidungen „müssen für alle gelten“, insbesondere für Staatsorgane und „ohne Wenn und Aber“.

Auch Entscheidung zu Kurz-Dokumenten

Angesichts der Kritik an Blümel kam auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) aufs Tapet, denn der VfGH berät aktuell auch über Aktenlieferungen aus dem Bundeskanzleramt an den „Ibiza“-U-Ausschuss. Kurz hatte angegeben, seinen Kalender aus der ÖVP-FPÖ-Regierung gelöscht zu haben. Ob Kurz seine Haltung nun überdenken und nach Back-ups der Kalendereinträge suchen lassen sollte, wollte Hanger nicht beurteilen. Kurz habe alles Relevante dem Staatsarchiv übergeben, alles andere gelöscht: „Der Verfassungsgerichtshof wird hier eine Meinung dazu abgeben.“

Auch in dieser Sache übte die Opposition heftige Kritik: Krainer wies darauf hin, dass der U-Ausschuss seit 15 Monaten für die Übermittlung von relevanten Dokumenten kämpfe. Er glaube, dass es trotz der Löschung bei den Adressaten noch relevante Kommunikation gebe und diese zu liefern sei. Hafenecker sagte, Kurz’ Vorgehen – beispielsweise die Nutzung von Privatgeräten – sei „nicht besser“, sondern schlimmer als jenes von Blümel. Krisper kritisierte die Löschung als rechtswidrig und wies darauf hin, dass wohl künftig rechtlich klarzustellen sei, dass dienstliche Korrespondenz auf Dienstgeräten stattfindet. Auch Tomaselli hoffte auf eine Übermittlung.