Ausgebranntes Auto in Lod
Reuters/Ronen Zvulun
Hamas vs. Israel

Ausnahmezustand nach Unruhen in Lod

Die kriegerische Konfrontation mit der radikalislamischen Hamas reißt auch innerhalb Israels gesellschaftliche Gräben auf: Der israelische Präsident Reuven Rivlin verurteilte am Mittwoch die jüngsten Angriffe arabischer auf jüdische Israelis mit scharfen Worten. Über die Stadt Lod wurde der Ausnahmezustand verhängt.

In der Stadt Lod, südöstlich von Tel Aviv, habe ein „Pogrom“ stattgefunden, erklärte das Staatsoberhaupt am Mittwoch nach gewaltsamen Zusammenstößen in der Stadt im Zentrum Israels. Laut der israelischen Polizei war es in Lod nach dem Tod eines arabischen Israelis zu schweren Ausschreitungen der arabischen Minderheit gekommen. Die Regierung verhängte daraufhin den Ausnahmezustand über die Stadt. Zu Gewalt kam es zuletzt auch in anderen arabischen Ortschaften und Städten – darunter auch in Akko.

Die derzeitigen Unruhen im Land würden durch einen „blutrünstigen arabischen Mob“ verursacht, der Menschen verletze und sogar „heilige jüdische Orte“ angreife, erklärte Rivlin. Das sei „unverzeihlich“. Die Ausschreitungen zeigen allerdings auch, dass die Gräben zwischen der arabischen und jüdischen Bevölkerung tief sind, und es spielt hier auch eine jahrzehntelange Benachteiligung der arabischen Bevölkerung durch die Politik – etwa was Investitionen in Bildung und Infrastruktur angeht – stark hinein.

Sicherheitskräfte in Lod
APA/AFP/Ahmad Gharabli
Mehrere Bataillone der Grenzpolizei sollen Ruhe und Ordnung in Lod wiederherstellen

Ganz: Luftangriffe, bis „vollständige Ruhe“ herrscht

Israels Verteidigungsminister Benni Ganz kündigte angesichts des anhaltenden Raketenbeschusses aus dem Gazastreifen weitere Angriffe auf militante Palästinensergruppen in dem Küstengebiet an. Die Armee werde ihre Bombardements fortsetzen, um eine „vollständige und langfristige Ruhe“ zu erzwingen, sagte Gantz am Mittwoch in Aschkelon im Süden Israels. „Erst wenn wir dieses Ziel erreicht haben, werden wir über eine Waffenruhe reden können.“

Mehrere hochrangige Hamas-Vertreter getötet

Nach heftigem Raketenbeschuss durch militante Palästinenser in der Nacht auf Mittwoch tötete Israel nach eigenen Angaben mehrere hochrangige Vertreter der im Gazastreifen herrschenden Hamas. „Das ist erst der Anfang: Wir werden ihnen Schläge versetzen, die sie sich niemals erträumt haben“, sagte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu dazu. Hamas bestätigte die Tötungen – unter anderem des Chefs der Panzerabwehr.

Nach Angaben der israelischen Armee feuerten militante Palästinenser seit Montagabend mehr als 1.000 Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel. Alarm gab es am Mittwoch vor allem im Umkreis in und um Tel Aviv und auch in Städten wie Aschkelon, Aschdod und Beerscheva. Das Militär setzte im Gegenzug schwere Luftangriffe in dem Palästinensergebiet fort. Am Dienstag feuerte die Hamas nach eigenen Angaben auch 15 Raketen in Richtung des israelischen Atomreaktors Dimona ab.

Nach Angaben des Militärs starben in Israel mindestens fünf Menschen durch Raketenbeschuss. Das Gesundheitsministerium in Gaza bezifferte die Zahl der Toten auf mehr als 50.

