Israelische Soldaten an der Grenze zu Gaza
APA/AFP/Menahem Kahana
Angriff auf Tunnel

Israel dementiert Bodentruppen in Gaza

Israels Militär hat Freitagfrüh Details zu seiner jüngsten Verschärfung der Angriffe im Gaza-Konflikt genannt. Wie ein Sprecher der Armee sagte, starteten in der Nacht 160 „Luftfahrzeuge“ von zwölf Geschwadern. Ihr Einsatz dauerte demnach rund 40 Minuten. Kein israelischer Soldat habe den Gazastreifen betreten. Dazu gab es Widersprüche.

Ziel des komplexen Angriffs vonseiten Israels sei ein Tunnelsystem der Hamas in dem Küstengebiet gewesen, so der israelische Armeesprecher. Es werde „Metro“ genannt. Dabei handle es sich um eine Art „Stadt unter der Stadt“. Die Hamas habe Jahre in den Bau des Tunnelsystems investiert. Der Grad der Zerstörung sei noch unklar. Zur Unterstützung feuerten unter anderem Panzer von israelischer Seite auf Ziele im Gazastreifen.

Das israelische Fernsehen hatte zuvor von massiven Angriffen der Luftwaffe sowie der Artillerie und Panzertruppen auf den Küstenstreifen berichtet. Die Armee erklärte zunächst: „Luft- und Bodentruppen greifen gegenwärtig im Gazastreifen an.“ Anschließend gab es Berichte, wonach Bodentruppen in den Gazastreifen vorgedrungen seien.

Derzeit „keine Soldaten“ im Gazastreifen

Der Armeesprecher entschuldigte sich anschließend für die Fehlkommunikation. Im Gazastreifen seien „keine Soldaten“. Bewohner des nördlichen Gazastreifens, in der Nähe der israelischen Grenze, sagten, sie hätten keine Anzeichen von israelischen Bodentruppen innerhalb der Enklave gesehen. Nach Medienberichten bereitete sich die Armee auf eine mögliche Bodenoffensive vor. Verteidigungsminister Benny Ganz hatte zuvor angesichts der Eskalation die Mobilisierung von weiteren 9.000 Reservistinnen und Reservisten genehmigt. Vor zwei Tagen hatte die Armee bereits 5.000 mobilisiert.

Israelische Soldaten an der Grenze zu Gaza
AP/Ariel Schalit
Israelische Soldaten befinden sich an der Grenze zum Gazastreifen

Das israelische Fernsehen berichtete, es sei der heftigste und breiteste Angriff im Gazastreifen seit Beginn der Eskalation am Montag. Vor allem im Umkreis des Gazastreifens ertönten in der Früh immer wieder Raketenwarnsirenen. Nach Polizeiangaben wurde ein Haus in der Stadt Aschkelon von einer Rakete getroffen. Weitere Angriffe gab es etwa in Aschdod und Modiin. Auch in die Richtung des internationalen Flughafens bei Tel Aviv wurden Raketen abgefeuert. Israelis in Grenzorten, die bis zu vier Kilometer entfernt vom Gazastreifen leben, wurden nachts aufgerufen, sich bis auf Weiteres in Schutzräume zu begeben.

Israels „Iron Dome“ fängt Großteil der Raketen ab

Militante Palästinenser im Gazastreifen haben nach Angaben des israelischen Militärs bisher 1.800 Raketen auf Israel abgefeuert. Rund 430 davon seien noch in dem Küstengebiet niedergegangen, sagte Sprecher Jonathan Conricus. Die Erfolgsquote des Abfangsystems Eisenkuppel („Iron Dome“) hat das Militär zuletzt im Schnitt mit rund 90 Prozent angegeben.

Seit Montag starben laut beiden Seiten 127 Menschen. Durch die israelischen Luftangriffe seien auf palästinensischer Seite 119 Menschen getötet worden, darunter 31 Kinder, teilte das von der radikalislamischen Hamas geführte Gesundheitsministerium im Gazastreifen mit. In Israel starben acht Menschen.

