Chinesische Krankenschwestern in einem Krankenhausraum mit neugeborenen Babys
AP/Imaginechina/Pei qiang
Weniger Geburten

China unter Zugzwang

Sinkende Geburtenrate, rasch alternde Gesellschaft – China droht zu schrumpfen. Laut der am Dienstag veröffentlichten Volkszählung wuchs die Einwohnerzahl in den vergangenen zehn Jahren so langsam wie zuletzt in den 50ern. Fachleute warnten bereits vor den negativen Folgen für Chinas Wirtschaftswachstum. Die Regierung in Peking steht nun unter Zugzwang.

Konkret nahm die Einwohnerzahl Chinas im vergangenen Jahrzehnt um 5,38 Prozent auf 1,41 Milliarden zu. Wie die Volkszählung weiter ergab, schreitet die Überalterung Chinas unaufhaltsam voran. Die Zahl der Chinesen und Chinesinnen über 60 Jahre stieg seit 2010 um 5,44 Prozent auf 264 Millionen. Knapp jeder fünfte Chinese ist damit heute schon älter als 60 Jahre.

Die Bevölkerungsgruppe im arbeitsfähigen Alter ging hingegen weiter zurück: Die Gruppe zwischen 15 und 59 Jahren verkleinerte sich um 6,79 Prozentpunkte auf einen Anteil von 63 Prozent. „Die weitere Alterung der Bevölkerung setzt langfristig die ausgewogene Entwicklung weiter unter Druck“, sagte der Direktor des Statistikamtes, Ning Jizhe.

Kinder und Erwachsene in einem Park in Peking
AP/The Yomiuri Shimbun/Koki Kataoka
Die sinkende Geburtenrate wird von Pekings Statistikamt als „alarmierend“ bezeichnet

Bevölkerungsrückgang: China widerspricht Berichten

Das Statistikamt, das die Veröffentlichung der Volkszählung zuvor wiederholt verschoben hatte, wies Berichte zurück, dass die Bevölkerung bereits 2020 zurückgegangen sei – erstmals seit fast sechs Jahrzehnten. Fachleute erwarten aber „in diesem oder dem nächsten Jahr“ einen Rückgang, wie Staatsmedien berichteten.

Als Grund wird der starke Geburtenrückgang genannt, der als „alarmierend“ beschrieben wird. Das vierte Jahr in Folge fiel im vergangenen Jahr die Zahl der Geburten – um 18 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf zwölf Millionen, wie das Statistikamt berichtete.

Die nun genannte Zahl der Geburten ist auffallend höher als im Februar vom Ministerium für öffentliche Sicherheit mit 10,04 Millionen berichtet. Da in China rund zehn Millionen Menschen im Jahr sterben, deutet der stetige Geburtenrückgang in Richtung Nullwachstum oder Bevölkerungsrückgang. Auch fiel die Fruchtbarkeitsrate laut Statistikamt auf 1,3 Kinder pro Frau – deutlich niedriger als die 2,1, die für eine stabile Bevölkerungszahl notwendig wären.

Eine chinesische Krankenschwester in einem Krankenhausraum mit neugeborenen Babys
AP/Imaginechina/Pei qiang
2016 hob die Regierung in Peking die Ein-Kind-Politik auf – der Erfolg lässt auf sich warten

Zweifel an offiziellen Zahlen

„In städtischen Gebieten dämpfen die hohen Kosten für Wohnraum, Gesundheit und Ausbildung die Begeisterung junger Paare, Kinder zu bekommen“, stellte das Wirtschaftsmagazin „Caixin“ fest. Zudem geht die Zahl der Eheschließungen zurück. Die Scheidungsrate in China ist viel höher als etwa in Japan oder Südkorea. Viele Paare warten auch mit der Heirat und gründen erst später Familien.

Die erste Volkszählung seit zehn Jahren und die siebte seit 1953 wurde im November und Dezember 2020 vorgenommen. Rund sieben Millionen Volkszähler gingen von Tür zu Tür oder nahmen Interviews am Telefon oder online vor. Es gab aber ernste Zweifel, ob die Daten auch die Realität widerspiegeln.

So ist der Familienplanungsexperte Yi Fuxian von der Universität von Wisconsin anhand seiner Berechnungen überzeugt, dass Chinas Bevölkerung längst schrumpft. „Ich denke, es begann 2018“, sagte der Professor der Deutschen Presse-Agentur. Aus seiner Sicht wurde China als bevölkerungsreichstes Land bereits von Indien abgelöst, das 1,366 Milliarden Menschen zählt.

