Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
Reuters/Jean-Francois Badias
Aufruf zur Teilnahme

Bürger sollen EU-Reformen gestalten

Am Sonntag hat die EU mit einem Festakt die auf ein Jahr angelegte Konferenz zur Zukunft Europas begonnen. Bürgerinnen und Bürger sollen artikulieren, wie die EU mit ihren 27 Mitgliedsstaaten bürgerfreundlicher und effizienter werden könnte. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen rief zur Teilnahme auf.

Mit einem Jahr Verspätung fiel der Startschuss zur Reformkonferenz, nun sollen bis zum Frühjahr 2022 Vorschläge für die Zukunft erarbeitet werden. Bei der Auftaktveranstaltung traten EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf, um die Menschen zur Teilnahme zu bewegen. Macron sagte zur Eröffnung, die EU habe sich in der Pandemie bewährt, man sei „in der Krise zusammengeblieben“.

Die EU habe sich solidarisch gezeigt, den Schutz von Menschenleben in den Mittelpunkt gestellt, finanziell geholfen, Gesundheitssysteme gestärkt. Auch die Impfkampagne habe man erfolgreich zusammen organisiert. „Darauf müssen wir stolz sein, das war nicht selbstverständlich. Die europäische Kooperation hat Leben gerettet.“ Auch die Demokratie habe sich bewährt.

Jetzt müsse man aber überlegen, wie die EU in zehn Jahren aussehen solle. Es gehe um ein Modell, das europäische Werte schütze. Forschung und Investitionen müssten gestärkt werden. Macron kritisierte den langen Vorlauf der Coronavirus-Hilfen. Die USA könnten sich am solidarischen Modell Europas orientieren, doch Europa müsse sich auch den amerikanischen Aufbruchswillen zu Eigen machen. Wichtig seien große Träume und Ambitionen. Die Jugend sei dabei gefordert. Macron hatte die Reformdebatte bereits 2017 eröffnet und seine Appelle über die Jahre immer wieder erneuert.

Bereits Tausende Menschen angemeldet

Von der Leyen sprach von der ersten Begegnung mit ihrer kleinen Enkelin vor einigen Wochen und davon, wie ihre Welt aussehen werde. „Wird es noch Wälder oder die Tierwelt geben, nicht nur in Büchern oder Filmen? Wie sieht ihre Karriere aus, ihre Beschäftigung, die Technik, die sie brauchen wird?“ Sie sprach auch die Frage an, ob Europa geeint oder gespalten sein werde. Deshalb beginne jetzt die Zukunftskonferenz, so von der Leyen.

EU-Zukunftskonferenz mit Bürgerbeteiligung

Am Europatag, dem 9. Mai, wurde in Straßburg die Zukunftskonferenz der EU eröffnet. Die Konferenz soll unter Einbindung der Bürger Ideen liefern, wie die EU fit für die nächsten Jahrzehnte werden kann.

Die Konferenz hätte schon vor einem Jahr beginnen sollen, doch die Pandemie kam dazwischen. Zudem stritten die EU-Institutionen monatelang über Sinn und Ziel. Nun ist die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ausdrücklich erwünscht. Dafür wurde schon vor einigen Wochen eine Onlineplattform freigeschaltet, auf der die Menschen Ideen einspeisen können. Platz gibt es dort auch für erste Diskussionen zu Vorschlägen.

Alle Beitrage sollen unmittelbar in alle 24 Amtssprachen der EU übersetzt werden. Bisher meldeten sich gut 8.000 Menschen auf der Plattform an und posteten knapp 3.000 Kommentare und 1.600 Ideen. Ein „Feedback-Mechanismus“ wurde eingerichtet, um die „wichtigsten“ Vorschläge zu sammeln. So soll eine Reihe von Kernthemen für den weiteren Verlauf der Konferenz identifiziert werden.

Zu weit oder nicht weit genug?

