Leere ESC-Bühne
NPO/NOS/Avrotos Nathan Reinds
Massenevent Song Contest

„Normalität“ als Pilotversuch

Dicht besetzte Zuschauerränge und Menschen ohne Masken: Der Eurovision Song Contest in Rotterdam wird diese Woche zu einem riesigen Feldversuch in CoV-Zeiten. Nachdem das Event im Vorjahr abgesagt wurde, wollen die European Broadcasting Union (EBU) und die Niederlande als Austragungsland heuer möglichst „normale“ Bilder an das Millionenpublikum der Fernsehübertragungen senden – während hinter den Kulissen dafür ein enormer Aufwand nötig ist.

Auf der Inzidenzkarte der Europäischen Gesundheitsbehörde (ECDC) liegt Rotterdam in einer der aktuell wenigen Hochinzidenzregionen. Nichts desto weniger entschied man sich unter den drei vorbereiteten Szenarien für jenes, das Liveauftritte in der Halle ebenso vorsieht wie eben ein reduziertes Publikum an Ort und Stelle. Eine neuerliche komplette Absage des Bewerbs wurde bereits im Sommer des Vorjahres ausgeschlossen. Das bereits 2019 festgelegte Motto „Open Up“ wirkt nun geradezu doppeldeutig – angesichts der Öffnungsschritte nach strengen Lockdowns quer durch Europa.

Jedes Teilnehmerland musste trotzdem zur Sicherheit vorab ein Auftrittsvideo einreichen – als Back-up, sollte kurzfristig eine Liveperformance nicht möglich sein. Das würde etwa schlagend werden, sollte jemand aus dem jeweiligen Team positiv getestet werden oder in Quarantäne müssen. Einzig Australien entschied sich aufgrund der langen und pandemiebedingt schwierigen Anreise dafür, statt der Kandidatin ein Video zu schicken, alle anderen Delegationen sind bereits seit über eine Woche in Rotterdam.

Mehrere Delegationen in Quarantäne

Eine gute Woche lang blieb die Bubble innerhalb der Ahoy-Arena verschont, aktuell dürfte die Nervosität jedoch hoch sein. Wie das Fanblog ESCDaily unter Berufung auf die EBU berichtete, wurde je ein Mitglied der isländischen und der polnischen Delegation am Wochenende positiv getestet. Das bedeutet dem Sicherheitskonzept zufolge, dass auch die gesamten Länderteams in Quarantäne und einen PCR-Test absolvieren müssen. Weil Polen und Island im selben Hotel untergebracht sind, wurde die Maßnahme sicherheitshalber auch auf die maltesischen und rumänischen Delegationsmitglieder ausgedehnt, die ebenfalls dort residieren.

Personalisierte Tickets, getestetes Publikum

Für jede der insgesamt neun Shows – neben den drei TV-Liveshows finden wie immer auch die letzten Komplettproben mit Publikum im Saal statt – wurden 3.500 personalisierte Tickets aufgelegt. Jede Zuschauerin und jeder Zuschauer muss zwei CoV-Apps downloaden und bei Eintritt in die Ahoy-Arena einen negativen Schnelltest vorweisen, der nur bei einem spezifischen Testanbieter durchgeführt werden darf. Risikogruppen wie Menschen mit Vorerkrankungen und über 70-Jährige sind im Publikum nicht zugelassen.

Innerhalb der Ahoy-Arena ist der in den Niederlanden aktuell vorgeschriebene Mindestabstand von 1,5 Metern aufgehoben, auf den fix zugewiesenen Sitzplätzen fällt dann auch die Maskenpflicht, wohl um dem Fernsehpublikum die Emotionen aus der Halle deutlicher präsentieren zu können.

Hinweis

Die Semifinale am Dienstag und Donnerstag sind so wie das Finale am Samstag jeweils ab 21.00 Uhr live in ORF1 und im Livestream in tvthek.ORF.at zu sehen. ORF.at begleitet den Bewerb mit einem Liveticker – samt Bildern, animierten GIFs und Social-Media-Kommentaren.

Backstage-Flirts trotz gestrichener Partys

Auch Backstage gelten wenig überraschend sehr strenge Sicherheitsmaßnahmen. Streng im Hotel bzw. der Ahoy-Arena kaserniert und nur für wenige – genehmigungspflichtige – PR-Termine und Ausflüge freigelassen, haben die Künstlerinnen und Künstler Zeit, sich auf ihre Proben und Auftritte zu konzentrieren. Das scheint der klassischen Skikursatmosphäre in der Song-Contest-Bubble aber ganz offenkundig keinen kompletten Abbruch zu tun. Wie man auf Instagram gut nachverfolgen kann, sind das übliche Geplänkel und Geflirte zwischen den Delegationen ausgelassen wie eh und je.