„Das Problem ist sehr ernst“

„Die wahre Bevölkerungszahl hat 2020 höchstwahrscheinlich die 1,28 Milliarden nicht überschritten – weit weniger als die offiziell genannten 1,4 Milliarden“, sagte Yi Fuxian. Die Statistik sei stark nach oben geschönt. „Das Problem ist sehr ernst“, sagte der Experte. „Es bedeutet, dass Chinas Wirtschaft, Gesellschaft, Bildung und Verteidigung auf falschen Bevölkerungsdaten basiert.“

Er zählt Widersprüche auf: So seien im Jahr 2000 beispielsweise 17,8 Millionen Geburten gezählt worden, doch habe es 14 Jahre später nur 13,7 Millionen 14-Jährige gegeben. Aus seiner Erfahrung wird die Zahl der Geburten in der Statistik ständig zu hoch angegeben. „Früher war es um 20 bis 30 Prozent, aber heute um 40 bis 50 Prozent.“

Verzerrungen kann es auch geben, wenn die Ergebnisse der Volkszählung mit früheren Statistiken und dem Wohnortmeldesystem (Hukou) abgeglichen werden. So sind in China mehr Menschen gemeldet, als wirklich existieren. Experten beklagen korrupte Geschäfte, indem Hukou-Anmeldungen mehrfach an eine Person vergeben werden. Verschuldete Kommunen melden wohl auch inflationierte Bevölkerungszahlen, um mehr Finanzausgleich für Bildung, Gesundheit, Armutsbekämpfung oder Infrastruktur zu bekommen.

Druck auf Regierung erhöht

Die Vereinten Nationen (UNO) sagten zuletzt voraus, dass die Zahl der Menschen auf dem chinesischen Festland 2030 ihren Höchststand erreichen wird, bevor sie zurückgeht. Damit wächst der Druck auf Peking, Maßnahmen zu ergreifen, um Paare zu ermutigen, mehr Kinder zu bekommen.

Erst 2016 hatte China die jahrzehntelange Einkindpolitik abgeschafft – in der Hoffnung, die Zahl der Babys zu erhöhen. Seither wird offiziell eine Zweikindpolitik vertreten. Damals wurde auch das Ziel gesetzt, die Bevölkerung bis 2020 auf etwa 1,42 Milliarden zu erhöhen – was nun verfehlt wurde.

Experten über Folgen für Wirtschaft besorgt

Fachleute warnten indes, dass ein Rückgang der Bevölkerung den Konsum auf dem Milliardenmarkt sowie das Wirtschaftswachstum bremsen werden, worunter Investitionen und Außenhandel leiden werden. Sorgen macht ihnen ferner die Immobilienblase. Sinkende Geburtenraten und eine schnell alternde Gesellschaft erhöhen ihnen zufolge auch den Druck auf die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter und könnten die Produktivität beeinträchtigen.

„Unsere Projektionen, die auf den Zahlen vor der Volkszählung basieren, deuteten bereits darauf hin, dass die Erwerbsbevölkerung bis 2030 jährlich um 0,5 Prozent schrumpfen würde, mit ähnlichen Auswirkungen auf das Bruttoinlandsprodukt“, schrieben die Analysten von Capital Economics kürzlich. „Ein langsameres Wachstum würde es schwieriger machen, die Vereinigten Staaten wirtschaftlich einzuholen. Und es könnte auch einen Einfluss auf Chinas globales Ansehen haben.“

Während sich das Tempo der Alterung in China beschleunigt, zeigt die US-Bevölkerung positive Veränderungen, wie aus einem Arbeitspapier der chinesischen Zentralbank hervorgeht. Darin werden Vorhersagen der Vereinten Nationen zitiert, wonach die US-Bevölkerung von 2019 bis 2050 um 15 Prozent wachsen könnte, die chinesische hingegen um 2,2 Prozent schrumpfen dürfte. „Bildung und technologischer Fortschritt können den Rückgang der Bevölkerung nicht kompensieren“, warnte die Zentralbank.

Debatte über Pensionsalter erwartet

Die Überalterung wird überdies die Debatte über eine Anhebung des Pensionsantrittsalters anfachen, die unpopulär ist. China hat weltweit eine der niedrigsten Altersgrenzen: Frauen können je nach Beruf mit 50 oder 55 Jahren in Pension gehen – Männer mit 60. Die Regelung stammt noch aus den Anfängen der Volksrepublik, als die Lebenserwartung niedrig war. Immer wieder heißt es: „China wird grau, bevor es reich wird.“