Viele MDMA-Tabletten liegen auf einem Tisch
Getty Images/iStockphoto/Lovesilhouette
„Revolution“

Psychedelika gegen Ängste und Depression

Psychedelika haben, glaubt man jüngsten Studien und Teilen der Wissenschaft, das Potenzial, die Behandlung von psychischen Störungen zu revolutionieren. In Nordamerika ist der Markt bereits aufbereitet, eine klinische Zulassung in Sichtweite. Bei aller Zuversicht aber wird gewarnt: Eine Öffnung könnte zu schnell gehen, die bisherigen Forschungsergebnisse seien noch zu dürftig.

„Nach Jahrzehnten der Dämonisierung und Kriminalisierung stehen psychedelische Drogen an der Schwelle zum Einzug in die Mainstream-Psychiatrie – mit umfassenden Auswirkungen auf einen Bereich, in dem in den letzten Jahrzehnten nur wenige pharmakologische Fortschritte bei der Behandlung von psychischen Erkrankungen und Suchtstörungen erzielt wurden.“

Was die „New York Times“ („NYT“) dazu veranlasste, dieses Heilsversprechen zu verkünden, sind Studien, die jüngst Niederschlag in seriösen wissenschaftlichen Publikationen fanden. Die Zeitschrift „Nature Medicine“ berichtete über die Ergebnisse einer Phase-III-Studie zu Wirksamkeit und Sicherheit einer MDMA (3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin)-unterstützten Therapie bei der Behandlung von Patienten mit schwerer posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS).

Klinische Entwicklung

Phase-III-Studien sind klinische Studien, bei denen das Arzneimittel an einem größeren Patientenkollektiv erprobt wird, um zu sehen, ob sich die Wirksamkeit und die Unbedenklichkeit auch breitenwirksam bestätigen lässt.

„Ecstasy“ versus Placebo

MDMA wird gemeinhin mit der Designerdroge Ecstasy gleichgesetzt, was insofern nur bedingt stimmt, als dass Letztere im illegalen Handel oft mit anderen Substanzen gestreckt ist. In der Studie wurden 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit schwerer und chronischer PTBS nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt. Die erste Gruppe bekam während der Therapiesitzungen MDMA verabreicht, die andere ein Placebo.

Im Verlauf der 18-wöchigen Studie stellten die Wissenschaftler eine „signifikante und anhaltende Abschwächung der PTBS-Symptome“ innerhalb der ersten Gruppe fest – deutlich stärker als bei den Personen aus Gruppe zwei. Zwei Monate nach der Behandlung erfüllten 67 Prozent der Studienteilnehmer aus der MDMA-Gruppe nicht mehr die Diagnosekriterien für eine posttraumatische Belastungsstörung, verglichen mit 32 Prozent in der Placebo-Gruppe.

Auf das „Setting“ kommt es an

MDMA verursachte der Studie zufolge keine ernsthaften unerwünschten Nebenwirkungen. Bei einigen Teilnehmern traten vorübergehend leichte Symptome wie Übelkeit und Appetitlosigkeit auf. „MDMA ist ein erfahrungsbasiertes Therapeutikum und benötigt daher das richtige Setting, um Veränderung und Genesung wirklich anzuleiten“, sagte Jennifer Mitchell, Hauptautorin der Studie und Neurologin an der University of California, San Francisco, der „NYT“. „Während viele Formen der PTBS-Therapie das Erinnern an frühere Traumata beinhalten, ist es wohl die einzigartige Fähigkeit von MDMA, Mitgefühl und Empfindsamkeit zu wecken und gleichzeitig die Angst zu dämpfen, die es so effektiv macht.“

Glaubt man den Autoren der Publikation, könnte diese auch das Potenzial von MDMA zur Behandlung anderer schwerer psychischer Erkrankungen aufzeigen, von Depressionen, Opioidabhängigkeit und Anorexie bis hin zu sozialen Phobien bei autistischen Erwachsenen und den Ängsten von Sterbenskranken. Und: Auch die Forschung zu anderen derzeit noch verbotenen Psychedelika wie LSD, Meskalin und Psilocybin könnte an Fahrt aufnehmen.

Eine Handvoll Magic Mushrooms
Getty Images/Floris Leeuwenberg
Psilocybin ist der halluzinogen wirkende Stoff in „Magic Mushrooms“

Das scheint tatsächlich der Fall zu sein: Mitte April erschien eine Studie im „New England Journal of Medicine“, in der die Vorteile der Behandlung von Depressionen mit Psilocybin, dem psychoaktiven Inhaltsstoff von „Magic Mushrooms“ (Zauberpilzen), gegenüber jener mit dem Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Escitalopram hervorgehoben wurden. Eine kürzlich durchgeführte Studie an der Johns Hopkins University – die ein eigenes Forschungszentrum zu Psychedelika eröffnet hat – zeigte, dass zwei Dosen Psilocybin, zusammen mit einer Psychotherapie, „signifikante, schnelle und anhaltende“ Effekte bei Menschen mit schweren Depressionen hatten.

Suche nach neuen „Werkzeugen“

Zu ähnlichen Ergebnissen kamen britische Forscher bereits in Studien aus den Jahren 2016 und 2018, wie das deutsche Wissenschaftsmagazin „Spektrum“ berichtete: Auch hier konnte eine zweimalige Gabe von Psilocybin im Abstand weniger Tage Depressionen erheblich lindern. Bei fast der Hälfte der Patienten verschwanden die Symptome für drei bis sechs Monate. „Je intensiver die psychedelische Wirkung war, umso stärker war der Effekt. Man vermutet, dass Psilocybin zu einer Art ‚Reset‘ im Gehirn führte.“

Stillstand bei Therapie

Seit ihrer Entdeckung in den 1950er Jahren hat sich die medikamentöse Behandlung von Depressionen kaum verändert. Herkömmliche Antidepressiva – die auf Serotonin, einen Neurotransmitter, der die Stimmung beeinflusst, abzielen – zeigen längst nicht bei allen Menschen Wirkung.

