Mikrofon der Asukunftsperson im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss
ORF.at/Lukas Krummholz
Auch „2.0“ möglich

Szenarien für den „Ibiza“-U-Ausschuss

Die zögerliche Herausgabe von Akten an den „Ibiza“-U-Ausschuss hat Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) einen Antrag auf Ministeranklage von SPÖ, FPÖ und NEOS eingebracht. Der Übermittlung waren ja ein Exekutionsantrag des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) und eine Mahnung des Bundespräsidenten vorausgegangen. Geliefert wurde das Material in gedruckter Form, was eine rasche Aufarbeitung de facto verunmöglicht. Doch läuft der U-Ausschuss langsam dem Ende zu – doch was dann?

Nach derzeitigem Stand endet die Beweismittelaufnahme Mitte Juli, danach beginnt ein Fristenlauf, bis Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl bis September den Abschlussbericht verfassen kann – damit wäre der U-Ausschuss „betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung“ (so lautet ja der offizielle Titel) beendet. Wird eine Verlängerung begehrt, muss bis Mitte Juli ein Antrag zur Verlängerung in den Nationalrat eingebracht werden.

Und für eine Annahme ist eine Mehrheit nötig (also etwa SPÖ, NEOS, FPÖ und Grüne). Das würde bedeuten: Beweismittelaufnahme bis Mitte Oktober, Bericht im Dezember. Die Grünen treten aber auf die Bremse, wie aus der Partei zu hören ist – man wolle auf den Antrag warten, der dann praktisch Verhandlungsmasse zwischen ÖVP und Grünen sein könne. Und während eine Verlängerung zwar hinter vorgehaltener Hand bei den Grünen als „sinnvoll“ erachtet wird, sei in der Partei allen klar: Gegen die ÖVP zu stimmen wäre Koalitionsbruch.

Kommt ein „Ibiza-Ausschuss 2.0“?

Auch eine andere Variante ist nicht ausgeschlossen: ein „Ibiza"-U-Ausschuss 2.0“, ein Nachfolger des derzeit laufenden Ausschusses. Der Unterschied: Für die (Neu-)Einsetzung würde eine parlamentarische Minderheit ausreichen. Und hier sehen die Grünen den Ball ohnehin bei der Opposition – diese „habe das Recht, den Ausschuss erneut einzusetzen“, dann könne „mit der Aufklärung weitergemacht werden“, sagte Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer im Ö1-Mittagsjournal.

Damit würde die „Aktenlieferung auch weitergehen“, heißt es von der „Ibiza“-Fraktionsvorsitzenden Nina Tomaselli. Und das nicht zu kurz: Denn ein neuer U-Ausschuss kann wieder mindestens 14 Monate laufen. Auch kann dieser freilich den Untersuchungsgegenstand neu definieren – also de facto abändern bzw. erweitern. Doch wird es wohl Abwägungssache, welches Szenario der ÖVP, den Grünen und der Opposition gemäß den jeweiligen Interessenlagen besser entgegenkommt: eine Verlängerung um ein paar Monate oder eine neue Einsetzung des Kontrollgremiums für eine viel längere Zeit.

Nina Tomaselli (Grüne) im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss
ORF.at/Carina Kainz
Im „Ibiza“-U-Ausschuss scheut die Grünen-Fraktion oftmals die Konfrontation mit der ÖVP nicht

Keine Unterstützung für die oppositionellen Anliegen ist von den Grünen jedenfalls beim Antrag zur Ministeranklage gegen Blümel zu erwarten. Einen nötigen Mehrheitsbeschluss würde es nur mit ihnen geben, doch Klubobfrau Maurer winkte bereits ab: Blümel habe in „letzter Sekunde geliefert“ – dass es dazu eines Exekutionsantrag des VfGH bedurfte, sei zwar „peinlich“, letztlich sei der Finanzminister aber seiner gesetzlichen Pflicht nachgekommen. Daher sei eine Ministeranklage „nicht notwendig“. Maurer erwarte sich aber, dass Blümel „seine Lektion gelernt hat“, wie sie sagte.

Verweigerung „offenkundig rechtswidrig“

Blümels fortgesetzte Verweigerung der Aktenvorlage sei „offenkundig rechtswidrig“ gewesen, heißt es in dem von SPÖ, FPÖ und NEOS eingebrachten Antrag zur Ministeranklage. Dieser Antrag, der die Amtsenthebung Blümels erwirken soll, wird zunächst einmal dem Verfassungsausschuss zugewiesen. Dass der Finanzminister tatsächlich real gefährdet wäre, ist aber angesichts der jüngsten Aussagen von Klubobfrau Maurer dazu praktisch ausgeschlossen.