Zudem seien aus dem Süden des Nachbarlandes Libanon drei Raketen in Richtung Israel abgefeuert worden, teilte die israelische Armee mit. Sie stürzten allerdings ins Mittelmeer. Eine Quelle aus dem Umfeld der Hisbollah versicherte, die schiitische Miliz habe nichts damit zu tun. Aus libanesischen Militärkreisen hieß es, die Geschoße seien unweit eines palästinensischen Flüchtlingslagers abgeschossen worden.

Ausgebrannte Autowracks in Lod
APA/AFP/Ahmad Gharabli
Nur wenige Raketen schlagen auf israelischem Gebiet ein

Zusammenstöße im Westjordanland

Auch im Westjordanland kam es zu Zusammenstößen. Nach palästinensischen Angaben wurden sechs Palästinenser getötet und mehr als hundert weitere verletzt. Im Ort Jabad im Norden des Westjordanlands sei ein Palästinenser durch „scharfe Munition verwundet“ worden und gestorben, teilte das palästinensische Gesundheitsministerium am Freitag mit.

Zu einem tödlichen Vorfall kam es demzufolge auch im nördlich von Ramallah gelegenen Ofra. Die israelische Armee meldete einen versuchten Messerangriff eines Palästinensers auf einen israelischen Soldaten. Daraufhin sei der Mann „neutralisiert“ worden. Das palästinensische Gesundheitsministerium bestätigte den Tod des Mannes.

Die massiven Spannungen entluden sich auch in Gewalt zwischen jüdischen und arabischen Israelis. Israels Polizeichef Micky Rosenfeld sagte, die Polizei müsse regelrechte „Pogrome“ verhindern. In der israelischen Stadt Lod schoss am Donnerstag ein Mann auf eine Gruppe bewaffneter Juden und verletzte dabei einen Menschen.

Netanjahu – „Starker Mann in der Krise“?

Israel-Korrespondent Tim Cupal analysierte im Ö1-Morgenjournal am Freitag, der Konflikt könnte dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Nethanjahu als „starkem Mann in der Krise“ in die Hände spielen, wenngleich er auch Opfer bringe. Angriffe auf Tel Aviv etwa hatte es aus dem Gazastreifen zuvor mehrere Jahre lang keine gegeben.

„Ich habe gesagt, dass die Hamas einen sehr hohen Preis zahlen wird“, so Netanjahu in einer Videobotschaft. Man werde die Angriffe „mit großer Intensität“ fortsetzen. „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, und diese Operation wird so lange wie nötig weitergehen.“ Kritik an der Hamas übten der französische Präsident Emmanuel Macron und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Macron bekräftigte am Freitag „unerschütterliche Verbundenheit mit der Sicherheit Israels“, von der Leyen forderte ein Ende der Gewalt.

Zerstörtes Wohnhaus in Gaza
Reuters/Suhaib Salem
Israel reagiert deutlich mit Gegenangriffen

Österreich hisst israelische Flagge

Österreich hat als „Zeichen der Solidarität mit Israel“ am Freitag auf dem Dach des Bundeskanzleramts die israelische Flagge gehisst. „Die terroristischen Angriffe auf Israel sind auf das Schärfste zu verurteilen! Gemeinsam stehen wir an der Seite Israels“, twitterte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) kündigte unterdessen angesichts bisheriger und möglicher weiterer antiisraelischer Demonstrationen in Österreich ein konsequentes Einschreiten der Polizei an. Mit der Kultusgemeinde sei eine enge Zusammenarbeit vereinbart worden.

Auch ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg betonte: „Österreich steht voll und ganz hinter Israel.“ Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) verurteilte unterdessen „zutiefst, wenn Konflikte aus dem Ausland in Österreich ausgetragen werden und Antisemitismus geschürt wird“. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner schrieb auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, dass eine Waffenruhe „dringend erreicht“ werden müsse und sich Österreich und die EU für ein Ende der Gewalt einsetzen müssten. Gegen jede Form von Antisemitismus sprach sich die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) aus.

