Innenminister Karl Nehammer, Justizministerin Alma Zadic, Frauenministerin Susanne Raab und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein
APA/Helmut Fohringer
Femizide

Regierung sagt 24,6 Mio. für Gewaltschutz zu

Die Regierung hat am Mittwoch auf die Häufung von Frauenmorden in Österreich reagiert. Nach einem virtuellen runden Tisch mit Opferschutzeinrichtungen wurde ein Maßnahmenpaket verkündet. Als Sofortmaßnahme würden zusätzlich 24,6 Mio. Euro aufgebracht, wie Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) nach dem Ministerrat bekanntgab. Indes wurde am Mittwoch offenbar wieder eine Frau in Wien getötet.

Gewaltschutzeinrichtungen hatten 228 Millionen Euro gefordert. Fließen wird das Geld unter anderem in einen Ausbau der Familienberatungsstellen, einen Ausbau der Familiengerichtsbarkeit, in Täterarbeit, Prozessbegleitung sowie in Gewaltschutzeinrichtungen, wie Raab und Justizministerin Alma Zadic (Grüne) ausführten. Bei Stalking werden künftig Opferschutzorganisationen sofort informiert. Geprüft wird laut Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), ob nach einer Wegweisung bzw. einem Betretungsverbot automatisch ein Waffenverbot verhängt werden kann.

Dass es deutlich weniger Geld gibt als von Gewaltschutzorganisationen gefordert, verteidigte Raab damit, dass man das Paket nicht nur aufs Budget reduzieren solle, schließlich gehe es etwa auch um eine bessere Vernetzung. Es brauche Kraftanstrengungen von allen Seiten, sagte Raab.

Runder Tisch zum Gewaltschutz für Frauen
APA/Helmut Fohringer
Die Regierung kam mit Opferschutzeinrichtungen zusammen

Das Expertentreffen, bei dem etwa Vertreter der Frauenhäuser und der Männerberatung dabei waren, habe einmal mehr gezeigt, dass es mehr Fallkonferenzen und Prävention brauche, auch müsse man Frauen sensibilisieren, damit die Hilfsangebote auch in Anspruch genommen werden. Mit dem „umfassenden Maßnahmenpaket“ stelle man zusätzlich jährlich 24,6 Millionen Euro ab heuer zur Verfügung. Raab sprach von der „größten Gewaltschutzoffensive der letzten Jahrzehnte“.

Fünf Millionen für Gewaltschutzzentren

Für Gewaltschutzzentren gibt es beispielsweise fünf Mio. Euro mehr, zudem sollen Familienberatungsstellen ausgebaut und Kinderschutzzentren gestärkt werden. Im Justizbereich soll unter anderem die juristische und psychosoziale Prozessbegleitung für Frauen und Kinder um drei Mio. Euro aufgestockt werden, wie Zadic ankündigte. Man investiere in Täterarbeit und Anti-Gewalt-Trainings.

Nehammer kündigte einen Ausbau der Fallkonferenzen aus. Man wolle 800 Spezialisten für die Polizeiinspektionen als Ansprechpartner für Gewaltopfer ausbilden. Das Sicherheitspolizeigesetz soll dahingehend geändert werden, dass bereits bei Stalking Daten an die Gewaltschutzzentren übermittelt werden können. Geprüft wird ein obligatorisches Waffenverbot nach der Verfügung einer Wegweisung bzw. eines Betretungs- und Annäherungsverbots.

Mückstein will Ausbau der Männerberatungsstellen

Vier Mio. Euro mehr sollen in den Ausbau der Männerberatungsstellen fließen, wie Sozialminister Wolfgang Mückstein (Grüne) ergänzte. Wichtig sei es, die falsch vermittelten Rollenbilder aufzubrechen. Jeder kenne Frustration und Angst, aber wenn das in Aggression und Hass umschlage, sei es ein Warnsignal und der Zeitpunkt für Männer, sich Hilfe zu holen. Um Angebote bekannter zu machen, wird eine Kampagne gestartet.

Dass sich Ministerin Raab bereits am Dienstag mit Expertinnen und Experten speziell zu „kulturell bedingter Gewalt“ ausgetauscht hatte, hat beim Koalitionspartner offenbar nicht unbedingt Freude ausgelöst: Mückstein sagte, man müsse ein bisschen aufpassen, denn Gewalt gegen Frauen sei ein weltweites Problem, das jede Altersklasse betreffe und sich quer durch alle sozialen Schichten ziehe.

