Olympische Ringe vor der Skyline von Tokio
AP/Eugene Hoshiko
CoV-Notstand ausgeweitet

„Angst“ vor Olympia in Japan wird größer

Japan will unbedingt an den Olympischen Sommerspielen festhalten, obwohl die Zeichen dagegen stehen: Der CoV-Notstand muss überraschend auf weitere Regionen ausgeweitet werden. Zudem mehren sich gewichtige Stimmen für eine komplette Absage. Zuletzt unterzeichneten mehr als 350.000 Menschen eine Petition gegen die Spiele.

Es sind gerade noch zehn Wochen, bis am 23. Juli die Sommerspiele von Tokio eröffnet werden sollen. Die Vorbereitungen laufen längst auf Hochtouren, ein Großteil der geplanten Geldmittel für Arenen, Arbeiten und Werbemaßnahmen ist bereits ausgegeben. Doch derzeit kämpft Japan schon gegen die vierte Welle, das Gesundheitssystem ist stark belastet. In Tokio und weiteren Landesteilen gilt der Notstand, der bereits mehrmals verlängert wurde.

Am Freitag wurde er überraschend auf drei weitere Regionen ausgedehnt, darunter auf die nördliche Insel Hokkaido, wo der olympische Marathon stattfinden soll. Dort gelten nun spezielle Regeln, Restaurants und Bars sollen keinen Alkohol ausschenken und um 20.00 Uhr schließen. Die Menschen sind aufgerufen, zu Hause zu bleiben, und Firmen sollen Homeoffice ermöglichen.

Mehrheit für Absage

Die Zahl der Neuinfektionen bewegt sich in Japan bei mehr als 6.000 am Tag, bei einer Bevölkerungszahl von über 126 Millionen. Die 7-Tage-Inzidenz liegt bei rund 49 – also deutlich niedriger als in Österreich. Die Impfzahlen sind aber bescheiden: Erst spät wurde die Impfkampagne gestartet, weil man die Vakzine erst im eigenen Land testen wollte. Zudem gelten die Japanerinnen und Japaner als besonders impfkritisch. In einer im September veröffentlichten Lancet-Studie mit 149 Ländern rangierte Japan unter den Schlusslichtern, was das Vertrauen in Impfstoffe angeht. Die allgemeine Bevölkerung – Menschen im Alter von 16 bis 59 Jahren – soll ihre Impfungen auch erst ab Juli erhalten.

Frau protestiert gegen die Olympischen Spiele in Tokio
Reuters/Kim Kyung-Hoon
Viele Japanerinnen und Japaner sähen die Spiele lieber verschoben oder abgesagt

Bereits im März wurde die Einreise ausländischer Fans zu den Sommerspielen untersagt. Ob einheimische Zuschauer kommen dürfen, ist immer noch offen. Für Kritikerinnen und Kritiker sind die Voraussetzungen für die Sommerspiele schlicht nicht gegeben. In Umfragen spricht sich eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung für eine erneute Verschiebung oder Absage aus. Am Freitag übergab der ehemalige Gouverneurskandidat Kenji Utsunomiya eine Petition mit 351.000 Unterschriften gegen die Abhaltung an die Tokioter Gouverneurin Yuriko Koike.

„Ich denke, diesmal geht es bei den Olympischen Spielen darum, ob wir dem Leben Vorrang geben oder einer Zeremonie und einem Ereignis namens Olympia“, sagte Utsunomiya. „Die Olympischen Spiele unter diesen Bedingungen abzuhalten bedeutet, dass wir wertvolle medizinische Ressourcen dafür binden müssen“.