International ist die Reaktion auf die Angriffe auf beiden Seiten groß. „Zu viele Zivilisten sind bereits gestorben“, erklärte unterdessen UNO-Generalsekretär Antonio Guterres im Onlinedienst Twitter. „Dieser Konflikt kann die Radikalisierung und den Extremismus in der ganzen Region nur weiter verschärfen.“ US-Außenminister Antony Blinken äußerte sich „zutiefst besorgt über die Gewalt auf Israels Straßen“. Sein Ministerium rief US-Bürgerinnen und -Bürger auf, eventuelle Pläne für Israel-Reisen zu überdenken. Einige Fluggesellschaften, darunter die Lufthansa und British Airways, haben ihre Flüge nach Israel wegen der Gewalt ausgesetzt.

UNO-Sicherheitsrat erneut einberufen

Der UNO-Sicherheitsrat wird sich am Sonntag mit dem eskalierenden Nahost-Konflikt auf Antrag von China, Norwegen und Tunesien befassen, teilten Diplomatinnen und Diplomaten bei den Vereinten Nationen in New York am Donnerstag mit. Auch die USA, die die Absage einer für Freitag geplanten Sicherheitsratssitzung bewirkt hatten, seien einverstanden.

Es ist die dritte Sitzung des UNO-Gremiums zur Eskalation der Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern binnen einer Woche. Bei den zwei vorherigen Sitzungen hatte es keine Einigung auf eine gemeinsame Erklärung gegeben. Das lag Teilnehmenden zufolge an den USA, die eine Verurteilung ihres Verbündeten Israel ablehnten. Israel macht die im Gazastreifen herrschende, islamistische Hamas für alle Angriffe aus dem Gazastreifen verantwortlich. Die Palästinensergruppe wird von Israel, den USA und auch der EU als Terrororganisation eingestuft.

Israel lehnte unterdessen ein Angebot Ägyptens zur Vermittlung einer Feuerpause ab. Vertreter Israels hätten alle Vorschläge zur Vermittlung einer Waffenruhe zurückgewiesen, erfuhr die dpa am Freitag in Kairo aus ägyptischen Sicherheitskreisen – auch eine vorübergehende Feuerpause. Eine Delegation aus Kairo, die am Donnerstag nach Tel Aviv gereist sei, habe keinen Erfolg gehabt.

Konflikt während Ramadan zugespitzt

Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern war zuletzt wieder aufgeflammt. Er spitzte sich während des muslimischen Fastenmonats Ramadan und nach der Absage der palästinensischen Parlamentswahl immer weiter zu. Als Auslöser gelten etwa Polizeiabsperrungen in der Jerusalemer Altstadt, die viele junge Palästinenserinnen und Palästinenser als Demütigung empfanden.

Hinzu kamen Auseinandersetzungen von Palästinensern und israelischen Siedlern im Jerusalemer Viertel Scheich Dscharrah wegen Zwangsräumungen sowie heftige Zusammenstöße auf dem Tempelberg. Die Anlage mit Felsendom und Al-Aksa-Moschee ist die drittheiligste Stätte im Islam. Sie ist aber auch Jüdinnen und Juden heilig, weil dort früher zwei jüdische Tempel standen.

Die Hamas hat sich zum Verteidiger Jerusalems erklärt. Von Israel verlangte sie zu Wochenbeginn per Ultimatum unter anderem, dass alle israelischen Polizisten und Siedler den Tempelberg und Scheich Dscharrah verlassen – Israel folgte dem nicht. Die Hamas hat ihren Raketenbeschuss unter das Motto „Schwert von Jerusalem“ gestellt. Israel nennt seinen Einsatz „Wächter der Mauern“.