Scharfer Gegenwind kommt von der Opposition: Blümel missachte seit einem Jahr die Verfassung und seit Anfang März eine Anordnung des VfGH, kritisierte SPÖ-Klubvorsitzender Jörg Leichtfried. Das sei ein „Tiefpunkt“ der ÖVP-Politik. „Regierungsmitglieder, die auf die Verfassung und unsere Gesetze vereidigt sind, müssen diese auf Punkt und Beistrich befolgen“, so Leichtfried. Ein Minister, der sich so verhält wie Blümel, sei daher rücktrittsreif.

Maß „endgültig voll“

Mit der Weigerung, das VfGH-Erkenntnis umzusetzen, habe der Finanzminister gegen die Verfassung verstoßen, betonte Nikolaus Scherak von NEOS: „Das kann ein selbstbewusstes Parlament nicht hinnehmen.“ Der VfGH soll jetzt die Möglichkeit bekommen zu untersuchen, ob Blümel mit der verspäteten Lieferung der Akten an den Untersuchungsausschuss eine Gesetzesverletzung begangen hat.

Für den freiheitlichen Klubobmann Herbert Kickl ist das Maß, was Blümel anbelangt, „endgültig voll“. Blümel sei der erste Minister überhaupt, der es wagt, eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zu ignorieren. Nach so einem Verhalten könne man nicht zur Tagesordnung übergehen, argumentierte er: „Blümel hätte längst von sich aus den Hut nehmen müssen.“

Peschorn: „Politisches und rechtliches Dilemma“

Wolfgang Peschorn, Chef der Finanzprokuratur, ortete in der ZIB2 am Sonntag ein „politisches und rechtliches Dilemma“, in das man sich „von allen Seiten hineinmanövriert“ habe. Politische Aspekte wollte er freilich nicht kommentieren – schließlich hat er in der Causa Blümel eine Rolle inne: Seit zwei Monaten berät Peschorn das Finanzministerium als Anwalt der Republik in der Causa Blümel.

Peschorn über U-Ausschuss-Akten

Wolfgang Peschorn, Präsident der Finanzprokuratur, spricht im Interview über die ausgelieferten Akten an den U-Ausschuss.

„Elektronischer Datenraum“ als Lösung?

Er habe vorgeschlagen, alle Daten und E-Mail-Postfächer in einen „elektronischen Datenraum“ einzuliefern, um seitens des Finanzministeriums diese mit dem U-Ausschuss nach definierten Schlagworten zu durchsuchen. Somit hätte man angesichts der „immer knapper werdenden Zeit“ rasch zu Treffern kommen können, so Peschorn. Weil man mit der analogen Lieferung Tausender Seiten nicht überprüfen könne, ob tatsächlich „alles“ vorgelegt wurden, werde man vielleicht bald auf seinen Vorschlag „zurückkehren“, wie Peschorn sagte.

„Fraktionsführerinnen-Besprechung“ bei Sobotka

Nationalratspräsident und U-Ausschuss-Vorsitzender Wolfgang Sobotka (ÖVP) lud indessen die Parteienvertreterinnen und Parteienvertreter zu einer „Fraktionsführerinnen-Besprechung“ am Mittwochnachmittag ein, bei der auch Vertreter des Finanzministeriums anwesend sein sollen. Ziel des Treffens sei es, über die von der Opposition kritisierte hohe Klassifizierung (Geheimhaltungsstufe) zu sprechen.

Übergeben wurden der Parlamentsdirektion ja insgesamt 204 Ordner, klassifiziert sind diese allerdings in Stufe drei (von vier), also „geheim“, wodurch die Inhalte in der Öffentlichkeit nicht besprochen werden dürfen. Vor allem die Opposition kritisierte das scharf.

„Als Vorsitzender des Ibiza-Untersuchungsausschusses bin ich weder unmittelbar in Aktenlieferungen eingebunden, noch habe ich Einfluss auf Lieferungen oder deren Klassifizierung zum Zeitpunkt der Übermittlung“, schrieb Sobotka in der Nachricht an die Fraktionen im Parlament und weiter: „Sehr wohl bin ich jedoch an einem sachlich geführten Diskurs interessiert, welcher mögliche Lösungen ins Zentrum der Überlegungen stellt.“

Ziel sei es, „jene Akten und Unterlagen zeitökonomisch zu identifizieren, die nach nochmaliger Prüfung der ursprünglich zugedachten Klassifizierung durch den Bundesminister für Finanzen herabgestuft werden können, um eine rasche Behandlung im Untersuchungsausschuss sicherzustellen“, heißt es in dem Schreiben.