Rakten über Israel
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Raketen und Bomben

Gewaltausbruch in Nahost geht weiter

Bisher 200 Raketen aus dem Gazastreifen und als Antwort darauf 130 Luftangriffe der israelischen Luftstreitkräfte: Auch in der Nacht auf Dienstag ging die Gewalt in Nahost unvermindert weiter. Es gab Tote und viele Verletzte. In weiten Teilen Israels kam es inzwischen wieder zu heftigen Konfrontationen.

Mehr als 200 Raketen seien aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert worden, sagte ein israelischer Armeesprecher Dienstagfrüh. Die Erfolgsquote des Abfangsystems „Eisenkuppel“ liege bei über 90 Prozent. Rund ein Drittel aller abgefeuerten Raketen sei bereits im Gazastreifen niedergegangen.

Das sei außergewöhnlich viel und habe wahrscheinlich dort auch Opfer zur Folge. Wie das Militär weiter mitteilte, wurde ein Wohngebäude in der nördlich des Gazastreifens gelegenen Stadt Aschkelon von einer Rakete getroffen. Rettungskräften zufolge wurden sechs Menschen verletzt.

Israel reagiert mit Luftangriffen auf Raketenbeschuss

Im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ist weiter keine Entspannung in Sicht. Nach andauernden Raketenangriffen aus dem Gazastreifen hat Israels Luftwaffe auch Ziele an der Küste beschossen.

130 Luftangriffe auf Gazastreifen

Nach Angaben eines Armeesprechers flog das Militär bisher rund 130 Angriffe auf Ziele im Gazastreifen. 15 Mitglieder der Hamas und des Islamischen Dschihad seien nach derzeitigem Stand getötet worden. Das Gesundheitsministerium in Gaza sprach von 22 Toten, darunter neun Kinder. Dutzende hätten Verletzungen erlitten.

Laut israelischer Armee wurden Einrichtungen zur Produktion von Raketen, Lager- und Trainingseinrichtungen sowie militärische Stellungen beschossen. Zudem seien zwei Tunnel attackiert worden, die unterschiedlich weit fertiggestellt gewesen seien. Man befinde sich in einer frühen Phase des Gegenangriffs, sagte der Sprecher.

Israelische Luftangriffe über dem Gaza Streifen
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Bombeneinschläge der israelischen Luftangriffe im Gazastreifen

Die EU und die USA verurteilten die jüngsten Raketenangriffe aus dem Gazastreifen und forderten ein sofortiges Ende der Gewalt in dem abgeschotteten Küstengebiet und im von Israel besetzten Westjordanland. „Auch wenn alle Seiten Schritte zur Deeskalation unternehmen (müssen), hat Israel natürlich das Recht, sein Volk und Territorium vor diesen Angriffen zu schützen“, sagte US-Außenminister Antony Blinken. Israels Außenminister Gabi Aschkenasi brach am Dienstag einen Besuch in Südkorea vorzeitig ab.

Raketenalarm sogar in Jerusalem

Nach schweren Zusammenstößen hatten die im Gazastreifen herrschenden Islamisten der Hamas per Ultimatum den Abzug aller Polizisten und Siedler vom Tempelberg sowie aus dem Stadtteil Scheich Dscharrah in Ostjerusalem gefordert. Als Israel dem nicht nachkam, begann am Montagabend der Beschuss.

Bis Dienstagfrüh ertönten immer wieder Warnsirenen, vor allem in der Peripherie des Gazastreifens und in der Stadt Aschkelon. Tel Aviv begann damit, öffentliche Schutzräume bereitzustellen. Ein Hamas-Sprecher sagte, die Raketen seien eine „Botschaft“ an den Feind Israel und eine „Reaktion auf seine Verbrechen und Aggression gegen die heilige Stadt“ Jerusalem. Zu den Angriffen bekannte sich auch die Gruppe Islamischer Dschihad.

Zerstörte Gebäude in Gaza
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Zerstörte Gebäude in Gaza

In Jerusalem wurde am Montagabend nach Militärangaben erstmals seit dem Sommer 2014 Raketenalarm ausgelöst. Der Armee zufolge wurden sechs Raketen auch in Richtung der Stadt abgeschossen. Zu Schaden kam dort ersten Berichten zufolge niemand. In der Stadt begingen viele Israelis da den Jerusalem-Tag. Das Land feiert damit die Eroberung des arabischen Ostteils von Jerusalem einschließlich der Altstadt während des Sechstagekriegs 1967.