„Nach 50 Jahren werden diese Substanzen wieder als Therapeutika in Betracht gezogen“, sagte die Neurowissenschaftlerin Mitchell, „für die Forschung ist das ein großer Schritt.“ „Es hat einen großen Wandel in der Einstellung zu dem gegeben, was vor nicht allzu langer Zeit noch als Grenzwissenschaft galt“, zitierte die „NYT“ auch den US-Journalisten Michael Pollan, dessen Bestseller „How to Change Your Mind“ in den drei Jahren seit seiner Veröffentlichung zur Entstigmatisierung gewisser Substanzen beigetragen hat. „Angesichts der Krise der psychischen Gesundheit in diesem Land gibt es eine große Neugier und Hoffnung auf Psychedelika und die Erkenntnis, dass wir neue therapeutische Werkzeuge brauchen.“

Zentrale der Food and Drug Administration (FDA) in White Oak, Maryland
Reuters/Andrew Kelly
Wissenschaftler rechnen mit einer baldigen Zulassung der FDA für psychoaktive Substanzen zur therapeutischen Anwendung

Die Gefolgsleute der Revolution

Die von der „NYT“ titulierte „psychedelische Revolution“ hat in den letzten Jahren eine wachsende Zahl von Akteuren angezogen. Die besten US-Universitäten haben einschlägige Forschungszentren eingerichtet, Investoren finanzieren Start-ups mit Millionen von Dollar, Kliniken, die „psychedelische Therapien“ anbieten, werden mehr. Groß im Geschäft ist etwa Field Trip Health aus Toronto, das an der kanadischen Börse gehandelt wird. 150 Millionen Dollar hat das zwei Jahre alte Unternehmen aufgebracht, um bis 2024 ein Netzwerk von 75 Kliniken aufzubauen.

Im vergangenen Jahr legalisierte Oregon als erster US-Staat die therapeutische Verwendung von Psilocybin. Städte wie Denver, Oakland und Washington DC haben die Droge entkriminalisiert, und mehrere Staaten, darunter Kalifornien, denken über ähnliche Gesetze nach. In zahlreichen Studien wurde nachgewiesen, dass klassische Psychedelika wie Ecsatsy und Psilocybin nicht süchtig machen und selbst in hohen Dosen keine Organschäden verursachen. Dennoch sind beide derzeit in den USA von der Drug Enforcement Administration (DEA) als Schedule-1-Drogen gelistet, also als Substanzen ohne legitimen medizinischen Zweck mit hohem Missbrauchspotenzial.

Seit Jahren versuchen Wissenschaftler, diesen Status zu kippen – 2016 schließlich bezeichnete die FDA MDMA als „breakthrough therapy“ („Durchbruchstherapie“) für PTBS, solange es in Verbindung mit Psychotherapie verwendet wird. Inzwischen gilt Selbiges für Psilocybin bei der Behandlung von Depressionen. Die Einstufung als „breakthrough therapy“ bedeutet, dass die Entwicklung eines Arzneimittels ausdrücklich Priorität hat. Die Kommunikation zwischen Behörden und Entwicklern soll ebenso erleichtert werden wie die diesbezügliche Forschung.

Warnung vor Glauben an „Wunderpille“

Doch selbst Wissenschaftler, die sich für eine psychedelisch unterstützte Therapie einsetzen, mahnen zu Vorsicht und Geduld: Der Drang zur Kommerzialisierung der Drogen in Kombination mit einem Hang zur Liberalisierung bestehender Verbote könnte sich als riskant erweisen, insbesondere für Menschen mit schweren psychiatrischen Störungen. Die Ergebnisse kleiner klinischer Studien würden nicht ausreichen, Forschungen zu potenziellen Nebenwirkungen seien weiter notwendig. Dass Psychedelika ohne dazugehörige Therapie „Wunderpillen“ seien, sei ein gefährlicher Irrglaube.

Charles S. Grob, Professor für Psychiatrie an der medizinischen Fakultät der University of California, der jahrzehntelang Halluzinogene erforscht hat, mahnte zur Etablierung strenger Protokolle und der Ausbildung von Fachleuten für psychedelische Medizin. „Wir müssen sehr auf die Sicherheitsparameter achten, denn wenn die Bedingungen nicht richtig eingehalten werden, besteht die Gefahr, dass einige Menschen psychologisch aus der Bahn geraten“, sagte er. „Und wenn der primäre Motivator die Gewinnerzielung ist, ist das Feld meiner Meinung nach anfälliger für Pannen.“

Neuland in Österreich

In Österreich ist vom Vormarsch der psychedelischen Drogen auf wissenschaftlicher Ebene nichts zu bemerken. „Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt wurden in Österreich keine klinischen Studien zu Psilocybin oder MDMA eingereicht oder genehmigt“, hieß es auf Anfrage in einem knappen Statement des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG).

Im EU Clinical Trials Register, das von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) betrieben und von den Arzneimittelbehörden der Mitgliedsstaaten bei der Genehmigung und Überwachung klinischer Studien genutzt wird, sind elf Studien im Zusammenhang mit Psilocybin angeführt, fünf davon datieren aus dem Vorjahr. Noch dürftiger fällt die Bilanz bei kontrollierten Studien mit MDMA aus: Fünf finden sich in dem Register, die letzte davon wurde vor über eineinhalb Jahren gestartet.