Eine Frau arbeitet im Wohnzimmer im Home Office
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Homeoffice

Wie gutes Arbeiten gelingen kann

Seit über einem Jahr befinden sich viele Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen weltweit im Homeoffice. Das neue Arbeitsmodell dürfte zumindest tageweise in vielen Unternehmen auch in Zukunft beibehalten werden. Im Gespräch mit ORF.at gibt Mentalcoach Martina Reiterer Tipps, wie gutes Arbeiten im Homeoffice gelingen kann, welche Rolle Achtsamkeit dabei spielt und was bei der „körperlichen Schwerstarbeit“ vor dem Bildschirm hilft.

„Durch Covid-19 ausgelöst, hat die Menschheit nochmals einen enormen Digitalisierungsschub erlebt. Hunderttausende machten quasi über Nacht mit Homeoffice Bekanntschaft. Experten und Expertinnen gehen davon aus: Auch wenn das Coronavirus geht – das Homeoffice wird bleiben“, heißt es zu Beginn in Reiterers kürzlich erschienem Buch „Gesundes Arbeiten im Homeoffice“.

Für die Mentaltrainerin zählen „in der neuen Arbeitswelt“, Achtsamkeit, Selbstdisziplin und Resilienz zu den wichtigsten Werten. „Wir vergessen oft, über wie viele Kanäle wir bespielt werden. Für unser Gehirn ist es Schwerstarbeit, all diese Informationen in kurzer Zeit zu verarbeiten“, sagte Reiterer gegenüber ORF.at. So komme es dazu, dass man schnell den Überblick verliere, um zwischen Wichtigem und Unwichtigem unterscheiden zu können.

Eine Frau arbeitet im Wohnzimmer im Home Office mit Handy und Laptop, während der Mann telefoniert und zwei Kinder im Home Schooling arbeiten
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Die Omnipräsenz digitaler Technologien führe zu „digitalem Stress“, so die Mentaltrainerin. Doch es gebe Techniken, damit umzugehen.

„Irgendwann muss ein Arbeitstag vorbei sein“

Neben dieser Überflutung sei die Omnipräsenz digitaler Technologien ein großer Teil des „digitalen Stresses“ – im beruflichen, aber auch im privaten Bereich, wie Reiterer betonte. Dazu gehöre etwa auch die ständige Erreichbarkeit. Diese Faktoren zu identifizieren sei ein wesentlicher Teil der Achtsamkeit.

In einem weiteren Schritt gelte es, Techniken zu finden, um mit diesen Belastungen umzugehen. Hier komme die Selbstdisziplin ins Spiel. „Wir Menschen brauchen Regelungen und Strukturen“, erklärt Reiterer. Um „digitalen Stress“ zu vermeiden, helfe es etwa, fixe Bildschirmzeiten einzulegen. Ideal seien acht Minuten Pause nach 50 bis 60 Minuten Bildschirmzeit. Auch müssten bewusst Grenzen gezogen werden: „Irgendwann muss ein Arbeitstag vorbei sein. Ich darf nicht ständig erreichbar sein.“ Das müsse gegebenenfalls auch mit dem Arbeitgeber vereinbart werden.

Gefragt sei bei all dem vor allem auch Resilienz, „die Fähigkeit, in sich verändernden Situationen flexibel und robust zu reagieren“, wie es im Buch heißt. Konkret bedeute das, „zu wissen, wann genug sei, wann man sich selbst zurücknehmen muss, um neue Ressourcen tanken zu können, die letztlich wieder ausschlaggebend für die Regeneration sind“. Auf sich zu achten und „bei sich zu bleiben“ ist das, was Reiterer als „mentale Stärke“ bezeichnet. Eine Fähigkeit, die auch im Homeoffice von großer Bedeutung sei.