Netanjahu: „Rote Linie überschritten“

„Die Terrororganisationen in Gaza haben am Abend des Jerusalem-Tags eine rote Linie überschritten und uns in den Vororten Jerusalems mit Raketen angegriffen“, sagte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bei einer Ansprache in der Stadt. „Wir werden keine Angriffe auf unser Gebiet, unsere Hauptstadt, unsere Bürger und Soldaten dulden. Wer uns angreift, wird einen hohen Preis bezahlen.“ Die israelischen Bürger müssten sich darauf einstellen, dass der gegenwärtige Konflikt länger dauern könnte.

Tim Cupal zur Gewalt in Israel

ORF-Korrespondent Tim Cupal berichtet aus Tel Aviv über die Eskalation der Gewalt.

Auf dem Tempelberg in Jerusalem war es am Montagabend erneut zu Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und der israelischen Polizei gekommen. Dutzende Menschen seien verletzt worden, berichteten Augenzeugen. Die Polizei habe Blendgranaten und Gummigeschoße eingesetzt. Der Tempelberg mit dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee ist für Juden wie Muslime von herausragender Bedeutung.

Zwangsräumung als Anlass

Die tagelangen Proteste hatten im Viertel Scheich Dscharrah ihren Ausgang genommen, weil dort 30 Palästinenser mit der Zwangsräumung ihrer Wohnungen rechnen müssen. Ein für Montag geplanter Gerichtstermin zu den Zwangsräumungen wurde am Sonntag verschoben. Anfang des Jahres hatte das Bezirksgericht entschieden, dass die Häuser der vier betroffenen Familien rechtmäßig jüdischen Familien gehören.

Karte von Ostjerusalem
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Nach israelischem Recht können jüdische Israelis vor Gericht Besitzanspruch auf Häuser in Ostjerusalem anmelden, wenn ihre Vorfahren vor dem arabisch-israelischen Krieg (1948/49) dort im Besitz von Grundstücken waren. Für Palästinenser, die ihr Eigentum ebenfalls infolge des Krieges verloren haben, gibt es kein solches Gesetz.

Demonstrationen von Arabern in weiten Teilen Israels

In weiten Teilen Israels kam es unterdessen zu heftigen Konfrontationen. Vor allem in Ortschaften im Norden und Süden des Landes gab es nach Medienberichten zahlreiche gewaltsame Demonstrationen israelischer Araber, bei denen Steine auf Polizisten geworfen wurden. Mehrere Fahrzeuge seien in Brand gesetzt worden. Fernsehreporter verglichen die Vorfälle mit dem zweiten Palästinenseraufstand (Intifada) vor zwei Jahrzehnten.

Proteste in Bethlehem
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Nächtliche Proteste in Bethlehem

Polizeiangaben zufolge wurden bei den landesweiten Ausschreitungen Dutzende Menschen festgenommen. In der Stadt Lod starb ein 25-jähriger Araber durch Schüsse. Bei dem festgenommenen Tatverdächtigen handelt es sich laut Medienberichten um einen jüdischen Einwohner der Stadt.

Die Polizei teilte mit, man werde entschlossen „gegen jeden Versuch vorgehen, Unruhe zu stiften, und Gesetzesbrecher zur Rechenschaft ziehen“. Sie rief die arabische Führung, religiöse Vertreter und Eltern dazu auf, die jungen Demonstranten zu zügeln. Anderenfalls seien Opfer zu befürchten, die Gewalt könne den Beziehungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen schwer schaden.

Antiisraelische Proteste in Istanbul

In der türkischen Metropole Istanbul gingen indes mehrere tausend Menschen auf die Straße, um gegen Israel zu protestieren. Bei der Kundgebung vor dem israelischen Konsulat wurden palästinensische und türkische Flaggen geschwenkt, antiisraelische Parolen gerufen und Pyrotechnik gezündet.

Auf Schildern waren Sätze zu lesen wie „Al-Kuds gehört den Muslimen“. Al-Kuds ist der arabische Name für Jerusalem. Die Demonstration fand trotz einer nächtlichen Ausgangssperre statt.