Bundeskanzler Sebastian Kurz
APA/Robert Jaeger
Vorwurf der Falschaussage

Offene Fragen bei Ermittlungen gegen Kurz

Am Mittwoch hat Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) persönlich die Öffentlichkeit darüber informiert, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Ermittlungen gegen ihn wegen Falschaussage im „Ibiza“-U-Ausschuss führt. Offen ist, ob es zu einer Anklage kommt. Dafür muss nicht nur geklärt werden, ob es die falsche Aussage gegeben hat, sondern auch, ob diese mit Vorsatz getätigt wurde.

Zahlreiche Juristen wie auch Kurz selbst rechnen damit, dass es zu einem Strafantrag kommen wird. „Die Zeichen deuten in die Richtung“, sagte Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk am Freitag im Ö1-Morgenjournal: „Eine Anklage setzt voraus, dass ein ausreichend geklärter Sachverhalt vorliegt und eine Verurteilung naheliegt.“

Gegenüber der „Presse“ ergänzte Strafrechtsexperte Klaus Schwaighofer, dass vor einer Anklage auch das Justizministerium grünes Licht geben müsse, da es sich um einen Fall von besonderem öffentlichem Interesse handle.

Chatprotokolle vs. Aussage

Sollte es zu einer Anklage kommen, sei es Sache der Anklagebehörde, sowohl das Geschehen, also in diesem Fall die Falschaussage, wie auch das Verschulden nachzuweisen. Funk: „Es liegt nicht am Angeklagten, sich freizubeweisen.“ Als Beweis hat die Staatsanwaltschaft die Chatprotokolle von ÖBAG-Chef Thomas Schmid vorliegen, die einen persönlichen Austausch mit Kurz darlegen, und demgegenüber stehend die verschriftlichte Aussage vor dem „Ibiza“-U-Ausschuss.

In den Chatprotokollen wurde ersichtlich, dass Kurz an Schmid etwa zwei Monate vor dessen Hearing für den ÖBAG-Chefposten schrieb: „Kriegst eh alles, was du willst.“ Im U-Ausschuss hingegen sagte Kurz, in den Bestellungsprozess von Schmid nicht eingebunden gewesen zu sein. Er sei nur „informiert“ gewesen. Die entscheidende Frage dürfte nun sein, ob Kurz wissentlich und willentlich etwas Falsches gesagt hat. Kurz hatte am Mittwochabend im ZIB2-Interview betont, nicht vorsätzlich etwas Falsches gesagt zu haben. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Kurz im Interview mit Armin Wolf

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nimmt in der ZIB2 zu den Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft Stellung.

„Nachweis von Vorsatz schwierig“

Für Funk folgt diese Argumentation der Natur der Verteidigungsstrategie: „Einen Vorsatz nachzuweisen ist schwierig für Staatsanwälte und erfolgt unter Anwendung aller Möglichkeiten der Wahrheitsfindung.“ Diese müssten sich auch auf Einvernahmen von Kurz selbst beziehen. Ein direkter Nachweis des Vorsatzes sei nicht möglich, so Funk. Aber es gebe Methoden, „um einigermaßen zu einer klaren Beurteilung zu kommen“.

Schwaighofer rechnet nicht mit einer Strafe für Kurz. Es werde „nicht erweisbar sein, dass er vorsätzlich die Unwahrheit gesagt hat“. Wenn im U-Ausschuss nach langer Befragung etwas Falsches gesagt wird, bleibt das genauso ohne Konsequenzen, wie wenn es bei den Erinnerungen hapert, berichtete die „Presse“. Kurz’ Aussage fand im Sommer 2020 statt – die Fragen bezogen sich auf Vorgänge aus dem Zeitraum 2017 bis 2019.

Runder Tisch: Ermittlungen gegen Bundeskanzler Kurz

Über die Ermittlungen gegen Kanzler Kurz diskutierten bei Simone Stribl am „Runden Tisch“: Heinz Mayer (Verfassungsjurist), Kathrin Stainer-Hämmerle (Politikwissenschafterin, FH Kärnten), Doris Vettermann („Kronen Zeitung“) und Wolfgang Rosam (Kommunikationsberater).

Für Strafrechtsexpertin Katharina Beclin wäre die Voraussetzung aber schon erfüllt, wenn Kurz es „ernstlich für möglich gehalten hat, dass seine Aussagen unrichtig sind und damit in Kauf genommen hat, dass er die Abgeordneten falsch informiert“, sagte sie gegenüber dem „Standard“. Es sei nicht erforderlich, dass der Beschuldigte weiß, dass seine Aussagen unrichtig sind, denn für den Straftatbestand falsche Beweisaussage (§ 288 Strafgesetzbuch) reiche der bedingte Vorsatz.

Mitterlehner: Kurz „sollte Amt ruhen lassen“

Für Funk ist auch keine ausgemachte Sache, dass die WKStA tatsächlich die zuständige Behörde in diesem Fall sei. Das sei „nicht eindeutig.“ Es gebe klare gesetzliche Regelungen, dass bei unklaren Zuständigkeitssituationen die Generalprokuratur entscheidet: „Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass es hier noch zu Änderungen kommt.“

Der frühere ÖVP-Chef und ehemalige Vizekanzler Reinhold Mitterlehner kritisierte seinen Nachfolger im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ (Freitag-Ausgabe) scharf. Er empfiehlt Kurz, „sein Amt ruhen zu lassen, bis die Angelegenheit entschieden ist“. Die Ermittlungen gegen Kurz seien für ihn nicht überraschend, es sei der „Höhepunkt einer Entwicklung, die sich schon länger abzeichnet“. Es fehle an Respekt gegenüber demokratischen und rechtlichen Institutionen.