Eine Frau macht im Home Office eine kurze Pause
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Regelmäßige Pausen, Mikroübungen für den Körper, Achtsamkeit für den Geist – für gelungenes Arbeiten im Homeoffice gilt es einiges zu beachten

Displayarbeit „körperliche Schwerstarbeit“

Doch auch Körperwahrnehmung falle in den Bereich der Achtsamkeit hinein, so Reiterer. Denn neben „digitalem Stress“ werden im Buch als weitere Risikofaktoren im Homeoffice fehlendes Zeitmanagement, geringe Wertschätzung, wenig Feedback, Störung durch äußere Faktoren, zu wenig Pausen, Überstunden, Einsamkeit, aber eben auch körperliche Beschwerden genannt.

„Displayarbeit ist für unseren Körper Schwerstarbeit. Wir sitzen starr vor den Geräten und bewegen uns dabei nicht. Unser Körper ist aber auf Bewegung ausgerichtet“, konstatiert Reiterer. In ihrem Buch zeigt sie eine Vielzahl an leichten Bewegungsübungen gegen die „digitale Lähmung“, wie sie es nennt. Wichtig sei es vor allem, den Herz-Kreislauf-Rhythmus regelmäßig zu aktivieren, etwa indem man immer wieder vom Platz aufsteht.

Buchcover
Martina Reiterer
Martina Reiterer: Gesundes Arbeiten im Homeoffice. Tipps und Tricks für mehr Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Achtsamkeit im Homeoffice. Verlag: Augenblickmal, 116 Seiten, 15,30 Euro.

Allerdings gebe es auch eine Reihe an (Mikro-)Übungen, die man im Sitzen absolvieren könne. So reiche es manchmal schon aus, fünfmal mit dem Kopf zu nicken und ihn danach fünfmal von links nach rechts zu bewegen. Gegen das „Office-eye-syndrom“ (Juckreiz, trockene oder gerötete Augen, Augenbrennen) helfe es, den Blick regelmäßig vom Monitor zu lösen und die Augen zwischendurch in alle Richtungen schweifen zu lassen.

Blickrichtung parallel zum Fenster

Nicht zuletzt seien die wenigsten Homeoffice-Arbeitsplätze ergonomisch gestaltet, kritisiert Reiterer. Hier verweist sie auf die Richtlinien der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA). Diese sehen beispielsweise vor, den Bildschirm wenn möglich so auszurichten, dass die Blickrichtung parallel zur Fensterfront verläuft, der Monitor also im rechten Winkel zum Fenster steht. So entstehen keine störenden Reflexionen. Der Sehabstand soll 50 bis 75 Zentimeter betragen.

„Als Merkregel gilt, dass der Abstand zwischen Auge und Bildschirm dann ideal gewählt ist, wenn aus einer aufrechten Sitzposition bei ausgestrecktem Arm die flache Hand auf den Bildschirm aufgelegt werden kann“, heißt es in den Richtlinien.

„Flowerlebnisse“ als Ziel

Ziel des guten Arbeitens sei es, zu „Flowerlebnissen“ zu kommen, „sich voll und ganz auf eine Tätigkeit im Jetzt einzulassen und konzentriert in dieser aufzugehen“. Sich „in Raum und Zeit“ zu verlieren und alles um sich herum zu vergessen, wie Reiterer im Gespräch präzisierte.

Genau diese Flowerlebnisse brauche es, „um den Alltag als ausgeglichen zu erleben“ und Gefühlen des „Gehetzt-Seins“ entgegenzuwirken. Da derzeit „große“ Flowerlebnisse oft fehlen würden, solle man sich auf kleinere Dinge konzentrieren, rät die Mentaltrainerin. Das könne gelingen, indem man etwa eine Liste von A bis Z erstelle und für jeden Buchstaben etwas finde, was einem guttue – und wenn es noch so klein sei. A wie bewusstes Atmen beispielsweise.

Neben einem hohen Stressempfinden sei das stärkste Thema bei ihren Kunden und Kundinnen derzeit Selbstliebe. Ein Thema, das durch die Coronavirus-Pandemie regelrecht „beflügelt“ worden sei, so Reiterer. Und weiter: „Viele erkennen, dass sie aus dem Hamsterrad ausbrechen und mehr zu sich selbst zurückkehren möchten.“