Internationale Besorgnis wächst

International wuchs die Besorgnis über die Eskalation des Konflikts. Tel Aviv war in der Nacht auf Mittwoch unter so heftigen Beschuss geraten wie nie zuvor. Verteidigungsminister Ganz stimmte die Bürger auf einen längeren Militäreinsatz ein. Der UNO-Sicherheitsrat wollte am Mittwoch zum zweiten Mal binnen weniger Tage zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen.

Hamas gegen Israel: Konflikt vor Eskalation

Bei den bisher schwersten Raketenangriffen der Hamas auf den Großraum Tel Aviv sind in der Nacht auf Mittwoch mehrere Israelis getötet worden. Heftige Angriffe der israelischen Luftwaffe auf den Gazastreifen waren die Folge.

Beobachter vermuteten, dass die Tötung der hochrangigen Hamas-Vertreter eine Verschärfung der Raketenangriffe nach sich ziehen könnte. Die Einsätze gegen die Hamas-Vertreter erfolgten den israelischen Angaben zufolge gleichzeitig in Chan Junis und Gaza. Die israelische Armee und der Geheimdienst teilten mit, die Getöten ständen dem legendären Militärchef Mohammed Deif nahe und seien Teil des militärischen Stabs der Hamas.

Verschärfung seit Mitte April

Der Konflikt in Nahost hat sich seit Beginn des Ramadans Mitte April immer weiter verschärft. An diesem Mittwochabend sollte der muslimische Fastenmonat enden. In den vergangenen Tagen hatte es zunächst vor allem in Jerusalem heftige Zusammenstöße zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften gegeben. Auslöser waren unter anderem Proteste gegen Polizeiabsperrungen in der Altstadt sowie drohende Zwangsräumungen palästinensischer Familien im Viertel Scheich Dscharrah.

Bub schaut aus einem Fenster auf ein zerstörtes Gebäude in Gaza Stadt
APA/AFP/Mohammed Abed
Israels Luftwaffe reagierte auf den Raketenbeschuss nach eigenen Angaben mit dem umfangreichsten Bombardement des Gazastreifens seit 2014

Wie das israelische Militär am Mittwoch mitteilte, wurden rund 850 der mehr als 1.000 aus dem Gazastreifen abgefeuerten Raketen entweder abgefangen, oder sie gingen in Israel nieder. Etwa 200 weitere seien noch im Gazastreifen niedergegangen.

Selbst gebaut oder geschmuggelt

Die Hamas baut sich ihre Waffen entweder selbst oder schmuggelt sie in das Küstengebiet, über Ägypten oder den Seeweg. Zahlen zu ihrem Raketenarsenal nannte die Gruppe, die von Israel und der EU als Terrororganisation eingestuft wird, bisher noch nie. Das Thema gilt als streng geheim. Es ist verboten, darüber zu reden oder Nachfragen dazu zu stellen. Seit Ende 2014 hat sich die Hamas stark um einen Ausbau ihres Arsenals und ihrer militärischen Fähigkeiten bemüht. Israel geht davon aus, dass militante Gruppen im Gazastreifen dazu in der Lage sind, täglich Hunderte Raketen auf Israel abzufeuern.

Karte von Ostjerusalem
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Zahlreiche internationale Reaktionen

Russland, Großbritannien und die USA riefen alle Seiten zur Zurückhaltung auf – dem schloss sich Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) an, der zur Deeskalation aufrief. Zugleich verurteilte er die Angriffe auf Israel scharf und betonte das Recht Israels auf Selbstverteidigung. Priorität sollten nun Deeskalation und die Verhinderung ziviler Opfer auf beiden Seiten haben, sagte EU-Ratspräsident Charles Michel.

Der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif kritisierte derweil Israel bei einem überraschenden Besuch im Bürgerkriegsland Syrien in scharfen Tönen. Die „kriminellen Handlungen“ Israels hätten die Lage in der Region deutlich verschlechtert, sagte Sarif in Damaskus.