Der norwegische Sänger Tix bandelt etwa offensiv mit der aserbaidschanischen Kandidatin Efendi an, die wiederum nicht ganz abgeneigt scheint. Gemeinsames Feiern ist heuer zumindest offiziell trotzdem tabu. Das übliche Rahmenprogramm an internen Partys und öffentlichen Clubkonzerten fällt CoV-bedingt wenig überraschend nämlich aus.

Buchmacherfavoriten: Italien, Frankreich, Malta

Beobachtet man die Wettquoten, zeichnet sich heuer ein besonders spannendes Rennen ab. Während in den letzten Jahren die Siegerländer schon früh recht eindeutig in Führung lagen, ist dieser Tage im Spitzenfeld der Top Ten noch einiges an Bewegung. Erst im Laufe der letzten Proben in die Favoritenrolle gerutscht ist dabei die italienische Glamrock-Band Maneskin mit „Zitti e buoni“ („Leise und nett“) – der Titel ist hier quasi das Gegenprogramm zu Song und Performance – während der Proben sorgte das in Rotterdam für einiges Aufsehen.

Abgesehen davon ist die Möglichkeit, dass ein Song mit französischem Titel gewinnt, heuer aber hoch – gleich drei favorisierte Länder erinnern mit ihrer Titelwahl an die Anfänge des Song Contests, dominierten doch französische – oder französisch angehauchte – Songs die erste Dekade des Bewerbs (Stichwort: „Merci Cherie“).

Teletwitter

Vom Teletwitter-Team ausgewählte Tweets mit „#ESCORF“ werden während der TV-Übertragungen auf der Teletext-Seite 780 eingeblendet.

Sehr gute Chancen auf einen Sieg hat nämlich Frankreich mit Kandidatin Barbara Pravi und dem Chanson „Voila“, immerhin ein Anlass zur Hoffnung nach der recht tristen Bilanz des Landes seit dem letzten Sieg mit „L’oiseau et l’enfant“ von Marie Myriam 1977.

Hoffnungen auf einen allerersten Sieg darf sich heuer Malta ausrechnen: Die Empowerment-Hymne „Je me casse“, gesungen von der erst 18-jährigen Destiny, würde vermutlich die Tanzflächen der Song-Contest-Partys füllen, wenn es sie denn heuer gäbe. Der Schweizer Sänger Gjon’s Tears setzt auf die bombastische Ballade „Tout l’univers“, in der er mit Falsettgesang seine Stimme unter Beweis stellt, rutschte zuletzt in den Wettquoten wieder aus den Top Fünf.

Destiny, Malta, Backstage
EBU/Andres Putting
Die 18-jährige Destiny (ganz links) aus Malta darf sich Chancen auf den Sieg ausrechnen

Umgekehrt rückte der isländische Beitrag in den vergangenen Tagen langsam und unauffällig nach vorne: „10 Years“ von Dadi Freyr, der wie die meisten Kandidatinnen und Kandidaten des heurigen Jahrgangs auch schon 2020 antreten wollte. Damals hätten ihm viele zugetraut, mit seinem Song „Think About Things“ den Song Contest zum ersten Mal in der Geschichte nach Island zu holen, heuer scheint das unwahrscheinlicher – den Quoten zufolge aber auch nicht ausgeschlossen.

Vincent Bueno im zweiten Halbfinale

Aus österreichischer Sicht wird vor allem das zweite Semifinale spannend. Am Donnerstag wird es ernst für Vincent Bueno, der mit seiner Ballade „Amen“ antritt. Der 35-jährige Wiener mit philippinischen Wurzeln wurde bereits im Vorjahr als Kandidat für Österreich in einem internen Auswahlverfahren ausgewählt. Nach der pandemiebedingten Absage 2020 bekommt er nun die Chance, vor dem Millionenpublikum zu punkten.

Nach den ersten Proben in Rotterdam zeigte sich Bueno sehr zufrieden, er sei „happy“, so der Sänger am Donnerstag: „Vor allem beim ersten Durchlauf konnte ich mich ganz auf die Performance einlassen und meine ganzen Emotionen in den Song legen.“ Auch bei den internationalen Fanbloggern kamen die ersten Bühnenproben Buenos sehr gut an – „einfach, aber eindrucksvoll“ und „einen der emotionalsten Auftritte“ attestieren ihm etwa die Kommentatoren von Wiwibloggs.

Aktuelle Buchmacherquoten sehen einen Einzug ins große Finale durchaus im Bereich des Möglichen, keineswegs allerdings als fixe Bank an. Die Konkurrenz ist stark, schließlich sind unter anderem mit Gjon’s Tears, Islands Dadi Freyr, Victoria aus Bulgarien einige sehr hoch gehandelte Teilnehmerinnen und Teilnehmer im zweiten Semifinale am Start.