Ausschreitungen beim Damaskustor in Jerusalem
APA/AFP/Emmanuel Dunand
Israel

Fortsetzung der Gewalt befürchtet

Angedrohte Zwangsräumungen gegen palästinensische Familien haben in den vergangenen Tagen zu schweren Ausschreitungen geführt. Arabische Länder reagierten mit harscher Kritik an Israel. Eine Anhörung zu den Zwangsräumungen wurde nun vorerst verschoben – die Sorge vor neuer Gewalt ist groß.

Rund 30 Palästinenser müssen derzeit damit rechnen, dass sie ihre Wohnungen im Stadtviertel Scheich Dscharrah nahe der Altstadt Jerusalems verlassen müssen. Scheich Dscharrah liegt im Ostteil der Stadt, den Israel im Sechstagekrieg 1967 besetzt und 1980 annektiert hatte. Die Annexion wird international nicht anerkannt. Die Palästinenser sehen Ostjerusalem als Hauptstadt eines künftigen eigenen Staates.

Anfang des Jahres hatte Jerusalems Bezirksgericht entschieden, dass die Häuser der vier betroffenen Familien rechtmäßig jüdischen Familien gehören. Nach israelischem Recht können jüdische Israelis vor Gericht Besitzanspruch auf Häuser in Ostjerusalem anmelden, wenn ihre Vorfahren vor dem arabisch-israelischen Krieg (1948–49) dort im Besitz von Grundstücken waren. Für Palästinenser, die ihr Eigentum ebenfalls infolge des Krieges verloren haben, gibt es kein solches Gesetz.

Israels oberstes Gericht hatte beiden Seiten bis Donnerstag Zeit gegeben, um einen Kompromiss zu finden. Nachdem das nicht gelang, sollte das Gericht ursprünglich am Montag entscheiden, ob die palästinensischen Familien gegen das Urteil Berufung einlegen können.

300 Verletzte

Doch angesichts der gewaltsamen Ausschreitungen in den vergangenen Tagen verschob die Justiz nun die Anhörung. „In Anbetracht der Umstände und auf Antrag des Generalstaatsanwalts wird die morgige Anhörung abgesagt“, teilte das israelische Justizministerium am Sonntag mit. Der Termin vor dem Obersten Gerichtshofs Israels solle binnen eines Monats nachgeholt werden.

ORF-Analyse zur Lage in Jerusalem

ORF-Korrespondent Tim Cupal erklärt die rechtlichen Hintergründe der Zwangsräumungen in Ostjerusalem und weshalb die Situation derzeit so aufgeladen ist.

Die mögliche Räumung der Häuser hatte zu schwerer Gewalteskalation geführt. Seit Freitagabend wurden nach Angaben von Sanitätern etwa 300 Palästinenser verletzt. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen wiederholten sich auch in der Nacht auf Sonntag. Mehrere Menschen wurden festgenommen.

Die Lage im Westjordanland und im arabisch geprägten Ostteil Jerusalems ist seit Beginn des Fastenmonats Ramadan angespannt. Um Versammlungen zu verhindern, hatte die Polizei Bereiche der Altstadt abgesperrt.

Die palästinensischen Demonstranten bewarfen die Sicherheitskräfte nach Polizeiangaben mit Steinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern. Die Polizisten setzten nach Medienberichten Gummigeschosse, Tränengas und Blendgranaten ein.

„Das Recht, in Jerusalem zu bauen“

Das Nahost-Quartett aus den USA, Russland, den Vereinten Nationen und der EU äußerte sich besorgt. Israel solle während des Ramadan „alle Schritte vermeiden, die die Lage weiter eskalieren könnten“. Auch Papst Franziskus forderte ein Ende der Gewalt.

Ausschreitungen beim Damaskustor in Jerusalem
APA/AFP/Emmanuel Dunand
Ausschreitungen beim Damaskustor: Rund 300 Menschen wurden verletzt

Doch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu signalisierte kein Einlenken. „Wir weisen den Druck, in Jerusalem nicht zu bauen, entschieden zurück“, sagte er bei einer Fernsehansprache vor den Gedenkfeiern zur Einnahme von Ostjerusalem im Krieg von 1967. „Ich sage auch den besten unserer Freunde: Jerusalem ist Israels Hauptstadt. Und so wie jede Nation in ihrer Hauptstadt baut und ihre Hauptstadt aufbaut, haben auch wir das Recht, in Jerusalem zu bauen und Jerusalem aufzubauen.“

Erdogan: „Terrorstaat“

Aus arabischen Ländern kam geharnischte Kritik. Die Arabische Liga wollte am Montag eine Sondersitzung zu den Zusammenstößen abhalten. Das Treffen unter Vorsitz Katars finde auf Gesuch der Palästinenser statt, teilte der Vizegeneralsekretär der Arabischen Liga, Hussam Saki, mit. Thema des Treffens seien „israelische Verbrechen“ und und „Angriffe auf Gläubige“ in Jerusalem.

Betende beim Felsendom in Israel
APA/AFP/Ahmad Gharabli
Gebet im Ramadan: Die Stimmung ist seit Beginn des Fastenmonats aufgeheizt

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bezeichnete Israel angesichts der Zusammenstöße als „Terrorstaat“. Der Sudan bezeichnete das Vorgehen gegen Palästinenser in Ostjerusalem am Samstagabend als „Unterdrückung“ und „Zwangsmaßnahmen“. Khartum forderte die israelische Regierung auf, „von einseitigen Schritten Abstand zu nehmen, die die Chancen für die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen verringern“. Auch Marokko, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) kritisierten das jüngste Aufflammen der Gewalt.

Israel hatte im Herbst seine Beziehungen zu mehreren arabischen Staaten normalisiert. Neben den VAE waren das Bahrain, der Sudan und Marokko. Ende Jänner eröffnete Israel eine Botschaft in Abu Dhabi. Am 1. März trat erstmals ein Botschafter der VAE seinen Posten in Israel an.