Zusammenstöße zwischen Palästinensern und israelischer Polizei in Jerusalem vor der al-Aqsa-Moschee
Reuters/Ammar Awad
„Botschaft“ der Hamas

Raketenangriffe auf Großraum Jerusalem

Die heftigsten Ausschreitungen seit Jahren auf dem Tempelberg in der Nähe der Al-Aksa-Moschee haben am Montag Hunderte Verletzte gefordert. Nachdem ein Ultimatum der radikalislamischen Hamas verstrichen war, wurden laut israelischem Militär sechs Raketen aus dem Gazastreifen abgefeuert. Sie sollen auch in der Umgebung von Jerusalem eingeschlagen sein.

Mehr als 45 Raketen sind laut der israelischen Armee allein auf das Gebiet um das Küstengebiet abgeschossen worden. Sechs Raketen hätten Jerusalem als Ziel gehabt. Raketenalarm in Jerusalem ist sehr selten. Medienberichten zufolge wurde das Parlament in Jerusalem geräumt. Die Abgeordneten seien in Schutzräume gebracht worden.

Israelische Behörden räumten zudem die Klagemauer aufgrund der Zusammenstöße. Hunderte jüdische Gläubige wurden in Sicherheit gebracht. Nach Angaben der Polizei gab es einige Einschläge in Jerusalem. Am Abend berichtete die Nachrichtenagentur AFP von einem Großbrand auf dem Tempelberg. Offenbar ging ein großer Baum durch einen Feuerwerkskörper in Flammen auf.

Brand auf dem Tempelberg und Menschen vor der Klagemauer
Reuters/Reuters TV
Auf dem Tempelberg ist ein Brand ausgebrochen

Netanjahu: Konflikt könnte länger dauern

Die Hamas hatte am Nachmittag einen Abzug aller Polizisten und Siedler vom Tempelberg sowie aus dem Viertel Scheich Dscharrah in Ostjerusalem sowie die Freilassung aller im Rahmen der jüngsten Konfrontation festgenommenen Palästinenser gefordert. Die Hamas bekannte sich zu einem Raketenangriff am frühen Montagabend.

Man habe als „Botschaft“ an den israelischen Feind Raketen auf Jerusalem gefeuert. Es handle sich um eine „Reaktion auf seine Verbrechen und Aggression gegen die heilige Stadt“ sowie auf Israels Vorgehen auf dem Tempelberg und in Scheich Dscharrah. Schon zuvor waren am Montag Raketen auf das israelische Grenzgebiet abgefeuert worden.

Menschen vor der Klagemauer in Jerusalem
Reuters/Ilan Rosenberg
Die Klagemauer wurde inzwischen von der Polizei geräumt

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu drohte nach den Raketenangriffen mit einer harten Reaktion. Es sei eine „rote Linie“ überschritten worden: „Israel wird mit großer Macht reagieren. Wir werden keine Angriffe auf unser Gebiet, unsere Hauptstadt, unsere Bürger und Soldaten dulden. Wer uns angreift, wird einen hohen Preis bezahlen.“ Die Israelis müssten sich darauf einstellen, dass der gegenwärtige Konflikt länger dauern könnte.

Hamas-Aktivisten getötet

Die Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Palästinensern hatten am Montag laut palästinensischem Rotem Halbmond mehr als 300 Verletzte gefordert. Es gab Vorwürfe, dass Israel Sanitätern den Zugang zum Gelände verwehrt. Vor der Al-Aksa-Moschee setzten Polizisten Blendgranaten, Tränengas und Gummigeschosse gegen Steine werfende Palästinenser ein. Nach Angaben der Polizei wurden fast zwei Dutzend Beamte verletzt.

ORF-Korrespondent über die Ausschreitungen in Israel

ORF-Korrespondent Tim Cupal spricht über die Gefechte zwischen den Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften.

Nach Angaben des israelischen Militärs wurden Angriffe auf militärische Ziele der Hamas in Gaza gestartet. Bei einem israelischen Luftangriff im Gazastreifen wurden nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza neun Palästinenser getötet, drei davon Kinder. Laut israelischer Armee wurden bei einem Luftangriff im Gazastreifen drei Hamas-Aktivisten gezielt getötet. Auch einer der Hamas-Kommandeure soll getötet worden sein. Es sei eine Reaktion auf die schweren Raketenangriffe aus dem Gazastreifen auf Israel gewesen.

Flaggenmarsch abgesagt

Der für Montag geplante Marsch durch die Jerusalemer Altstadt anlässlich des israelischen Feiertags Jerusalem-Tag fand angesichts der Lage nicht statt. „Der Flaggenmarsch ist abgesagt“, teilte die veranstaltende Organisation Am Kalavi Montagnachmittag mit. Am Jerusalem-Tag feiert Israel die Eroberung des arabischen Ostteils von Jerusalem einschließlich der Altstadt während des Sechstagekrieges 1967. 13 Jahre später wurde der Teil annektiert. Die Annexion wird international nicht anerkannt. Die Palästinenser sehen Ostjerusalem als Hauptstadt eines künftigen eigenen Staates.