Zudem soll es Bürgerforen geben. Zentrales Auswahlgremium ist ein Plenum, dem 433 Menschen angehören sollen, neben Politikerinnen und Politikern aus den EU-Staaten, den nationalen Parlamenten und dem Europaparlament auch zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger. Aber über die Rolle dieser Versammlung wurde in den vergangenen Tagen hinter den Kulissen noch heftig debattiert. Leiten sollen die Konferenz von der Leyen, EU-Parlamentspräsident David Sassoli und der Staats- oder Regierungschef des Landes, das turnusmäßig die EU-Ratspräsidentschaft innehat.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
AP/Jean-Francois Badias
Von der Leyen eröffnete die Konferenz, die Reformen anstoßen soll

Das Europaparlament drängt seit 2019 auf eine größere Rolle im Machtkampf der EU-Institutionen. So sollen aus Sicht der Abgeordneten nur Spitzenkandidatinnen und -kandidaten bei Europawahlen auch an die Spitze der EU-Kommission gewählt werden können, darauf pochte Sassoli auch am Sonntag wieder. Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, will zudem künftig nur noch einen EU-Präsidenten – statt der getrennten Ämter von Kommissionschef und Ratspräsident.

Manchen Mitgliedsstaaten gehen derartige Pläne jedoch zu weit. Sie scheuen weitreichende Korrekturen, für die die EU-Verträge geändert werden müssten. In einigen Ländern müsste es dann Volksabstimmungen geben. Zudem fürchten die EU-Staaten eine Machtverschiebung nach Brüssel – weg von den Mitgliedsstaaten, hin zur EU-Kommission und zum Parlament. Eine Verpflichtung zur Umsetzung der Reformvorschläge gibt es nicht.

Aufruf europäischer Staatsoberhäupter

Bundespräsident Van der Bellen appellierte in einem Aufruf gemeinsam mit 20 anderen gewählten europäischen Staatsoberhäuptern an die Europäer, sich zu beteiligen. Die Pandemie habe „Stärken der europäischen Integration aufgezeigt, aber auch ihre Schwächen“. „Über all das müssen wir reden.“ Auch Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) forderte die Bürgerinnen und Bürger am Sonntag bei einer online übertragenen Diskussion zum „Digitalen Europatag“ auf, sich mit Ideen und Veranstaltungen einzubringen.

„Wir wollen Ihre Beiträge, Ihre Inputs für die Zukunft Europas“, um „Europa zu einem besseren Ort machen“ zu können, sagte Edtstadler. Die EU-Institutionen hätten sich verpflichtet, die Antworten und Kritik der Menschen weiterzuverfolgen. Edtstadler betonte erneut, dass die EU-Zukunftskonferenz „ergebnisoffen“ sei. Die Bürger hätten drei Möglichkeiten sich einzubringen: über die Onlineplattform der EU-Kommission, über Veranstaltungen in Österreich; und sie könnten auch selbst Veranstaltungen zur Zukunft Europas machen.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte in einer Videobotschaft, wie sich die EU im internationalen Wettbewerb mit Russland, China und den USA positioniere, entscheide über den Erfolg Europas in den nächsten Jahrzehnten.

Kritik und Forderungen

Andreas Schieder, Leiter der SPÖ-Delegation im Europaparlament, beklagte, Österreich stehe gemeinsam mit anderen EU-Regierungen schon vor Start der EU-Zukunftskonferenz auf der Bremse. NEOS-Europaabgeordneter Claudia Gamon zufolge sollte über die Ergebnisse der Zukunftskonferenz europaweit abgestimmt werden. Sowohl eine Mehrheit der europäischen Bevölkerung als auch eine Mehrheit der Staaten müssten den Vorschlag unterstützen. Außerdem forderte NEOS erneut eine Abschaffung des Rates der EU von Staats- und Regierungschefs bzw. Ministern der Mitgliedsstaaten.

Monika Vana, Delegationsleiterin der Grünen, erklärte per Aussendung: „Die Zukunftskonferenz hat einen denkbar holprigen Auftakt geprägt von institutionellem Gerangel. Es bleibt jedoch zu hoffen, dass sich letztlich doch die Vision einer handlungsfähigen und stärkeren EU bei der Zukunftskonferenz durchsetzen wird.“ FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky nannte die Konferenz scheinheilig. „Wo die Eurokraten Bürgerbeteiligung draufschreiben, ist nur eine Scheinmitsprache drin.“