„Wir dürfen hier nicht den Fehler begehen, den kulturellen Hintergrund als einen ausschlaggebenden Faktor zu deuten.“ Es wäre unsachlich, das Thema Gewalt an Frauen aufs Migrationsthema zu reduzieren, sagte Raab daraufhin, „ich möchte nur einfach, dass wir auf keinem Auge blind sind“. Fünf der zehn Täter von heuer seien im Ausland geboren, sagte sie.

Sie beobachte, wie dieses Thema immer wieder „mit erschreckender Regelmäßigkeit“ diskutiert und dann wieder durch andere Themen zugedeckt werde, so die Justizministerin. „Es ist unser Ansinnen, diesen Kreislauf zu durchbrechen“, damit solche Morde nicht mehr passieren. Nehammer appellierte an Opfer und Zeugen, den Notruf 133 zu wählen – „es gibt keinen Anruf zu viel“.

Tote Frau mit Verletzungen im Hals gefunden

Unterdessen kam es vermutlich zu einem weiteren Femizid in Wien-Simmering just am Tag des Gewaltschutztreffens. Eine 36-jährige Frau wurde mit Verletzungen im Halsbereich tot aufgefunden. Ihr 44-jähriger Ehemann wurde laut Polizei als Tatverdächtiger vorläufig festgenommen.

24,6 Millionen Euro für Gewaltschutz

Bei einem Gewaltschutzgipfel mit Vertreterinnen der Opferschutzorganisationen wurden von der Regierung 24,6 Millionen Euro mehr für Gewaltprävention und Unterstützung der Opfer beschlossen.

Laut Polizei hat das Landeskriminalamt Wien die Ermittlungen übernommen. Die genaue Todesursache wird durch eine Obduktion geklärt. Fremdverschulden könne nicht ausgeschlossen werden, hieß es in einer Aussendung der Polizei. Der 44-jährige Ehemann war in der gemeinsamen Wohnung in Simmering. Die Polizei wurde gegen 5.30 Uhr vom Rettungsdienst verständigt – mehr dazu in wien.ORF.at.

Täter meistens in (Ex-)Beziehung mit Opfer

Die Fälle von Gewalt an Frauen sowie Femiziden in Österreich steigen. Mit Mittwoch liegt laut Aufzeichnung der Autonomen österreichischen Frauenhäuser die Zahl wahrscheinlich bereits bei 13, bis Dienstag bei elf. Zumeist sind die Täter (Ex-)Ehemänner, (Ex-)Lebensgefährten und andere männliche Familienmitglieder. Waren es 2014 laut polizeilicher Kriminalstatistik noch 14 Frauenmorde, so waren es 2020 31.

Grafik zu Frauenmorden
Grafik: ORF.at; Quelle: Bundeskriminalamt

Es kam also in diesem Zeitraum zu mehr als einer Verdoppelung der Femizide. Davor gab es im Jahr 2018 einen Höchststand von 41 Morden an Frauen. Dass im Pandemiejahr 2020 die Zahl weiblicher Mordopfer sank, wird von den Autonomen Österreichischen Frauenhäuser damit begründet, dass Frauen im Zuge der Lockdowns „verstärkt der Kontrolle der gewaltausübenden Partner ausgesetzt waren“ und kaum Fluchtmöglichkeiten hatten.

Trennungen bzw. die Ankündigung einer Trennung dürften dabei häufig zur Gewalttat geführt haben: Eine Statistik der Wiener Interventionsstelle für Gewalt erklärte für 2019 die Verhältnisse der Gefährder zu den Opfern. 44,8 Prozent der Täter standen zum Tatzeitpunkt in einer Beziehung zu ihren Opfern. 23,2 Prozent hatten sich bereits getrennt. 22,1 Prozent standen in einem Verwandtschaftsverhältnis zu den Frauen. Fremde als Täter beliefen sich auf 0,8 Prozent.

Beratung für Männer

Jede fünfte Frau Gewalt ausgesetzt

2020 wurden 11.652 Betretungs- und Annäherungsverbote von der Polizei verhängt. 2019 waren es 8.748, wie aus den Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik und Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie hervorgeht.

Jede fünfte Frau ist statistisch gesehen ab ihrem 15. Lebensjahr körperlicher und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt. Das zeigte eine Erhebung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte zu geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen im Jahr 2014. Im europäischen Vergleich findet sich Österreich in der Mitte wieder. Laut den im Herbst 2020 von Eurostat veröffentlichten Zahlen ist Österreich jedoch das einzige EU-Land, in dem mehr Frauen als Männer Gewaltverbrechen zum Opfer fielen.