Israelische Polizisten am Tempelberg
Reuters/Ilan Rosenberg
Die Al-Aksa-Moschee auf dem Tempelberg

Aus Sorge vor Gewalt hatte die israelische Polizei Juden am Montag verboten, bei Flaggenmärschen durch die Altstadt auch den Tempelberg zu besuchen. Der Tempelberg mit dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee ist für das Judentum wie für den Islam von herausragender Bedeutung. Es ist die drittheiligste Stätte im Islam. Zugleich standen dort früher zwei jüdische Tempel, von denen der letzte im Jahr 70 von den Römern zerstört wurde. Die Klagemauer ist ein Überrest jenes zerstörten Tempels und die heiligste Stätte der Juden.

30 Palästinenser vor Zwangsräumung

Die Lage im Westjordanland und im arabisch geprägten Ostteil Jerusalems ist seit Beginn des Fastenmonats Ramadan angespannt. Bei heftigen Zusammenstößen waren in Jerusalem schon seit Freitag rund 300 Palästinenser und etwa 20 Polizisten verletzt worden. Die tagelangen Proteste hatten im Viertel Scheich Dscharrah ihren Ausgang genommen, weil dort 30 Palästinenser mit der Zwangsräumung ihrer Wohnungen rechnen müssen. Ein für Montag geplanter Gerichtstermin zu den Zwangsräumungen wurde am Sonntag verschoben.

Karte von Ostjerusalem
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Scheich Dscharrah liegt im Ostteil der Stadt. Anfang des Jahres hatte Jerusalems Bezirksgericht entschieden, dass die Häuser der vier betroffenen Familien rechtmäßig jüdischen Familien gehören. Nach israelischem Recht können jüdische Israelis vor Gericht Besitzanspruch auf Häuser in Ostjerusalem anmelden, wenn ihre Vorfahren vor dem arabisch-israelischen Krieg (1948/49) dort im Besitz von Grundstücken waren. Für Palästinenser, die ihr Eigentum ebenfalls infolge des Krieges verloren haben, gibt es kein solches Gesetz.

Thema vor UNO-Sicherheitsrat

Der UNO-Sicherheitsrat will sich noch am Montag auf Antrag Tunesiens mit der Gewalt in Jerusalem befassen. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres warnte vor einer weiteren Eskalation der Lage. „Er verurteilt aufs Schärfste den Abschuss von Raketen aus dem Gazastreifen nach Israel, zu denen sich Berichten zufolge die Hamas bekannt hat“, sagte Guterres-Sprecher Stephane Dujarric. Der Chef der Vereinten Nationen forderte von Israelis und Palästinensern „maximale Zurückhaltung“.

Alle sechs arabischen Länder, die diplomatische Beziehungen zu Israel unterhalten – neben Jordanien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Marokko und der Sudan – verurteilten das israelische Vorgehen. Das Weiße Haus zeigte sich angesichts der eskalierenden Gewalt in Israel ernsthaft besorgt.

Weitere Ausschreitungen in Israel

Die Krawalle in Israel halten an. Auch am Montag sind die Ausschreitungen zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern weitergegangen. Mehr als 300 Personen wurden verletzt.

Netanjahu verteidigte die Sicherheitsbehörden: „Wir werden Recht und Ordnung aufrechterhalten“, sagte er am Sonntag. Israels Präsident Reuven Rivlin erklärte: „Der Staat Israel respektiert die Religionsfreiheit und wird dies auch weiterhin tun. Er wird allerdings Störungen der öffentlichen Ordnung, Sabotageakte und Unterstützung von Terrorismus nicht dulden.“

Schallenberg: Situation brandgefährlich

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres zeigte sich am Sonntagabend „tief besorgt“ wegen der Gewalt und der drohenden Zwangsräumungen palästinensischer Häuser. Kritik kam auch vom engsten internationalen Verbündeten Israels: Der Nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, äußerte gegenüber seinem israelischen Kollegen Meir Ben Schabbat „ernste Bedenken“ wegen mit den Räumungen in Zusammenhang stehender Baupläne.

Vor dem Hintergrund aufflammender Gewalt forderte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn, den Nahost-Konflikt ins Zentrum von Beratungen auf EU-Ebene zu stellen. Es gebe derzeit die Angst, „dass die Israelis im Begriff sind, Ostjerusalem zu okkupieren“. ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg warnte vor den Beratungen in Brüssel: „Die Situation ist brandgefährlich und sehr volatil. (…) Wir alle sind dazu aufgerufen zu schauen, dass die Situation nicht überkocht, sondern dass wir beruhigend wirken.“