Am Nachmittag hatte Israels Armee die Luftangriffe auf Gaza intensiviert. Am Nachmittag griffen 80 Kampfjets zunächst palästinensische Raketenabschussplätze an. Am frühen Abend wurde ein Hochhaus in einem besseren Wohnviertel in Gaza-Stadt zerstört. Dabei wurden laut dem öffentlich-rechtlichen israelischen TV-Sender Kan auch Funktionäre des Islamischen Dschihad getötet. Als Reaktion schossen die Palästinenser laut Hamas mehr als 100 Raketen auf dem Großraum Tel Aviv, Gusch Dan, ab. Der Flughafen Ben Gurion wurde geschlossen.
In Rischon Lezion, im Süden von Tel Aviv, wurde am Abend eine Frau bei einem Raketenangriff getötet. Eine Rakete traf zudem in Holon, ebenfalls im Süden Tel Avivs, einen Autobus, der in Flammen aufging. Dabei wurden mehrere Menschen, darunter ein Kleinkind, verletzt. Militante Palästinenser hatten bereits zuvor erneut zahlreiche Raketen aus dem Gazastreifen auf israelisches Gebiet abgefeuert. Dabei wurden zwei Frauen in Aschkelon getötet. Auf palästinensischer Seite gab es Dutzende Tote.
Netanjahu: Konflikt könnte länger dauern
Zuvor waren in Aschkelon bei palästinensischem Raketenbeschuss zwei israelische Zivilistinnen getötet worden. Die Regierung habe angesichts der derzeitigen Situation entschieden, „dass sowohl die Intensität der Angriffe als auch deren Häufigkeit erhöht werden“, sagte Premierminister Benjamin Netanjahu in einer Erklärung am Dienstag. Die israelischen Bürgerinnen und Bürger müssten sich darauf einstellen, dass der gegenwärtige Konflikt länger dauern könnte.
Nach dem bisher einzigartigen schweren Raketenbeschuss auf Zentralisrael ist es praktisch ausgeschlossen, dass Israel rasch zu Waffenstillstandsverhandlungen bereit sein wird. Für Israel geht es laut israelischen Kommentatoren nun darum, die militärischen Fähigkeiten der Palästinenser nachhaltig zu zerstören und ein neues Niveau der Abschreckung zu erreichen. Ein Militärsprecher betonte auch gegenüber Kan, man denke derzeit nicht an Verhandlungen.
Laut israelischer Armee wurde bei einem Luftangriff der Kommandant der Panzerabwehr in Gaza getötet. Es ist der höchstrangige Vertreter der Hamas, der seit Beginn der Auseinandersetzung von Israel „gezielt getötet“ wurde.
Hunderte Raketen von Palästinensern abgefeuert
Seit Montag wurden von militanten Palästinensern Hunderte Raketen aus dem Gazastreifen Richtung Israel abgefeuert. Mehr als 90 Prozent davon wurden nach Angaben der israelischen Armee vom Abwehrsystem „Iron Dome“ abgefangen.
Die radikalislamische Hamas hatte zuvor gedroht, in Aschkelon ein „Inferno“ anzurichten, sollten bei israelischen Angriffen auf den Gazastreifen weitere Zivilisten getötet werden. „Am Ende werden die Palästinenser gewinnen“, sagte Hamas-Führer Ismail Hanija.
In Ostjerusalem war es am Montag erneut zu schweren Zusammenstößen zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern gekommen, bei denen mehr als 500 Menschen verletzt wurden. Nach Ablauf eines Ultimatums der Hamas wurden seit dem Abend weitere Raketen auf Israel abgefeuert.
Zuspitzung binnen weniger Tage
Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern hatte sich in den vergangenen Tagen zugespitzt. In Jerusalem – und dort insbesondere auf dem Tempelberg – gab es im Laufe des muslimischen Fastenmonats Ramadan mehrfach schwere Zusammenstöße mit zahlreichen Verletzten. Auslöser waren unter anderem Polizeiabsperrungen an der Altstadt sowie drohende Zwangsräumungen von palästinensischen Familien im Viertel Scheich Dscharrah durch israelische Behörden.
Nach israelischem Recht können jüdische Israelis vor Gericht Besitzanspruch auf Häuser in Ostjerusalem anmelden, wenn ihre Vorfahren vor dem arabisch-israelischen Krieg (1948/49) dort im Besitz von Grundstücken waren. Für Palästinenser, die ihr Eigentum ebenfalls infolge des Krieges verloren haben, gibt es kein solches Gesetz.
Festnahmen bei Ausschreitungen
Am Dienstag kam es zudem in weiten Teilen Israels erneut zu heftigen Konfrontationen israelischer Araber mit der Polizei, bei denen Steine auf Polizisten geworfen wurden. Mehrere Fahrzeuge seien in Brand gesetzt worden. Fernsehreporter verglichen die Vorfälle mit dem zweiten Palästinenseraufstand (Intifada) vor zwei Jahrzehnten. In der israelischen Stadt Lod, in der Araber und Juden leben, wurde ein 25-jähriger Araber getötet. Am Rande des Begräbnisses kam es am Dienstag erneut zu Zusammenstößen mit der Polizei.
Tim Cupal zur Eskalation der Gewalt
ORF-Korrespondent Tim Cupal berichtet aus Tel Aviv über die Eskalation der Gewalt.
EU und USA fordern Ende der Gewalt
Die USA, Großbritannien und die Europäische Union verurteilten die palästinensischen Raketenangriffe auf israelische Städte. „Der Raketenbeschuss ziviler Bevölkerung in Israel aus dem Gazastreifen heraus ist nicht akzeptabel und nährt eine Dynamik der Eskalation“, hieß es von der EU-Kommission. Der Anstieg der Gewalt im von Israel besetzten Westjordanland, in Ostjerusalem und dem Gazastreifen müsse „unverzüglich aufhören“. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell verurteilte zudem die geplante Umsiedlung palästinensischer Familien in Ostjerusalem als illegal.
Kritik von Saudi-Arabien und Jordanien
Saudi-Arabien verurteilte die „unverhohlenen Angriffe“ der „israelischen Besatzungskräfte“, die gegen „alle internationalen Normen und Gesetze“ verstoßen. Israel müsse seine „ausufernden Handlungen sofort einstellen“. Auch Jordaniens König Abdullah II. bezeichnete das Vorgehen Israels als Verstoß gegen internationales Recht und humanitäres Völkerrecht.
Kritik kam auch von arabischen Staaten, die ihre Beziehungen mit Israel in den vergangenen Monaten normalisiert hatten. Die Vereinigten Arabischen Emirate riefen Israel etwa dazu auf, Verantwortung zur Deeskalation zu übernehmen. Bahrain forderte ein „Ende der Provokationen gegen das Volk von Jerusalem“.