Sichere Spiele „unmöglich“

Die Petition wurde auch an das Internationale Olympische Komitee (IOC), das Internationale Paralympische Komitee (IPC) sowie die japanischen Organisatoren und die Zentralregierung übermittelt. Parallel dazu werden weitere Unterschriften gesammelt, „bis die Absage verkündet wird“. Schon am Donnerstag hatte ein japanischer Ärzteverband vor der Abhaltung der Spiele gewarnt. Es sei „unmöglich“, für sichere Spiele zu sorgen, hieß es in einer Stellungnahme. Zu den prominentesten Kritikern der Spiele gehört auch der Geschäftsführer des japanischen Konzerns SoftBank, Masayoshi Son. Er sagte dem Sender CNBC, er habe „Angst“ vor Olympia.

Olympische Spiele in Tokio auf der Kippe

Aufgrund steigender Coronavirus-Neuinfektionen weitet Japan den Notstand auf sechs Regionen aus. Die Bevölkerung fordert immer lauter die Absage der Olympischen Spiele in Tokio.

Vorbereitungen in Europa

Auch Dutzende Gastgeberstädte in Japan sagten ihre Teilnahme ab. Zwischen 30 und 40 Gemeinden zogen sich aus dem „Host Town“-Programm aus Sorge vor dem Virus laut Medienberichten zurück. Sie waren als Gastgeber für Trainingslager und für kulturellen Austausch vorgesehen. Betroffen sind etwa Österreichs Judoka, deren rund zweiwöchiges Trainingslager in Hanamaki City geplant gewesen wäre. Sie müssen sich nun in Europa auf die Wettkämpfe vorbereiten und danach direkt ins Olympische Dorf in Tokio einziehen.

Grafik zur CoV-Situation in Japan
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: ourworldindata.org

Etliche ausländische Delegationen machten daher von sich aus schon einen Rückzieher für die Trainingslager in Japan. Die japanische Regierung will die zusätzlichen Kosten der Gastgeberstädte für CoV-Maßnahmen decken. Doch viele kleinere Gemeinden haben gar nicht genug Personal für die zusätzlichen Aufgaben.

Strenge Regeln im Olympischen Dorf

Die Teilnahme der Olympionikinnen und Olympioniken erfolgt auf eigenes Risiko, sie sind dort auch strengen Regeln unterworfen. In den zwei Wochen nach ihrer Ankunft in Japan dürfen sich die Athletinnen und Athleten jeweils nur in der Unterkunft, an olympischen Wettkampf- und Trainingsstätten sowie wenigen klar bestimmten Orten aufhalten. Ihre Pläne für diese Zeit müssen sie vorab den Behörden melden. Auch eine strikte Maskenpflicht, regelmäßige Coronavirus-Tests sowie die Aufforderung zur Nutzung einer Warn-App und der Einhaltung von Hygieneregeln sind vorgesehen.

Mann mit Maske in Straße in Tokio
Reuters/Kim Kyung-Hoon
Tokio ist dekoriert und lädt zu Olympia – an der Abhaltung der Spiele wird aber noch gezweifelt

Kosten schnellen hoch

Die Appelle, die Spiele nicht im Juli starten zu lassen, verhallen ungehört. Offiziell will man sie durchziehen als „Beweis für den Sieg gegen das Coronavirus“, so Japans Premier Yoshihide Suga. Man werde alles tun, um die Spiele nicht zum Superspreader-Event verkommen zu lassen. Gouverneurin Koike sagte nach Übergabe der Petition am Freitag, sie werde die Spiele weiter vorbereiten. Es sei auch in einer Pandemie wichtig, sichere Spiele abzuhalten. Die Organisatoren argumentieren, dass die strengen Hygienekonzepte die Abhaltung gewährleisten könnten.

Sie rechnen mit Kosten für die Sommerspiele von rund 12,66 Milliarden Euro, das wäre mehr als eine Verdopplung gegenüber den Plänen bei der Vergabe der Spiele 2013. Die Verschiebung um ein Jahr und die Kosten für die Coronavirus-Maßnahmen allein trieben das Budget bereits um mindestens 2,3 Milliarden Euro in die Höhe. Schon jetzt gelten die Spiele als die teuersten der Geschichte – und eine Absage würde die Kosten noch einmal deutlich in die Höhe schnellen lassen.